|
Fassaden, Befund, Interpretation und Umgang
Autor: Prof. Oskar Emmenegger
Noch vor 20 bis 30 Jahren wurde Architekturstudenten an Akademien
beigebracht: "Nur eine schlechte Architektur braucht Wandmalerei". Etwas
ehrlicher hört sich später der Grundsatz an: "Eine schlechte Architektur kann
auch mit malerischen Mitteln nicht mehr gerettet werden". Ist es nicht eher die
Tatsache, dass man vor allem seit dem frühen 20. Jahrhundert die Architektur als
eine eigenständige Kunstrichtung propagierte, an der zum räumlichen
dreidimensionalen Gestalten, die Plastik vorgezogen wurde ? Man verbannte die
Malerei als zweidimensionales, illusionistisches Kunstwerk auf die Staffelei.
Hat nicht die Rationalisierung und reines Zweckdenken alles unnützlich
scheinende verdrängt ? Hat nicht materialgerechtes Denken mitgewirkt wie Holz
ist Holz, Stein ist Stein, oder auf das 20. Jahrhundert übertragen, Beton ist
Beton ? Sicher sind die Wurzeln solcher Überlegungen und Empfindungen weit
zurück zu suchen.
Der Bruch mit der Tradition Fassaden farbig zu gestalten, liess nicht nur
viel vorhandenes an historischen Bauten zerstören. Es geschah schlimmeres:
- Das Angebot an Flächen welche Wandmalerei zulassen, ist entsprechend dem
heutigen Baustil und Bautechnik weder gegeben noch erwünscht.
- Die Beziehung der Maler zur Architektur ging verloren, wie auch bei vielen
Architekten das Empfinden, Architektur und Malerei als ein harmonisches,
durchdachtes Ganzes und nicht nur als ein Detail zu sehen.
- Die künstlerischen Voraussetzungen für jedes Gestalten wie auch die
maltechnischen Kenntnisse, gingen verloren. Was übrig blieb sind
Quellenschriften die wohl zur Orientierung helfen, aber die verlorene
Erfahrung und das Können nicht ersetzen. Die daraus resultierenden
Garantieschäden infolge Ausführungsmängel, zerstören schlussendlich den
letzten Mut von Auftraggeber wie Auftragnehmer, Historisches zu restaurieren
und Schöpferisches in Form von Wandmalerei zu entwickeln.
- Der Rest an gutem Willen wird nochmals geschmälert durch die Euphorie zu
isolieren. Nicht nur die durch Isolierung anzustrebenden K-Werte werden meist
bevorzugt, wenn es um die Frage sein oder nicht sein von Wandmalerei geht.
Farbstarke Neugestaltungen sind nicht erwünscht, denn viele isolierende
Baustoffe zerfallen leicht durch Temperaturverwitterung. Gelbe, rote, braune
und schwarze Farben zum Beispiel, wovon eine Malerei lebt, übertragen viel
Wärme in die Tiefe.
1982 verkündete lautstark ein Fachlehrer für Malerei an einem Symposium für
künstlerische Fassadengestaltung in Luzern: "Es ist unmöglich, dass bei der
heutigen Umweltbelastung Malereien an Fassaden bestehen können, diese
Kunstgattung ist gestorben." Man steht zur Wandmalerei und verwirft sie im
gleichen Zuge. Es ist daher ein schwacher Trost, wenn man an den staatlichen
Akademien der bildenden Künste in Stuttgart und Wien in der Ausbildung das Thema
farbige Architekturoberfläche wieder berücksichtigt, wenn auf der anderen Seite
die Bautechnologie sich gegen Ausführungen stellt. Auch ein neuer Slogan "Die
umweltfreundliche Farbe" wirbt gegen eine bunte Gestaltung. Gemeint sind nämlich
Farbgebungen die in der Landschaft weniger auffallen. Die Frage ist nur, was in
der Landschaft unangenehmer auffällt: Ein Ardüser, der locker und mit
erzählerischen Mitteln Fassaden schmückte, oder eine der Baustil missachtende,
umweltfreundliche Fassadengestaltung.
Sind farbige Gestaltungen von Fassaden nun nur einfache Farbgebungen und
Dekorationen ? Sind Dekorationen nur erhaltene Einzelaktionen oder lokale bis
regionale Eigenarten ? Sicher darf man von Volkskunst sprechen, doch die Wiege
jedes künstlerischen Schaffens liegt in der Volkskunst und hat seine Basis im
handwerklichen Können. Können bildet den Grundstock für die Weiterbildung und
öffnet den Weg zur hohen Kunst. Wollen wir die farbige Fassadengestaltung
verstehen, zählen nicht die Wandbilder mit repräsentativen Darstellungen die in
Felder und Register aufgeteilt der Architektur nur zugefügt worden sind, ohne
sich mit ihr zu einem neuen Ganzen zu verbinden. Vielmehr gilt es, einfache
Dekorationen zu beachten deren Rahmenwerk Übergänge zur Architektur schafft oder
sich einordnend und verschmelzend an der Aussage einer Architektur mitbeteiligt.
Verstehen lehren muss man die Illusionsmalereien des 18. und 19. Jahrhunderts,
welche die höchste Steigerung des Architektonischen den Künsten des Pinsels
überlassen.
Was wäre Werdenberg ohne seine bemalten Holzhäuser, was wäre die Region
Albula, Domleschg und deren nähere Umgebungen ohne den volkstümlichen Maler
Ardüser ? Was wäre der Kanton Tessin oder das Veltlin ohne seine
Fassadengestaltungen vom Mittelalter bis zum Barock oder das Oberwallis ohne
seine Quaderimitationen des frühen 17. Jahrhunderts ? Kann man sich Graubünden
ohne Sgraffiti, Poschiavo ohne die im 19. Jahrhundert entstandenen
Fassadenmalereien im Spaniolenviertel überhaupt vorstellen; oder die Stadt
Luzern ohne die vielen grossartigen Fassadengestaltungen des Seraphim
Weingartner die am Anfang unseres Jahrhunderts entstanden. Würde Stein am Rhein
so stark besucht ohne seine geschlossen erhaltenen geschmückten Fassaden ?
Oder was hätte nördlich der Alpen uns das 19. Jahrhundert und das frühe 20.
Jahrhundert beschert ohne Jakob Burckhardt und Gottfried Semper als Verbreiter
der Neurenaissance ? Oft wird man gefragt, warum gerade der Alpenraum und
Regionen der Voralpen so reich an Wanddekorationen sind. Ist es nur provinzielle
Rückständigkeit und damit verbundene finanzielle Engpässe womit sich viele
Fragen entschuldigen ? Ist es nicht auch ein angeborenes, natürliches Bedürfnis
und ein gesundes Traditionsbewusstsein, schmucke Fassaden zu besitzen? Nicht nur
Fassadenuntersuchungen sind Lieferanten für Analysen, das wäre zu materiell,
nein auch das Erfassen der lokalen Eigenarten und Mitfühlen der Denkweise deren
Einwohner gehört hinzu, will man das Einfache und Volkstümliche erhalten sehen.
Es braucht daher nicht nur die finanzielle Unterstützung und Beratung der
Denkmalpflege, sondern auch das Wachhalten des Verständnisses zum Einfachen und
dass nicht nur die hohe Kunst gewürdigt wird.
Maltechnik
Grundsätzlich wurde in der Schweiz, für Fassadengestaltung unumstritten, über
alle Epochen bis Anfang des 20. Jahrhunders, fast ausschliesslich das
mineralische Bindemittel Sumpfkalk benutzt. Es diente zugleich auch als das
wichtigste Weiss. Die Farben wurden entweder à Fresko oder in der Technik der
Kalkmalerei aufgetragen. Die Wahl der Maltechnik für historische Dekorationen,
ob Fresko oder Kalkmalerei, ist stark auf Regionen bedingt. Am
Alpensüdfuss wie im Alpenraum, vor allem in den Kantonen Graubünden und Tessin,
wie auch vereinzelt in den Gebieten am Alpennordfuss hat man die Freskotechnik
vorgezogen, sofern es sich um die Erstfassung handelt. In den übrigen Regionen
benutzte man eher die labilere Technik - die Kalkmalerei. Zusätzlich lässt sich
anhand von Untersuchungen belegen, dass im Mittelalter die Freskotechnik
bevorzugt wurde. Während der Renaissance und vor allem im 18. und 19.
Jahrhundert, finden sich im Norden der Alpen vorwiegend Kalkmalereien. Da man
noch bis zum 19. Jahrhundert alte Putze, unbemalte wie bemalte, selten entfernte
sondern meist nur ausbesserte und oft mit neuen Dekorationen versah, blieb zu
deren Ausführung keine andere Wahl als die Kalkmalerei. Nicht selten finden wir
drei bis vier und mehr Dekorationen übereinander.
Was verstehen wir nun unter Fresko-, Kalk- und Seccomalereien ? Eine
Freskotechnik liegt vor, wenn die Farben auf den noch frischen bis feuchten
Verputz gemalt sind, wobei die Farben mit der Karbonatisation des Kalkmörtels
zusammen wetterbeständig abbinden. Oft wird behauptet, wenn durch Analysen in
der Malschicht zum Beispiel trocknende Öle oder Eiweiss gefunden wird, sei es
keine Freskomalerei. Es gibt sogar Restauratoren die glauben, wenn eine Farbe
viel Kalk enthalte müsse man von Kalkmalerei sprechen. Wäre dies der Fall,
müsste man jede Dekoration die Grautöne enthält, als Kalkmalerei bezeichnen.
Diese Restauratoren vergessen wohl, dass Kalk nicht nur Bindemittel sondern auch
Farbe ist und dass Kalk auch zum Aufhellen von Lokaltönen benutzt wurde. Zu den
Zusätzen von Öl oder Eiweiss sei erwähnt, dass sie als Verzögerer den
Abbindeprozess einer Fresko- oder Kalkmalerei begünstigen. Diesen Effekt kennen
alle Maler die mit Kalk umgehen können und geben deshalb zum Beispiel dem dick
aus der Grube gestochenen Kalk oft pro Eimer einen bis zwei Esslöffel Leinöl
dazu.
Eine Abart von Fresko ist die Stucco lustro-Technik, die im 17./18.
Jahrhundert aufkam und unter anderem im 19. Jahrhundert in Poschiavo auch an
Aussenfassaden sehr beliebt war. Die Farben mit einem Zusatz von Kalk und
verseiftem Olivenöl, werden a fresco auf den frischen Putz gemalt. Wenn der Putz
druckfest ist wird er mit einer heissen Kelle, heute mit dem Bügeleisen,
geglättet.
Von einer Kalkmalerei sprechen wir, wenn sie auf einen trockenen, schon
längst abgebundenen Putz ausgeführt wird. Doch vor dem Farbauftrag muss dieser
Verputz gut genetzt werden. Auf den angefeuchteten Putz folgen nun Partienweise
ein bis zwei Kalkanstriche auf die nass in nass die Malausführung folgt. Die
Malerei bindet mit der Karbonatisation des Kalkanstriches ab. Theophilus
schreibt im Kap. XV unter anderem: "Wenn Bildnisse oder Abbilder anderer Dinge
auf der trocknen Wand entworfen werden, soll sie sogleich mit Wasser besprengt
werden, so lange, bis sie durchaus feucht ist. Und auf die Feuchte werden alle
Farben aufgetragen, welche angebracht werden sollen. Sie sollen mit der Mauer
selber trocknen auf dass sie haften."
Historische dekorative Malereien in Öl oder Tempera sind nicht belegt.
Vergleiche mit erhaltener figürlicher Malerei in Seccotechnik erlauben jedoch
den Schluss wenn es solche gab, dass sie wohl durch die Verwitterung zerstört
sind. Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die fabrikmässige Herstellung von
Bindemittelsystemen für Anstriche und Malereien, insbesondere für
Aussenfassaden, zum Beispiel die Silikattechnik. Zugunsten der neuen
Seccotechniken wird zum erstenmal ein Aufbau auf einen hierzu einwandfreien
Verputz oder präparierten Untergrund verlangt. Somit war zugleich auch der
Anfang gegeben alles Vorherige zu zerstören, um den Garantievorschriften dieser
neuen Malsysteme zu entsprechen. Gleiches gilt für die vielen, oft kurzlebigen,
nach 1950 entwickelten Seccotechniken, die alle einen einwandfreien, wenn
möglich einen neuen Unter-grund verlangen. Empfiehlt man solche am richtigen Ort
durchaus guten Malsysteme, auch die viel bewährte Silikattechnik, bedeutet das
zugleich das Todesurteil für historische Verputze und Malereien, weil sie
abgeräumt werden müssen.
Die Auswertungen der vielen durchgeführten Untersuchungen beweisen, dass der
Verputz nicht nur Träger gemalter Dekorationen ist. Mit seinen oft sehr
unterschiedlichen Strukturen, die bewusst reich differenziert angewendet worden
sind, wird er selbst zu einem gestalterischen Element. Ich erinnere hier an den
Besenwurf, den Kieselwurf, die Nagelbrettstruktur oder geglättete und abgekellte
Oberflächen. Viel zuwenig bis gar nicht hat man bis jetzt die verschiedensten
Oberflächenstrukturen der Putze in das Gestaltungsbild der Malerei mit
einbezogen, sondern zu oft wurde er gefühl- und gedankenlosen geopfert und durch
einen stereotypen abgeriebenen Putz ersetzt.
Copyright © 1997 Oskar Emmenegger & Söhne AG and Prof. Oskar Emmenegger. All rights reserved.
|