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Probleme mit Rezepturen
Autor: Prof. Oskar Emmenegger
Überträgt man dies auf Handwerker, die in der Denkmalpflege tätig sind und
die Restauratoren im allgemeinen, so birgt der Umgang mit Rezepturen Gefahren.
Restauratoren verwenden häufig mündlich oder aus der Literatur überlieferte
Arbeitsanweisungen und Werkstoffe ohne deren Vor- und Nachteile abschätzen zu
können, da ihnen die Erfahrung und das Gefühl für das Material fehlt. Dies mag
anhand des nachfolgenden Beispieles erklärt werden. Vergolder und Restauratoren
haben ihre Grundrezepte für die Bindemittelanteile von Grundierung, Leimlösche
und dem Poliment für Vergoldungen. Diese Grundrezepte sind aber nur
Ausgangsverhältnisse, die während der Arbeit individuell geändert werden. Jetzt
wird nicht mehr gemessen, sondern das Gefühl und die Erfahrung bestimmen, ob
mehr Wasser oder Leim hinzugefügt werden soll. Der Erfahrene erkennt dies daran,
wie beispielsweise das Poliment vom Pinsel tropft und wie es sich mit dem Pinsel
verteilen lässt. Wird das Poliment zu schwach gebunden, splittert die Vergoldung
beim Polieren mit dem Achat weg. Ist es zu stark gebunden, lässt sich die
Vergoldung nicht mehr polieren, sondern wird verkratzt. Dazu kommen dann noch
die Schäden nach längerer Zeit, wie eine verstärkte Anfälligkeit bei Einwirkung
von Feuchtigkeit oder Absplittern und Abrollen der Vergoldung bei
Klimaschwankungen. Für Versilberungen muss das Grundrezept für das Poliment
abgewandelt werden, was auch im Gefühl des Ausführenden liegen muss.
Noch tragischer wirkt sich die Anwendung von falschen Rezepturen aus, wenn
ein Handwerker für die Denkmalpflege Aufträge ausführen will, es aber nur
gewöhnt ist, mit Werkstoffen umzugehen, die an modernen Bauten verwendet werden.
In vielen Fällen werden an denkmalpflegerischen Objekten Fertigprodukte
verwendet. Hier wird das Arbeitsvorgehen von der Herstellerfirma bestimmt, und
vom Ausführenden kann in der Regel keine Rücksicht auf die Gegebenheiten des
Bauwerks genommen werden. Meistens kennt der Handwerker die Zusammensetzung des
verwendeten Werkstoffes nicht.
In den Gebrauchanweisungen von Anstrichmaterialien steht, dass der Untergrund
auf dem sie aufgebracht werden sollen, einwandfrei sauber, wisch- und tragfest
sein muss. Ist dies nicht der Fall, muss er entsprechend behandelt oder entfernt
werden. Wie soll der Handwerker das verstehen, wenn es sich um ein historisches
Bauwerk mit mehreren erhaltungswürdigen Anstrichen handelt, die diesen
Anforderungen gar nicht entsprechen ? Hier steht er vor der Gewissensfrage, soll
er den denkmalpflegerischen Prinzipien der "Substanzerhaltung" folgen, oder was
ihm sicherer erscheinen wird, die Gebrauchsanweisung berücksichtigen. Diese
lösen die Garantiefrage und entsprechen den SIA Bestimmungen. Im allgemeinen
kann gesagt werden, dass an denkmalpflegerischen Bauwerken die Erhaltung des
historischen Putzes im Vordergrund steht. Dies ist in den meisten Fällen mit
Fertigputzen nicht möglich, wenn man an die Vielfalt der Oberflächenstrukturen
und der Putzzusammensetzungen denkt, an die moderne Putze aus dem Sack nie
angeglichen werden können.
Auch in der Baudenkmalpflege können ohne Fingerspitzengefühl befolgte Rezepte
zu Fehlern bei der Restaurierung führen. Dies sei an einem Beispiel aus der
Putztechnologie erklärt. In Büchern findet man das Putzrezept: 3 RT Sand und 1
RT Bindemittel.
Dieses Rezept stimmt aber nur wenn der Sand eine gut abgestimmte Sieblinie
von 0 bis 4 mm aufweist. Doch ist die Korngrössenverteilung eines Sandes vom 0
bis 4 mm aus dem Wallis, dem Tessin oder Graubünden jedesmal eine andere. Schon
zwischen dem Luzerner Seesand und dem Grubensand aus Wohlhusen oder dem
Rheinsand bei Chur und dem aus dem Misox gibt es beträchliche Unterschiede. Der
eine Ort liefert Sand, der zuviel 0 bis 2 mm und zuwenig 3 bis 4 mm Korn
aufweist, der andere Ort liefert Sand von 0 bis 4 mm weil kein anderer Sand
vorhanden ist. Die Regel sagt: je feiner der Sand um so grösser ist der
Bindemittelbedarf, denn je feiner der Sand in einem Volumenanteil ist, um so
grösser wird die Oberfläche dieses Sandeinhaltes, der gebundenen sein muss.
Schon aus dieser Regel ist zu erkennen, dass der Bindemittelbedarf von der
individuellen Korngrössenverteilung und von dem örtlichen Vorkommen abhängig
ist, und nicht von der Norm 3:1. Daraus sieht man, dass Rezepte nicht
verallgemeinert werden dürfen und nicht für alle vorkommenden Fälle anwendbar
sind.
Um diese Probleme zugunsten der Erhaltung der Kunstwerke und
denkmalpflegerischen Objekte lösen zu können, müssen die Ausführenden und die
Verantwortlichen eine entsprechend gute Ausbildung erhalten. Darüber hinaus
braucht der verantwortungsvolle Ausführende die volle Unterstützung der
Denkmalpflege, damit er von den abwegigen Garantieleistungen entlastet wird,
wenn diese beispielsweise eine Angelegenheit des Unterhalts wäre. Auch wenn die
Rezepte, dem Objekt entsprechend, noch so sorgfältig ausgeführt werden, nützt
dies wenig, wenn die Arbeiten aus Termingründen zur falschen Jahreszeit
ausgeführt werden müssen. Man hört immer wieder den Spruch: "Man kann über die
Alpen ein Lineal legen. Südlich dieser Linie werden Wandmalereien und Stein mit
Paraloid und nördlich davon mit Kieselester konserviert". Dieses Wort sei
abschliessend als Warnung erwähnt.
In solch einer Verallgemeinerung der Rezepte und Konservierungsmethoden,
erkennt man einen erschreckenden Mangel an Feingefühl, bei dem nicht das Objekt
die Methode bestimmt.
Copyright © 1997 Oskar Emmenegger & Söhne AG and Prof. Oskar Emmenegger. All rights reserved.
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