ICOMOS-Tagung 2001 Hildesheim "Restaurierung der Restaurierung"
Autor: Prof. Oskar Emmenegger
Historische Restaurierungen mittelalterlicher Wandmalereien in der Schweiz;
Untersuchungen und Restaurierungskonzepte.
Der Umgang mit mittelalterlichen Wandmalereien ist eng mit der
Restaurierungssgeschichte verbunden. Standen doch immer die gleichen Fragen im
Vordergrund, deren Lösungen die zeit- und modebedingten Ansichten widerspiegeln.
Entdeckerfreude, meist ohne adequate Vorsicht oder Mittel und die Liebe zur
Patina der Antiquitäten waren über Jahrzehnte ausschlaggebend beim Freilegen und
Konservieren - besser gesagt bei der "Auffrischung" von Wandmalereien. Da waren
noch alle Freiheiten in der Behandlung gegeben. Willkürlich betätigten sich
Kunstmaler, Maler und Restauratoren ohne Erfahrung in der Konservierung von
Wandmalereien handelten Kunstmaler, Maler und Restauratoren immer in der
Überzeugung, dass man das, was verlustig geht, wieder ersetzen kann. Nur langsam
erwuchs die Einsicht und damit der Wunsch nach einer gewissen Ordnung. Über die
Freilegungsmethoden mit Hammer und Spachtel machte man sich etwas weniger
Gedanken als über das mit Schummerungen, gestupftem Farbauftrag und Übermalungen
entstellte Aussehen des Objekts. In den 50er Jahre wurde versucht das
ästhetische Problem mit empirischen Vorschriften - besser gesagt Befehle - unter
Kontrolle zu bringen:
- Nur Fehlstellen bis Handgrösse in gut erkennbarer Stricheltechnik "Tratteggio"
behandeln. Das ging von kreuzweiser Strichelei bis zu starren mehr oder
weniger vertikal oder diagonal gezogenen, über 3 mm breite Striche, einem
Regenfall gleich. Wichtig war, die Retusche von weitem erkennen zu können,
dass dabei das Original völlig unterging, ist nicht besonders zu erwähnen.
- Fehlstellen ab Handgrösse nicht retuschieren, sondern entweder den Putz
natur belassen oder mit Lasuren mehr oder weniger neutral einstimmen. Liegt
aber eine kaum handgrosse Fehlstelle in einem Gesicht oder stört die
Komposition empfindlich, war und ist für Diskussion gesorgt. Der Befehl:
"Nichts erfinden", erleichtert kaum die Schwierigkeit beim Entscheiden über
Ergänzungen. Es kam auch zum nicht ganz unberechtigten Vorwurf über die
Geographie der Fehlstellen.
Die heutige Tendenz "nicht anfassen, dann zerstört man nichts" ist ebenso
falsch wie die Eingriffe der Vergangenheit. Eine gefährdete Wandmalerei ohne
konservierende Massnahmen dem Schicksal überlassen ist verantwortungslos.
"Eine Zukunft für die Vergangenheit" hiess der optimistische Slogan 1975 im
Jahr der Denkmalpflege zur Unterstützung unserer Bemühungen das Kulturgut zu
erhalten. Wir müssen aber erkennen und vermehrt einsehen, dass das Kunst- oder
Kulturdenkmal bestimmt, was für seine Konservierung zu tun und lassen ist. Dazu
sind Erfahrung, Disziplin und Flexibilität sowie interdisziplinäre
Zusammenarbeit gefordert, ganz nach der Regel "Sehen, erkennen, verstehen."
Dies ist heute ein besonders wichtiger Punkt. Will doch unsere Gesellschaft
die Probleme von Spezilisten geklärt und gelöst haben und man ist versucht alles
zu normieren. Aber weder die Einzigartigkeit noch die Zustandsproblematik eines
Kunstwerks lassen sich in eine Formel zwängen. Erforderlich sind Untersuchungen
am Kunstwerk selber zur Abklärung der Maltechnik und ihre Schwächen, der
Schäden und Schadensursachen. Dabei gilt zu unterscheiden zwischen der
naturbedingten Verwitterung und Ursachen, die in zu gut gemeinten, intensiven
Massnahmen oder vernachlässigtem Unterhalt liegen.
Was oft bei öffentlichen Ausschreibungen einer Restaurierung nicht beachtet
wird, ist die Wertschätzung des Objekts: Es werden Leistungen per Quadratmeter
verlangt, dem billigsten Angebot wird der Auftrag zugeschlagen mit der Bedingung
den Termin einzuhalten, was wichtiger ist als die korrekte, dem Objekt gerechte
Ausführung.
Jedes gefährdete Werk verlangt individuelle Entscheidungen über die
Massnahmen, die bestimmt werden vom Zustand, Bestand und der künstlerischen
Aussage. Es dürfen nicht einfach jüngere Malschichten oder Restaurierungen zu
Gunsten nicht aussagekräftiger Originalfragmente geopfert werden.
Als Beispiel zu meinen Ausführungen dient die Valeria Kirche in Sion, Kanton
Wallis, die reformierte Filialkirche Masans (Chur) Kanton Graubünden und die
reformierte Pfarrkirche Lüen, Kanton Graubünden.
Die Kirche Notre - Dame der Burg Valeria in Sion (Wallis)
Als Bestandteil der mittelalterlichen Burganlage ist sie im Norden von
ehemaligen Wohngebäuden und einer Schutzmauer umgeben.
Die dreischiffige, in vier Joche aufgeteilte Basilika mit Querschiff und zwei
den Chor flankierenden Kapellen war die ursprüngliche Kathedrale und Sitz des
Domkapitels seit dem 11. Jh. bis zum Franzoseneinfall 1798.
- Die ältesten romanischen Bauteile (1.1/4 12.Jh.) umfassen den
halbkreisförmigen Unterbau des Chors, den Sockel des südlichen Querhauses und
der seitlichen Langhausmauern, sowie das nördliche Portal.
- Um 1150 entstanden der Turm über dem nördlichen Querhaus, die
Tonnengewölbe vom Querschiff und der südlichen Seitenkapelle, die Pfeiler und
Kapitelle der Vierung.
- Zu Beginn des 13. Jh. erfolgte die polygonale Chorüberbauung mit
Rippengewölbe und die Einwölbung der Vierung.
- Im Verlauf des 13. Jh. wurde die Westfassade und das Langhaus fertig
hochgezogen und als letztes der Lettner und die Chorschranken eingebaut, die
dann im 17. Jh. erhöht wurden.
Bemerkenswert ist auch die Ausstattung der Valeriakirche:
- 12. Jh.: Pfeiler der Südwand und Vierung: Auf der Pietra rasa mit
Fugenstrich, der den wirklichen Stoss- und Lagerfungen entspricht, liegt eine
gelbliche Schlämme mit aufgemalten weissen Fugen.
- 13. Jh.: Graue Quadermalerei mit weissem Fugenbild im Schiff.
- M. 13.Jh.: Frühgotische Quadermalerei im Schiff und beim Triumphbogen
Farbfassungen an 2 Kapitellen.
- 2. Hft. 13. Jh.: Am Lettner zeigen die Säulen und Kapitelle aus
hochgebrannntem Gips originale Fassungsfragmente.
- 13./14. Jh.: Hochaltar: Aufgemalte Blendarkaden an der Mensarückwand.
- 1435 Temperamalerei von Peter Maggenberg an der Südwand beim Grabmal von
Bischof Wilhelm IV von Raron. Im gleichen Joch Dekorations- und Quadermalerei
an Pfeilerfront und Stipes. An der Ostwand des Lettners befindet sich eine
bemerkenswerte Darstellung der Verkündigung vergleichbar mit den Flügeln der
Orgel (1435/36).
- M. 15. Jh.: Kalkmalerei im Chor an Wänden und Gewölbe, entstanden 1454 -
1457 unter dem Episkopat Heinrich Asperlins; sie bilden das Hauptthema meiner
Erörterungen. Ueber der gemalten Sockeldrapperie sind Figuren in
Arkadennischen dargestellt, aufgereiht in drei Bildregister. Das untere
Register präsentiert Christus und die Apostel mit Textbändern des Credo, im
mittleren und oberen, den beiden Fenstergeschossen, folgen Propheten und
Heilige. Engel mit den Leidenswerkzeugen zieren das Gewölbe mit den
dekorierten Gurten. Im unteren Fries der nördlichen Wand erscheinen die hl.
Katharina und Theodul dem Stifterpaar Rudolf von Asperlin und Francisona von
Raron und empfehlen es dem Schutz der Madonna mit Kind in der Mandorla.
- Um 1470: Im Querhaus Wandmalerei an der Nordwand beim Grab des Domherr
Georg Malitor.
- 16. Jh.. Freistehendes, original gefasstes Sakramentshaus mit
Treppenzugang hinter dem Hochaltar.
Untersuch der Valeriakirche 1987 - 88
Es handelt sich um ein Pilotprojekt der eidg. Kommission für Denkmalpflege
zur Ermittlung der Methoden wie Denkmäler von nationaler Bedeutung untersucht
und dokumentiert werden müssten, damit eine sinnvolle Planung für die künftige
Konservierung, Restaurierung und Nutzung des Objekts sichergestellt ist. Die
Aufgabe war, die Grenzen der Machbarkeit zu erfassen und die Art einer
Dokumentation festzulegen, die keine unnötige Informationsflut liefert, sondern
gezielt der Konservierung und Restaurierung dient.
Gleichzeitig liess die Bauherrschaft vom Bildbestand hervorragende Fotos als
Dokumentationsgrundlage für das Projekt 1987/88 und die nachfolgende
Konservierung erstellen.
Der desolate Zustand der kostbaren Ausstattung und Wandmalerei aus
verschiedenen Epochen verlangte als Erstes die Erarbeitung des Gesamtkonzepts
für die Konservierung mit einem Massnahmenkatalog, der sich nach Zustand und
Dringlichkeit des einzelnen Objekts richtet. Somit musste die gotische
Kalkmalerei im Chor vorrangig untersucht werden.
1896 - 1903 wurde im Zuge der Gebäudesanierung die Wandmalerei des 15. Jh. im
Chor von Chr. Schmid, Dekorationsmaler und Stuckateur, freigelegt. Prof. Dr.
Joseph Zemp schreibt am 4. Juni 1899: "... dass die Restaurierung der
Wandmalerei in der Kirche von Valeria bei Sitten nicht in ganz richtiger Weise
durchgeführt wurde. Es werde fast vollständig neu übermalt, während gemäss
Anweisung nur die geflickten Stellen diskret auszubessern wären." Christian.
Schmid wehrte sich schriftlich gegen diese Vorwürfe.
Die Untersuchungen, durchgeführt vom Verfasser als Konsulent der eidg.
Kommission für Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit der kant. Denkmalpflege vom
Nov. 1987 bis Juli 1988 ergaben folgendes:
Unter den gotischen Kalkmalereifragmenten und den Rekonstruktionen von Chr.
Schmid haben sich grössere Bestände an Quadermalerei erhalten. Sie liegen auf
einer extrem sandenden Schlämme aus Glimmersand mit wenig Bindemittel, die im
Sockelbereich auf das Mauerwerk aufgetragen wurde, dessen Fugen mit Kalkmörtel
pietra rasa ähnlich geschlossen sind. In den oberen Mauerzonen befindet sich die
Schlämme auf einem Putz.
- Die mangelnde Bausanierung hat viele Verluste an den Wandmalereien
verursacht.
- Die 1898 noch übertünchten Malereien wurden in Unkenntnis oder Missachtung
des sandenden Bildträgers (Schlämme aus Feinsand mit viel Glimmer und wenig
Bindemittel) mit Hammer und Spachtel freigelegt und dabei zu schätzungweise
50% zerstört.
- Vergleiche zwischen dem auf Pausen dokumentierten Originalbestand und
Fotos nach der Freilegung 1898 zeigen, dass bei dieser Restaurierung von der
übriggebliebenen Malerei noch weitere 15% verlustig gingen. Denn die gotische
Malerei mit nur schwacher Haftung auf der sandenden Schlämme ertrug nicht die
geringste mechanische Belastung.
- Ein weiterer Schadensfaktor sind die grossflächig angebrachten
Gipsputzergänzungen, die während dem Abbindeprozess expandierten und den
Bildträgerptuz über dem Sockelgeschoss abgestossen haben.
- In das Mauerwerk eindringendes Wasser bei offenen Fugen, undichten
Festerrahmen, defekter Verglasung und Dachabdeckung verursachte nicht nur
Frostsprengungen sondern enorme Salzsprengungen an Putz und Schlämme. Teils
wurde die Malschicht förmlich von Salzkrusten überlagert oder gar zu Pulver
zersetzt. Stellenweise hat herunterfliessendes Wasser die praktisch
bindemittellose Schlämme weggespült, so dass die Kalkmalereischicht oft nur
noch in Fetzen hing.
- Die gesamte Chormalerei hat Chr. Schmid praktisch vollständig übermalt,
Figuren schummerig angedeutet, Ornamente und Architektur grossflächig
rekonstruiert. Davon ausgenommen sind Bemalungen am Triumphbogen und an den
Gewölberippen, die bis 1898 sichtbar blieben.
- Die aufgetragene Fixierung aus tierischem Leim ist vergilbt und hat die
Malerei optisch verändert. Zudem verursachte der stark hygroskopische Leim
durch Quellen und Schrumpfen, je nach Klimasituation, sich abhebende und
abplatzende Malschichten.
Durch die Restaurierung 1898 präsentiert sich heute im Chor folgende
Situation:
- Die vollständig übermalte gotische Malerei umfasst noch 20 - 30%, davon
weisen ca. 10 - 20% Reste einer Übertünchung auf.
- Vom ursprünglichen, unbemalten Intonaco des 13. Jh. blieben 10 - 20%
erhalten.
- Rund 50 - 60% beträgt die Totalrekonstruktion von Chr. Schmid.
- Die Pausen der 1898 freigelegten Malerei dienten weniger zur
Dokumentation, sondern als Grundlage für die Rekonstruktion der entfernten
Bildbereiche.
Vorgehen:
Aufgrund des äusserst fragmentarischen Bestands der Wandmalerei im Chor haben
die Gemeinde Sion, der Kanton Wallis und die eidg. Kommission für Denkmalpflege
entschieden den Zustand nach dem Eingriff von Chr. Schmid (1898) zu
konservieren, obwohl seine Übermalungen und Rekonstruktionen bei weitem nicht an
die Qualität der spätgotischen Malerei heranreichen.
Zu diesem Entschluss führte die Überlegung "Besser eine geschlossen
rekonstruierte Chormalerei von minderer Qualität, als künstlerisch zwar
hochstehende, aber nicht lesbare Fragmente."
Hier zeigt sich, dass der aktuelle, jedermann verständliche Bestand an
Malerei für die inzwischen ausgeführte Restaurierung massgebend war und zwar in
grösserem Mass als in vergleichbaren Fällen üblich.
Massnahmen
Während man die vernachlässigte Gebäudesanierung abschnittweise ausführte
(defekte Stellen an Dach, Dachwasserableitungen, Fensterrahmen, Verglasungen,
offene Mauerfugen etc.), wurden die Dokumentationsgrundlagen für die gotische
Chormalerei geschaffen wie:
- Fotogrammetrie
- Bestand der Originalmalerei erfassen
- Kartieren der Schäden
- Fotografieren typischer Schadensphänomene
- Abklären der Schadensursachen und prognostizieren der Schadensentwicklung
(Anmerkung: Beauftragte für Schadenskartierung: Atelier St. Dimas, Favre
Bulle, Martigny Fotogrammetrie und PC-Verarbeitung Olivier Feil, Lausanne)
Das Inst. für Denkmalpflege der ETH Zürich hat während mehreren Jahren das
Raumklima gemessen und ausgewertet. Die konservatorischen und restauratorischen
Massnahmen sind vom Atelier Favre Bulle ausgeführt worden:
- Lose Malschichten gesichert
- Salzausblühungen und Salzkrusten entfernt
- Glutinleimfixierung reduziert respektive entfernt
- Pudernde Malschichten gefestigt (Paraloid B72 als 1% Lösung)
- Putzfestigung mit Kieselsäureester
- Gipsputze mit Kalkmörtel ersetzt
- Störende Fehlstellen retuschiert
In Zusammenarbeit mit dem PC-Fachmann wurde eine bemerkenswerte
Arbeitsdokumentation über diese sehr schwierige Konservierung hergestellt, die
als ein gelungenes, mutiges Experiment zu bezeichnen ist.
Momentan sind die Vorbereitungen im Gang für reine Konservierungsmassnahmen an
der von Maggenberg bemalten Orgel von 1435.
Literatur:
Alfred A. Schmid, Kunstführer durch die Schweiz, Bearbeiter des Kt. Wallis
Bernhard Anderes, S. 272 -277
Renaud Bucher, Vortragstext: Zur laufenden Restaurierung der gotischen
Wandmalereien im Chor der Kirche Notre-Dame von Valeria in Sitten. MS. Kant.
Denkmalpflege Sion
O. Emmenegger, Untersuchungsbericht der Kirche Notre-Dame Valeria, Sion. Teil
I, 1988, MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers
O. Emmenegger, Sion Valeriakirche, Untersuchungsbericht Teil II 1989, Teile
III/ IV/ V Zizers 1990. MS. Archiv
O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers.
Andreas Arnold und A. Küng, Sitten Valeriakirche, Wand- und Deckenmalerei
Stratigraphie, Pigmente, Materialien. Zürich 1988. MS. Archiv O. Emmenegger &
Söhne AG, Zizers,
Ref. Filialkirche Masans (Chur), Kt. Graubünden
Das Beispiel für eine zwingende Endrestaurierung bietet hingegen die nach
Süden gerichtete Ref. Filialkirche in Masans (Chur). Ursprünglich war sie
Bestand des Churer Leprosenhaus, das um 1370 nachgewiesen wird. Obwohl
baugeschichtliche Nachrichten fehlen, dürften die Mauern vom Schiff, der Chor
samt Gewölbe und die Vorlage des Chorbogens aus der Bauzeit der 1. Hft. 13. Jh.
stammen. Bei der Umgestaltung M.15. Jh. wurde sie Wandmalereien geschmückt. Wohl
nach der Reformation erfolgten die Übertünchung und spätere Überputzung der
Malereien.
Bei der Renovation von 1910 hat Chr. Schmid die Freilegung der feskalen aber
schwach abgebundenen Malerei im Chor, am Triumphbogen und der Triumphbogenwand
nach damaliger Hammer-Spachtel-Methode durchgeführt. Die zu fragmentarisch
befundene Darstellung des "Jüngsten Gerichts" an der Triumphbogenwand wurde
abgepaust und wieder zugedeckt. Zum Schutz der Malerei wurde Packpapier
verwendet und dann ein engmaschiges Drahtgeflecht als Hilfsträger für den neuen
Deckputz angebracht. Typisch für die Restaurierung der Bilder im Chor und am
Triumphbogen sind die gipshaltigen Putzergänzungen mit mehr oder weniger
schummrigen Rekonstruktionen von Figu-ren, groben Retuschen, grosszügigen
Uebermalungen. Dazu kommt die völlige Vergilbung der Werkstoffe
(Bindemittel/Fixierung), die eine einheitlich braune Farbgebung bewirkt und die
Darstellungen kaum erkennen liess.
Das durch Schäden reduzierte Bildprogramm zeigt an der Triumphbogenlaibung je
3 der klugen und törichten Jungfrauen, an den Chorwänden unter Baldachinen
stehende Apostel, im östlichen Bogenfeld Reste eines Abendmahls, im westlichen
Bogenfeld links vom Fenster die Geburt Christi (?) rechts davon Maria Krönung
und in der Laibung des Bogenfensters die hl. Barbara und Katharina, am Gewölbe
in 4 Medaillons platzierte Kirchenväter und je zwei Engel in den Eckzwickeln.
Die Chorseite des Triumphbogens zieren Ranken und das Brustbild Christi,
darunter die Inschrift "renoviert 1910".
Untersuchung 1980
Aufgrund des optisch undefinierbaren Aspekts und der starken Salzprobleme
veranlasste die kant. Denkmalpflege Graubünden eine Zustandsuntersuchung.
In den unteren Zonen im Chor sind Putz und Malerei weitgehend zerstört. An
der Ostwand führte die Salzbelastung (Anmerkung: Analysiert durch Dr. A. Arnold,
Leiter des techn. Labors, Inst. für Denkmalpflege der ETH Zürich, Kalisalpeter
(KNO3)) bis in die Gewölbeflächen zu grossen Verlusten, weil das Aussenniveau
heute 2.50 m höher liegt. Zudem bewirkte das Beheizen der Kirche vermehrte
Kristallisationszyklen was verstärkte Salzsprengungen und damit enorme
Malschichtverluste verursachte. Gefährdend erwiesen sich auch die
grossflächigen, stark gipshaltigen Putzergänzungen, die mit dem Expandieren die
angrenzenden original bemalten Putzzonen vom Mauerwerk abgestossen haben.
Dadurch sind ausgedehnte Hohlstellen entstanden. Ausserdem zeigten sich
Gipsausblühungen. Unzählige Schlaglöcher, die als Haftbrücke für die Überputzung
angebracht wurden, waren mit Gips ausgefüllt.
Ungünstiger Einfluss auf die Vertikalbelastung der Mauern durch Änderungen am
Dachstuhl und unstabiler Baugrund bedingten Rissbildungen, die vereinzelt
ebenfalls zu Hohlstellen im Putz führten.
Die von Chr. Schmid aufgetragene Heissleimfixierung (Glutinleim) und die mit
Kasein zu stark gebundenen Farben hatten fatale Folgen: Diese stark
hygroskopischen Werkstoffe reagierten mit Quell- und Schrumpfbewegungen auf die
Klimasituation und rissen Übermalungen mitsamt der originalen Malerei vom
Bildträger: die Farbschicht rollte sich schüsselförmig ab oder bildete
kleinsplittrige Abhebungen.
Es zeigte sich also ein Gesamtzustand, der nur durch eine Entrestaurierung
den noch vorhandenen originalen Bildbestand konservieren liess.
Restaurierung 1996/97
Die mit Salzen gesättigten modernen Putze von 1910 und ca 1970 im
Sockelbereich wurden entfernt und zur Salzextraktion ein Opferputz aufgezogen.
In Bereichen der Malerei erfolgte die Salzextraktion mit
Buchenzellstoff-Kompressen. Vorrangig war die Sicherung der losen Malschichten
mit Klucel und die Putzfestigung mit Kieselsäureester, besonders entlang der der
zu entfernenden Gipsputzergänzungen. Hohlstellen und tiefe Risse wurden mit
Kalkmörtelschlämme unter Zusatz von wenig Weisszement hintergossen. Die
verbräunte, gefährdende Leimfixierung und die Übermalungen sowie noch vorhandene
Kalktünchereste konnten entweder mechanisch oder chemisch entfernt werden.
Für alle Putzergänzungen wurde reiner Sumpfkalkmörtel verwendet; die
Schlaglöcher schlossen wir niveaugleich zur Bildoberfläche, die grossen
Fehlstellen blieben etwas zurückgesetzt und natur belassen.
Feine Aquarellretuschen erfolgten in Absprache mit der kant. Denkmalpflege.
Das Verhältnis zwischen grossen Fehlstellen und geschlossenem Bildbestand hält
sich im Gleichgewicht, die vorhandenen Darstellungen sind in ihrer noch
vorhandenen Farbgebung klar lesbar.
Wie sehr die 1910 "restaurierte" freskale Malerei im Chor gelitten hat,
belegen die wieder freigelegten Fragmente an der Triumphbogenwand, die heute die
besterhaltenen Bildteile darstellen.
Die Malweise und die angewandte Freskotechnik der Kalkmalerei weisen auf
einen Maler aus dem deutschen Kunstkreis. Italienische Einflüsse sind in der
Bildkompositon und besonders in der Art der schablonierten gelben Rahmungen
nicht zu übersehen. Grosse Ähnlichkeiten zeigen die Chormalerei in der Ref.
Pfarrkirche Waltensburg um 1450 ebenso die gleichzeitige Malerei an der Nordwand
in der Pfarrkirche Igis (beides Graubünden).
Literatur
O. Emmenegger, Untersuchungsbericht der Ref. Filialkirche Masans,
Merlischachen 1980, MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers
O. Emmenegger, Restaurierungsbericht "Wandmalereien in der Ref. Pfarrkirche
Masans, Zizers 1998. MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers
Andreas Arnold, Masans, Chur, Ref. Pfarrkirche, Wandmalerei: Proben,
Untersuchung, Zürich 1996, MS. O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers
Erwin Poeschel, KDM Graubünden Bd. VII, S. 253-255
Ref. Pfarrkirche Lüen, Kt.Graubünden
Wandmalerei 14. Jh.
Die 1084 erbaute kleine, rechteckige Saalkirche ist nach Südosten gerichtet
und dem hl. Zeno geweiht. An der Chorwand und dem ursprünglichen Bauteil der
Langseiten befinden sich Wandmalereien um 1340, die der Werkstatt des
Waltensburgermeisters zugeschrieben sind. Wohl im 17. Jh. wurde die Anlage nach
Nordwesten verlängert und die flache Holzdecke durch ein Tonnengewölbe ersetzt.
Dadurch wurden an den Langseiten die oberen Bereiche des Bildzyklus
abgeschnitten. Es handelt sich in 2 Bildstreifen fortlaufend dargestellte Szenen
aus dem Leben Christi, an der Südwand oben links beginnend. An der Ostwand sind
fast lebensgrosse Apostel aufgereiht wovon je 2 an der Seitenwand den
doppelreihigen Zyklus flankieren und damit die Chorzone betonen.
Die Malerei umrahmenden Blatt- und Rosettenborten weisen noch spätromanischen
Charakter auf. Stilistische wie maltechnische Merkmale weisen klar auf den
Waltensburgermeister, nur die Ausführungen sind oft so ungelenk, dass sie nicht
von der Hand des Meisters, sondern von einem Gesellen stammen.
Untersuchung 1996
Der Waltensburgermeister und seine Werkstatt kümmerte sich nur um die
künstlerische Gestaltung, nicht aber um den putztechnischen Aufbau. Bei allen 11
von uns untersuchten und konservierten Malereien dieses Meisters und seiner
Werkstatt wurden bestehende Putze als Arriccio für den neuen Bildträger benutzt,
egal ob sie sandeten, hohl lagen oder blätternde Tünchen aufwiesen. Dies hatte
seine Folgen: Der Bildträger (Intonaco) trennte sich leicht vom Untergrund bei
mechanischen Belastungen (bauliche Veränderungen, Erdbeben, Frost- und
Salzsprengungen, massive Freilegungsmethoden usw.). Der frisch aufgetragene
Intonaco konnte nie genügend karbonatisieren und sandet, da ihm das Wasser vom
bestehenden Putz zu sehr entzogen wurde; während die al fresco bemalte
Intonaco-Oberfläche eine harte Schale bildet.
Dies wurde der Malerei von Lüen bei der Renovation von 1926 durch Christian
Schmid zum Verhängnis. Bei der Freilegung mit Hammer und Spachtel klopfte und
kratzte er nicht nur die Kalküber-tünchungen weg, sondern riss auch viel von der
Malerei mit. Der Verlust durch diese Freilegung beträgt ca 45%, dabei
erweiterten sich die hohlliegenden Bereiche und das bemalte Intonaco hat sich
teils schollenweise gelockert.
Das Problem der grossflächig entstandenen Fehlstellen löste Chr. Schmid mit
schummerigen und impresionistischen Ergänzungen und enorm grosszügigen
Übermalungen. Meist wurde das Original den Ergänzungen angepasst!
Gefährliche, breite Risse verursachten weitere Schäden; der unstabile
Baugrund bewegte sich talwärts und das Gebäude drohte abzurutschen.
Restaurierung 2000/01
Die kant. Denkmalpflege Graubünden setzte das Ziel, die Malerei des
Waltensburgmeisters zu konservieren unter Beibehaltung der Ausführungen von Chr.
Schmid, denn das Original ist derart zugerichtet, dass der Aufwand einer
Entrestaurierung in keinem Verhältnis steht.
Die Massnahmen beschränkten sich auf das Reinigen der Malerei, die
Putzfestigung, das Hinterfüllen der Hohlräume, Salzextraktionen und das Sichern
loser Malschichten. Beruhigende Retuschen auf neuen Mörtelkittungen und stark
störenden Fehlstellen erfolgten in Absprache mit der Denkmalpflege,
Bauherrschaft und dem Architekten.
Literatur:
Erwin Poeschel, KDM Graubünden, Bd. VII, S. 194 - 198.
O. Emmenegger / Anna Coello, Restaurierungsbericht: Ref. Pfarrkirche Lüen,
MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz zeigt Überlegungen und Begründungen zum jeweiligen
Restaurierungskonzept auf. Damit sollte klargestellt werden, dass das Objekt die
Vorgehensweise bestimmt und entsprechend vernünftig gehandelt, das gesetzte Ziel
auch erreicht werden kann.
Die Beispiele Valeriakirche und Pfarrkirche Lüen mögen beweisen, dass die
Konservierung einer früheren Restaurierung zu einem anschaulichen Ergebnis
führen kann, selbst wenn das überdeckte Original eine wesentlich bessere
Qualität aufweist.
Das Beispiel Masans zeigt hingegen die Gefährlichkeit verwendeter Werkstoffe
und daher eine Entrestaurierung die einzig konservierende Massnahme darstellt.
Copyright © 2001 Oskar Emmenegger & Söhne AG and Prof. Oskar Emmenegger. All rights reserved.
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