Oskar Emmenegger & Söhne AG, Restaurator, Stöcklistrasse, CH-7205 Zizers, Telefon 081-3072201, Telefax 081-3072251 Oskar Emmenegger & Söhne AG, Restaurator
 

Vorträge

ICOMOS-Tagung 2001 Hildesheim
"Restaurierung der Restaurierung"

Autor: Prof. Oskar Emmenegger

Historische Restaurierungen mittelalterlicher Wandmalereien in der Schweiz; Untersuchungen und Restaurierungskonzepte.

Der Umgang mit mittelalterlichen Wandmalereien ist eng mit der Restaurierungssgeschichte verbunden. Standen doch immer die gleichen Fragen im Vordergrund, deren Lösungen die zeit- und modebedingten Ansichten widerspiegeln.

Entdeckerfreude, meist ohne adequate Vorsicht oder Mittel und die Liebe zur Patina der Antiquitäten waren über Jahrzehnte ausschlaggebend beim Freilegen und Konservieren - besser gesagt bei der "Auffrischung" von Wandmalereien. Da waren noch alle Freiheiten in der Behandlung gegeben. Willkürlich betätigten sich Kunstmaler, Maler und Restauratoren ohne Erfahrung in der Konservierung von Wandmalereien handelten Kunstmaler, Maler und Restauratoren immer in der Überzeugung, dass man das, was verlustig geht, wieder ersetzen kann. Nur langsam erwuchs die Einsicht und damit der Wunsch nach einer gewissen Ordnung. Über die Freilegungsmethoden mit Hammer und Spachtel machte man sich etwas weniger Gedanken als über das mit Schummerungen, gestupftem Farbauftrag und Übermalungen entstellte Aussehen des Objekts. In den 50er Jahre wurde versucht das ästhetische Problem mit empirischen Vorschriften - besser gesagt Befehle - unter Kontrolle zu bringen:

  • Nur Fehlstellen bis Handgrösse in gut erkennbarer Stricheltechnik "Tratteggio" behandeln. Das ging von kreuzweiser Strichelei bis zu starren mehr oder weniger vertikal oder diagonal gezogenen, über 3 mm breite Striche, einem Regenfall gleich. Wichtig war, die Retusche von weitem erkennen zu können, dass dabei das Original völlig unterging, ist nicht besonders zu erwähnen.
  • Fehlstellen ab Handgrösse nicht retuschieren, sondern entweder den Putz natur belassen oder mit Lasuren mehr oder weniger neutral einstimmen. Liegt aber eine kaum handgrosse Fehlstelle in einem Gesicht oder stört die Komposition empfindlich, war und ist für Diskussion gesorgt. Der Befehl: "Nichts erfinden", erleichtert kaum die Schwierigkeit beim Entscheiden über Ergänzungen. Es kam auch zum nicht ganz unberechtigten Vorwurf über die Geographie der Fehlstellen.

Die heutige Tendenz "nicht anfassen, dann zerstört man nichts" ist ebenso falsch wie die Eingriffe der Vergangenheit. Eine gefährdete Wandmalerei ohne konservierende Massnahmen dem Schicksal überlassen ist verantwortungslos.

"Eine Zukunft für die Vergangenheit" hiess der optimistische Slogan 1975 im Jahr der Denkmalpflege zur Unterstützung unserer Bemühungen das Kulturgut zu erhalten. Wir müssen aber erkennen und vermehrt einsehen, dass das Kunst- oder Kulturdenkmal bestimmt, was für seine Konservierung zu tun und lassen ist. Dazu sind Erfahrung, Disziplin und Flexibilität sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit gefordert, ganz nach der Regel "Sehen, erkennen, verstehen."

Dies ist heute ein besonders wichtiger Punkt. Will doch unsere Gesellschaft die Probleme von Spezilisten geklärt und gelöst haben und man ist versucht alles zu normieren. Aber weder die Einzigartigkeit noch die Zustandsproblematik eines Kunstwerks lassen sich in eine Formel zwängen. Erforderlich sind Untersuchungen am Kunstwerk selber zur Abklärung der Maltechnik und ihre Schwächen, der Schäden und Schadensursachen. Dabei gilt zu unterscheiden zwischen der naturbedingten Verwitterung und Ursachen, die in zu gut gemeinten, intensiven Massnahmen oder vernachlässigtem Unterhalt liegen.

Was oft bei öffentlichen Ausschreibungen einer Restaurierung nicht beachtet wird, ist die Wertschätzung des Objekts: Es werden Leistungen per Quadratmeter verlangt, dem billigsten Angebot wird der Auftrag zugeschlagen mit der Bedingung den Termin einzuhalten, was wichtiger ist als die korrekte, dem Objekt gerechte Ausführung.

Jedes gefährdete Werk verlangt individuelle Entscheidungen über die Massnahmen, die bestimmt werden vom Zustand, Bestand und der künstlerischen Aussage. Es dürfen nicht einfach jüngere Malschichten oder Restaurierungen zu Gunsten nicht aussagekräftiger Originalfragmente geopfert werden.

Als Beispiel zu meinen Ausführungen dient die Valeria Kirche in Sion, Kanton Wallis, die reformierte Filialkirche Masans (Chur) Kanton Graubünden und die reformierte Pfarrkirche Lüen, Kanton Graubünden.

Die Kirche Notre - Dame der Burg Valeria in Sion (Wallis)

Als Bestandteil der mittelalterlichen Burganlage ist sie im Norden von ehemaligen Wohngebäuden und einer Schutzmauer umgeben.

Die dreischiffige, in vier Joche aufgeteilte Basilika mit Querschiff und zwei den Chor flankierenden Kapellen war die ursprüngliche Kathedrale und Sitz des Domkapitels seit dem 11. Jh. bis zum Franzoseneinfall 1798.

  • Die ältesten romanischen Bauteile (1.1/4 12.Jh.) umfassen den halbkreisförmigen Unterbau des Chors, den Sockel des südlichen Querhauses und der seitlichen Langhausmauern, sowie das nördliche Portal.
  • Um 1150 entstanden der Turm über dem nördlichen Querhaus, die Tonnengewölbe vom Querschiff und der südlichen Seitenkapelle, die Pfeiler und Kapitelle der Vierung.
  • Zu Beginn des 13. Jh. erfolgte die polygonale Chorüberbauung mit Rippengewölbe und die Einwölbung der Vierung.
  • Im Verlauf des 13. Jh. wurde die Westfassade und das Langhaus fertig hochgezogen und als letztes der Lettner und die Chorschranken eingebaut, die dann im 17. Jh. erhöht wurden.

Bemerkenswert ist auch die Ausstattung der Valeriakirche:

  • 12. Jh.: Pfeiler der Südwand und Vierung: Auf der Pietra rasa mit Fugenstrich, der den wirklichen Stoss- und Lagerfungen entspricht, liegt eine gelbliche Schlämme mit aufgemalten weissen Fugen.
  • 13. Jh.: Graue Quadermalerei mit weissem Fugenbild im Schiff.
  • M. 13.Jh.: Frühgotische Quadermalerei im Schiff und beim Triumphbogen Farbfassungen an 2 Kapitellen.
  • 2. Hft. 13. Jh.: Am Lettner zeigen die Säulen und Kapitelle aus hochgebrannntem Gips originale Fassungsfragmente.
  • 13./14. Jh.: Hochaltar: Aufgemalte Blendarkaden an der Mensarückwand.
  • 1435 Temperamalerei von Peter Maggenberg an der Südwand beim Grabmal von Bischof Wilhelm IV von Raron. Im gleichen Joch Dekorations- und Quadermalerei an Pfeilerfront und Stipes. An der Ostwand des Lettners befindet sich eine bemerkenswerte Darstellung der Verkündigung vergleichbar mit den Flügeln der Orgel (1435/36).
  • M. 15. Jh.: Kalkmalerei im Chor an Wänden und Gewölbe, entstanden 1454 - 1457 unter dem Episkopat Heinrich Asperlins; sie bilden das Hauptthema meiner Erörterungen. Ueber der gemalten Sockeldrapperie sind Figuren in Arkadennischen dargestellt, aufgereiht in drei Bildregister. Das untere Register präsentiert Christus und die Apostel mit Textbändern des Credo, im mittleren und oberen, den beiden Fenstergeschossen, folgen Propheten und Heilige. Engel mit den Leidenswerkzeugen zieren das Gewölbe mit den dekorierten Gurten. Im unteren Fries der nördlichen Wand erscheinen die hl. Katharina und Theodul dem Stifterpaar Rudolf von Asperlin und Francisona von Raron und empfehlen es dem Schutz der Madonna mit Kind in der Mandorla.
  • Um 1470: Im Querhaus Wandmalerei an der Nordwand beim Grab des Domherr Georg Malitor.
  • 16. Jh.. Freistehendes, original gefasstes Sakramentshaus mit Treppenzugang hinter dem Hochaltar.

Untersuch der Valeriakirche 1987 - 88

Es handelt sich um ein Pilotprojekt der eidg. Kommission für Denkmalpflege zur Ermittlung der Methoden wie Denkmäler von nationaler Bedeutung untersucht und dokumentiert werden müssten, damit eine sinnvolle Planung für die künftige Konservierung, Restaurierung und Nutzung des Objekts sichergestellt ist. Die Aufgabe war, die Grenzen der Machbarkeit zu erfassen und die Art einer Dokumentation festzulegen, die keine unnötige Informationsflut liefert, sondern gezielt der Konservierung und Restaurierung dient.

Gleichzeitig liess die Bauherrschaft vom Bildbestand hervorragende Fotos als Dokumentationsgrundlage für das Projekt 1987/88 und die nachfolgende Konservierung erstellen.

Der desolate Zustand der kostbaren Ausstattung und Wandmalerei aus verschiedenen Epochen verlangte als Erstes die Erarbeitung des Gesamtkonzepts für die Konservierung mit einem Massnahmenkatalog, der sich nach Zustand und Dringlichkeit des einzelnen Objekts richtet. Somit musste die gotische Kalkmalerei im Chor vorrangig untersucht werden.

1896 - 1903 wurde im Zuge der Gebäudesanierung die Wandmalerei des 15. Jh. im Chor von Chr. Schmid, Dekorationsmaler und Stuckateur, freigelegt. Prof. Dr. Joseph Zemp schreibt am 4. Juni 1899: "... dass die Restaurierung der Wandmalerei in der Kirche von Valeria bei Sitten nicht in ganz richtiger Weise durchgeführt wurde. Es werde fast vollständig neu übermalt, während gemäss Anweisung nur die geflickten Stellen diskret auszubessern wären." Christian. Schmid wehrte sich schriftlich gegen diese Vorwürfe.

Die Untersuchungen, durchgeführt vom Verfasser als Konsulent der eidg. Kommission für Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit der kant. Denkmalpflege vom Nov. 1987 bis Juli 1988 ergaben folgendes:

Unter den gotischen Kalkmalereifragmenten und den Rekonstruktionen von Chr. Schmid haben sich grössere Bestände an Quadermalerei erhalten. Sie liegen auf einer extrem sandenden Schlämme aus Glimmersand mit wenig Bindemittel, die im Sockelbereich auf das Mauerwerk aufgetragen wurde, dessen Fugen mit Kalkmörtel pietra rasa ähnlich geschlossen sind. In den oberen Mauerzonen befindet sich die Schlämme auf einem Putz.

  • Die mangelnde Bausanierung hat viele Verluste an den Wandmalereien verursacht.
  • Die 1898 noch übertünchten Malereien wurden in Unkenntnis oder Missachtung des sandenden Bildträgers (Schlämme aus Feinsand mit viel Glimmer und wenig Bindemittel) mit Hammer und Spachtel freigelegt und dabei zu schätzungweise 50% zerstört.
  • Vergleiche zwischen dem auf Pausen dokumentierten Originalbestand und Fotos nach der Freilegung 1898 zeigen, dass bei dieser Restaurierung von der übriggebliebenen Malerei noch weitere 15% verlustig gingen. Denn die gotische Malerei mit nur schwacher Haftung auf der sandenden Schlämme ertrug nicht die geringste mechanische Belastung.
  • Ein weiterer Schadensfaktor sind die grossflächig angebrachten Gipsputzergänzungen, die während dem Abbindeprozess expandierten und den Bildträgerptuz über dem Sockelgeschoss abgestossen haben.
  • In das Mauerwerk eindringendes Wasser bei offenen Fugen, undichten Festerrahmen, defekter Verglasung und Dachabdeckung verursachte nicht nur Frostsprengungen sondern enorme Salzsprengungen an Putz und Schlämme. Teils wurde die Malschicht förmlich von Salzkrusten überlagert oder gar zu Pulver zersetzt. Stellenweise hat herunterfliessendes Wasser die praktisch bindemittellose Schlämme weggespült, so dass die Kalkmalereischicht oft nur noch in Fetzen hing.
  • Die gesamte Chormalerei hat Chr. Schmid praktisch vollständig übermalt, Figuren schummerig angedeutet, Ornamente und Architektur grossflächig rekonstruiert. Davon ausgenommen sind Bemalungen am Triumphbogen und an den Gewölberippen, die bis 1898 sichtbar blieben.
  • Die aufgetragene Fixierung aus tierischem Leim ist vergilbt und hat die Malerei optisch verändert. Zudem verursachte der stark hygroskopische Leim durch Quellen und Schrumpfen, je nach Klimasituation, sich abhebende und abplatzende Malschichten.

Durch die Restaurierung 1898 präsentiert sich heute im Chor folgende Situation:

  • Die vollständig übermalte gotische Malerei umfasst noch 20 - 30%, davon weisen ca. 10 - 20% Reste einer Übertünchung auf.
  • Vom ursprünglichen, unbemalten Intonaco des 13. Jh. blieben 10 - 20% erhalten.
  • Rund 50 - 60% beträgt die Totalrekonstruktion von Chr. Schmid.
  • Die Pausen der 1898 freigelegten Malerei dienten weniger zur Dokumentation, sondern als Grundlage für die Rekonstruktion der entfernten Bildbereiche.

Vorgehen:

Aufgrund des äusserst fragmentarischen Bestands der Wandmalerei im Chor haben die Gemeinde Sion, der Kanton Wallis und die eidg. Kommission für Denkmalpflege entschieden den Zustand nach dem Eingriff von Chr. Schmid (1898) zu konservieren, obwohl seine Übermalungen und Rekonstruktionen bei weitem nicht an die Qualität der spätgotischen Malerei heranreichen.

Zu diesem Entschluss führte die Überlegung "Besser eine geschlossen rekonstruierte Chormalerei von minderer Qualität, als künstlerisch zwar hochstehende, aber nicht lesbare Fragmente."

Hier zeigt sich, dass der aktuelle, jedermann verständliche Bestand an Malerei für die inzwischen ausgeführte Restaurierung massgebend war und zwar in grösserem Mass als in vergleichbaren Fällen üblich.

Massnahmen

Während man die vernachlässigte Gebäudesanierung abschnittweise ausführte (defekte Stellen an Dach, Dachwasserableitungen, Fensterrahmen, Verglasungen, offene Mauerfugen etc.), wurden die Dokumentationsgrundlagen für die gotische Chormalerei geschaffen wie:

  • Fotogrammetrie
  • Bestand der Originalmalerei erfassen
  • Kartieren der Schäden
  • Fotografieren typischer Schadensphänomene
  • Abklären der Schadensursachen und prognostizieren der Schadensentwicklung

(Anmerkung: Beauftragte für Schadenskartierung: Atelier St. Dimas, Favre Bulle, Martigny Fotogrammetrie und PC-Verarbeitung Olivier Feil, Lausanne)

Das Inst. für Denkmalpflege der ETH Zürich hat während mehreren Jahren das Raumklima gemessen und ausgewertet. Die konservatorischen und restauratorischen Massnahmen sind vom Atelier Favre Bulle ausgeführt worden:

  • Lose Malschichten gesichert
  • Salzausblühungen und Salzkrusten entfernt
  • Glutinleimfixierung reduziert respektive entfernt
  • Pudernde Malschichten gefestigt (Paraloid B72 als 1% Lösung)
  • Putzfestigung mit Kieselsäureester
  • Gipsputze mit Kalkmörtel ersetzt
  • Störende Fehlstellen retuschiert

In Zusammenarbeit mit dem PC-Fachmann wurde eine bemerkenswerte Arbeitsdokumentation über diese sehr schwierige Konservierung hergestellt, die als ein gelungenes, mutiges Experiment zu bezeichnen ist.
Momentan sind die Vorbereitungen im Gang für reine Konservierungsmassnahmen an der von Maggenberg bemalten Orgel von 1435.

Literatur:

Alfred A. Schmid, Kunstführer durch die Schweiz, Bearbeiter des Kt. Wallis Bernhard Anderes, S. 272 -277

Renaud Bucher, Vortragstext: Zur laufenden Restaurierung der gotischen Wandmalereien im Chor der Kirche Notre-Dame von Valeria in Sitten. MS. Kant. Denkmalpflege Sion

O. Emmenegger, Untersuchungsbericht der Kirche Notre-Dame Valeria, Sion. Teil I, 1988, MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers

O. Emmenegger, Sion Valeriakirche, Untersuchungsbericht Teil II 1989, Teile III/ IV/ V Zizers 1990. MS. Archiv

O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers.

Andreas Arnold und A. Küng, Sitten Valeriakirche, Wand- und Deckenmalerei Stratigraphie, Pigmente, Materialien. Zürich 1988. MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers,

Ref. Filialkirche Masans (Chur), Kt. Graubünden

Das Beispiel für eine zwingende Endrestaurierung bietet hingegen die nach Süden gerichtete Ref. Filialkirche in Masans (Chur). Ursprünglich war sie Bestand des Churer Leprosenhaus, das um 1370 nachgewiesen wird. Obwohl baugeschichtliche Nachrichten fehlen, dürften die Mauern vom Schiff, der Chor samt Gewölbe und die Vorlage des Chorbogens aus der Bauzeit der 1. Hft. 13. Jh. stammen. Bei der Umgestaltung M.15. Jh. wurde sie Wandmalereien geschmückt. Wohl nach der Reformation erfolgten die Übertünchung und spätere Überputzung der Malereien.

Bei der Renovation von 1910 hat Chr. Schmid die Freilegung der feskalen aber schwach abgebundenen Malerei im Chor, am Triumphbogen und der Triumphbogenwand nach damaliger Hammer-Spachtel-Methode durchgeführt. Die zu fragmentarisch befundene Darstellung des "Jüngsten Gerichts" an der Triumphbogenwand wurde abgepaust und wieder zugedeckt. Zum Schutz der Malerei wurde Packpapier verwendet und dann ein engmaschiges Drahtgeflecht als Hilfsträger für den neuen Deckputz angebracht. Typisch für die Restaurierung der Bilder im Chor und am Triumphbogen sind die gipshaltigen Putzergänzungen mit mehr oder weniger schummrigen Rekonstruktionen von Figu-ren, groben Retuschen, grosszügigen Uebermalungen. Dazu kommt die völlige Vergilbung der Werkstoffe (Bindemittel/Fixierung), die eine einheitlich braune Farbgebung bewirkt und die Darstellungen kaum erkennen liess.

Das durch Schäden reduzierte Bildprogramm zeigt an der Triumphbogenlaibung je 3 der klugen und törichten Jungfrauen, an den Chorwänden unter Baldachinen stehende Apostel, im östlichen Bogenfeld Reste eines Abendmahls, im westlichen Bogenfeld links vom Fenster die Geburt Christi (?) rechts davon Maria Krönung und in der Laibung des Bogenfensters die hl. Barbara und Katharina, am Gewölbe in 4 Medaillons platzierte Kirchenväter und je zwei Engel in den Eckzwickeln. Die Chorseite des Triumphbogens zieren Ranken und das Brustbild Christi, darunter die Inschrift "renoviert 1910".

Untersuchung 1980

Aufgrund des optisch undefinierbaren Aspekts und der starken Salzprobleme veranlasste die kant. Denkmalpflege Graubünden eine Zustandsuntersuchung.

In den unteren Zonen im Chor sind Putz und Malerei weitgehend zerstört. An der Ostwand führte die Salzbelastung (Anmerkung: Analysiert durch Dr. A. Arnold, Leiter des techn. Labors, Inst. für Denkmalpflege der ETH Zürich, Kalisalpeter (KNO3)) bis in die Gewölbeflächen zu grossen Verlusten, weil das Aussenniveau heute 2.50 m höher liegt. Zudem bewirkte das Beheizen der Kirche vermehrte Kristallisationszyklen was verstärkte Salzsprengungen und damit enorme Malschichtverluste verursachte. Gefährdend erwiesen sich auch die grossflächigen, stark gipshaltigen Putzergänzungen, die mit dem Expandieren die angrenzenden original bemalten Putzzonen vom Mauerwerk abgestossen haben. Dadurch sind ausgedehnte Hohlstellen entstanden. Ausserdem zeigten sich Gipsausblühungen. Unzählige Schlaglöcher, die als Haftbrücke für die Überputzung angebracht wurden, waren mit Gips ausgefüllt.

Ungünstiger Einfluss auf die Vertikalbelastung der Mauern durch Änderungen am Dachstuhl und unstabiler Baugrund bedingten Rissbildungen, die vereinzelt ebenfalls zu Hohlstellen im Putz führten.

Die von Chr. Schmid aufgetragene Heissleimfixierung (Glutinleim) und die mit Kasein zu stark gebundenen Farben hatten fatale Folgen: Diese stark hygroskopischen Werkstoffe reagierten mit Quell- und Schrumpfbewegungen auf die Klimasituation und rissen Übermalungen mitsamt der originalen Malerei vom Bildträger: die Farbschicht rollte sich schüsselförmig ab oder bildete kleinsplittrige Abhebungen.

Es zeigte sich also ein Gesamtzustand, der nur durch eine Entrestaurierung den noch vorhandenen originalen Bildbestand konservieren liess.

Restaurierung 1996/97

Die mit Salzen gesättigten modernen Putze von 1910 und ca 1970 im Sockelbereich wurden entfernt und zur Salzextraktion ein Opferputz aufgezogen. In Bereichen der Malerei erfolgte die Salzextraktion mit Buchenzellstoff-Kompressen. Vorrangig war die Sicherung der losen Malschichten mit Klucel und die Putzfestigung mit Kieselsäureester, besonders entlang der der zu entfernenden Gipsputzergänzungen. Hohlstellen und tiefe Risse wurden mit Kalkmörtelschlämme unter Zusatz von wenig Weisszement hintergossen. Die verbräunte, gefährdende Leimfixierung und die Übermalungen sowie noch vorhandene Kalktünchereste konnten entweder mechanisch oder chemisch entfernt werden.

Für alle Putzergänzungen wurde reiner Sumpfkalkmörtel verwendet; die Schlaglöcher schlossen wir niveaugleich zur Bildoberfläche, die grossen Fehlstellen blieben etwas zurückgesetzt und natur belassen.

Feine Aquarellretuschen erfolgten in Absprache mit der kant. Denkmalpflege. Das Verhältnis zwischen grossen Fehlstellen und geschlossenem Bildbestand hält sich im Gleichgewicht, die vorhandenen Darstellungen sind in ihrer noch vorhandenen Farbgebung klar lesbar.

Wie sehr die 1910 "restaurierte" freskale Malerei im Chor gelitten hat, belegen die wieder freigelegten Fragmente an der Triumphbogenwand, die heute die besterhaltenen Bildteile darstellen.

Die Malweise und die angewandte Freskotechnik der Kalkmalerei weisen auf einen Maler aus dem deutschen Kunstkreis. Italienische Einflüsse sind in der Bildkompositon und besonders in der Art der schablonierten gelben Rahmungen nicht zu übersehen. Grosse Ähnlichkeiten zeigen die Chormalerei in der Ref. Pfarrkirche Waltensburg um 1450 ebenso die gleichzeitige Malerei an der Nordwand in der Pfarrkirche Igis (beides Graubünden).

Literatur

O. Emmenegger, Untersuchungsbericht der Ref. Filialkirche Masans, Merlischachen 1980, MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers

O. Emmenegger, Restaurierungsbericht "Wandmalereien in der Ref. Pfarrkirche Masans, Zizers 1998. MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers

Andreas Arnold, Masans, Chur, Ref. Pfarrkirche, Wandmalerei: Proben, Untersuchung, Zürich 1996, MS. O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers

Erwin Poeschel, KDM Graubünden Bd. VII, S. 253-255

Ref. Pfarrkirche Lüen, Kt.Graubünden

Wandmalerei 14. Jh.

Die 1084 erbaute kleine, rechteckige Saalkirche ist nach Südosten gerichtet und dem hl. Zeno geweiht. An der Chorwand und dem ursprünglichen Bauteil der Langseiten befinden sich Wandmalereien um 1340, die der Werkstatt des Waltensburgermeisters zugeschrieben sind. Wohl im 17. Jh. wurde die Anlage nach Nordwesten verlängert und die flache Holzdecke durch ein Tonnengewölbe ersetzt. Dadurch wurden an den Langseiten die oberen Bereiche des Bildzyklus abgeschnitten. Es handelt sich in 2 Bildstreifen fortlaufend dargestellte Szenen aus dem Leben Christi, an der Südwand oben links beginnend. An der Ostwand sind fast lebensgrosse Apostel aufgereiht wovon je 2 an der Seitenwand den doppelreihigen Zyklus flankieren und damit die Chorzone betonen.

Die Malerei umrahmenden Blatt- und Rosettenborten weisen noch spätromanischen Charakter auf. Stilistische wie maltechnische Merkmale weisen klar auf den Waltensburgermeister, nur die Ausführungen sind oft so ungelenk, dass sie nicht von der Hand des Meisters, sondern von einem Gesellen stammen.

Untersuchung 1996

Der Waltensburgermeister und seine Werkstatt kümmerte sich nur um die künstlerische Gestaltung, nicht aber um den putztechnischen Aufbau. Bei allen 11 von uns untersuchten und konservierten Malereien dieses Meisters und seiner Werkstatt wurden bestehende Putze als Arriccio für den neuen Bildträger benutzt, egal ob sie sandeten, hohl lagen oder blätternde Tünchen aufwiesen. Dies hatte seine Folgen: Der Bildträger (Intonaco) trennte sich leicht vom Untergrund bei mechanischen Belastungen (bauliche Veränderungen, Erdbeben, Frost- und Salzsprengungen, massive Freilegungsmethoden usw.). Der frisch aufgetragene Intonaco konnte nie genügend karbonatisieren und sandet, da ihm das Wasser vom bestehenden Putz zu sehr entzogen wurde; während die al fresco bemalte Intonaco-Oberfläche eine harte Schale bildet.

Dies wurde der Malerei von Lüen bei der Renovation von 1926 durch Christian Schmid zum Verhängnis. Bei der Freilegung mit Hammer und Spachtel klopfte und kratzte er nicht nur die Kalküber-tünchungen weg, sondern riss auch viel von der Malerei mit. Der Verlust durch diese Freilegung beträgt ca 45%, dabei erweiterten sich die hohlliegenden Bereiche und das bemalte Intonaco hat sich teils schollenweise gelockert.

Das Problem der grossflächig entstandenen Fehlstellen löste Chr. Schmid mit schummerigen und impresionistischen Ergänzungen und enorm grosszügigen Übermalungen. Meist wurde das Original den Ergänzungen angepasst!

Gefährliche, breite Risse verursachten weitere Schäden; der unstabile Baugrund bewegte sich talwärts und das Gebäude drohte abzurutschen.

Restaurierung 2000/01

Die kant. Denkmalpflege Graubünden setzte das Ziel, die Malerei des Waltensburgmeisters zu konservieren unter Beibehaltung der Ausführungen von Chr. Schmid, denn das Original ist derart zugerichtet, dass der Aufwand einer Entrestaurierung in keinem Verhältnis steht.

Die Massnahmen beschränkten sich auf das Reinigen der Malerei, die Putzfestigung, das Hinterfüllen der Hohlräume, Salzextraktionen und das Sichern loser Malschichten. Beruhigende Retuschen auf neuen Mörtelkittungen und stark störenden Fehlstellen erfolgten in Absprache mit der Denkmalpflege, Bauherrschaft und dem Architekten.

Literatur:

Erwin Poeschel, KDM Graubünden, Bd. VII, S. 194 - 198.

O. Emmenegger / Anna Coello, Restaurierungsbericht: Ref. Pfarrkirche Lüen, MS. Archiv O. Emmenegger & Söhne AG, Zizers

Zusammenfassung

Dieser Aufsatz zeigt Überlegungen und Begründungen zum jeweiligen Restaurierungskonzept auf. Damit sollte klargestellt werden, dass das Objekt die Vorgehensweise bestimmt und entsprechend vernünftig gehandelt, das gesetzte Ziel auch erreicht werden kann.

Die Beispiele Valeriakirche und Pfarrkirche Lüen mögen beweisen, dass die Konservierung einer früheren Restaurierung zu einem anschaulichen Ergebnis führen kann, selbst wenn das überdeckte Original eine wesentlich bessere Qualität aufweist.

Das Beispiel Masans zeigt hingegen die Gefährlichkeit verwendeter Werkstoffe und daher eine Entrestaurierung die einzig konservierende Massnahme darstellt.

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