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Biologischer Schädlingsbefall Wie vertragen sich Objekte und Massnahmen ?
Autor: Prof. Oskar Emmenegger
Dem biologischen Schädlingsbefall eines Kunstwerks und den dadurch
entstandenen Schäden wird in der Regel zuwenig Rechnung getragen, denn die
Schäden und Verluste entstehen im Mikrobereich und werden daher unterschätzt,
wenn nicht gar heruntergespielt. Der Abbau eines Bindemittels lässt sich schwer
nachweisen; wenn Farben und Grundierungen wischen, sucht man daher die
Schadensursachen bei naheliegenderen Möglichkeiten. Auf Holzschädlinge wie
Anobien oder Hausbock reagiert man dagegen viel schneller, denn die durch diese
Insekten verursachten Schäden sind spektakulär. Häufig werden dann
unverhältnismässige bis unverantwortbre Massnahmen getroffen.
Man beschränkt sich in der Schädlingsbekämpfung immer noch zu sehr darauf,
irgend ein wirksames Gift gegen einen Schadensverursacher einzusetzen. Zeigt
eine Malerei oder die Fassung einer Plastik biologischen Befall, zum Beispiel
durch Insekten, Bakterien oder Schimmelpilze, ist es nicht ratsam, im nächsten
Spezialgeschäft ein Insektizid oder Fungizid zu kaufen und es anzuwenden. Es ist
auch falsch, ein Bekämpfungsmittel einzusetzen, nur weil es sich an dem einen
oder anderen Objekt schon bewährt haben soll oder von Verkäufern besonders
empfohlen wird. Durch ein solches Vorgehen können nicht nur die Umwelt, der
Verbraucher und die Raumbenutzer geschädigt werden, sondern auch das zu
konservierende Kunstwerk. Das Bekämpfungsmittel und die darin enthaltenen
Lösemittel fügen dem Kunstwerk unter Umständen mehr Schäden zu als die
Organismen, die man damit vernichten will.
Vor dem Einsatz eines Bekämpfungsmittels muss sich der Anwender nicht nur
über den Nutzen, sondern auch über die möglichen Risiken im klaren sein:
- Eine Reihe erprobter Wirkstoffe kann bedenkenlos eingesetzt werden. Doch
ist zu bedenken, dass ein Teil dieser Wirkstoffe nur kurzfristig wirksam, und
ein Neubefall sich jederzeit wiederholen kann. Oft ist sogar eine
Doppelwirkung angesagt und danach eine Behandlung mit starker aber kurzer
Wirkung.
- Es gibt keine Patentrezepte, denn jedes Kunstwerk hat seine besonderen
Voraussetzungen, und die Organismen reagieren je nach Art unterschiedlich auf
Biozide und Lösemittel.
- Wird die Schadensursache nicht erfasst und behoben, führt eine
Fungizidbehandlung auch langfristig kaum zum Ziel.
- Es ist zu überprüfen, ob Wirkstoffe, Löse- und Verteilungsmittel für
Pigmente und Bindemittel verträglich sind.
- Die beteiligten Experten sind darüber zu orientieren, welches Löse- oder
Verteilungsmittel das zu behandelnde Objekt verträgt. Auf diese Vorgabe hin
kann der Biologe dann Auskunft geben, welche Verteilungsmittel zusammen mit
den Wirkstoffen die beste Wirkung mit dem minimalsten Gifteinsatz erzeugen.
Viele Biozide reagieren besser in wässrigem Milieu, andere in organischen
Lösemitteln oder Alkohol.
- Ein Fertigprodukt beinhaltet heute unter Umständen nicht mehr dieselben
Wirkstoffe wie noch vor ein paar Jahren. Firmen modifizieren die
Zusammensetzung ihrer Produkte oft, ohne den Produktenamen zu ändern.
- Beim Kauf von Bioziden und Insektiziden ist dringend anzuraten, sich nicht
nur vom Verkäufer beraten zu lassen, sondern den technischen Kundendienst zu
verlangen und Merkblätter anzufordern.
Jeder restauratorischen Behandlung sollte eine Untersuchung vorausgehen um zu
klären, welche Umstände zu einem Befall durch schädigende Organismen führen
könnten. Eine der wichtigsten Aufgaben des Denkmalpflegers, Restaurators und
Architekten ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich keine schädlichen
Organismen entwickeln können. Dies ist auch deshalb wichtig, weil Pilze, Sporen
und eine Reihe von Bakterien im Überdauerungsstadium langfristig kaum abzutöten
sind, ohne Menschen, Umwelt und Objekte zu gefährden.
Vorgehen
Stellt man biologischen Befall fest, so ist es falsch, die Naturwissenschaft
sofort auf die Baustelle zu bitten oder gar gleich ein Bekämpfungsmittel
einzusetzen. Man benötigt vorerst von der Denkmalpflege, dem Restaurator und vom
Architekten diverse Angaben. So möchten die Biologen der EMPA St. Gallen zuerst
folgende Fragen geklärt wissen: Kommen die Organismen am Äusseren oder im
Inneren des Gebäudes vor ? Wo befindet sich das Ausstattungsobjekt ? Welche
Funktion kommt ihm zu? Wie ist das Klima im Umfeld des Objektes ? Ist die
Umgebung feucht und wenn ja, woher kommt die Feuchtigkeit ? Ist mangelnder
Bauunterhalt zu beobachten, oder ist das Kunstwerk stark verschmutzt ? Wachsen
die Schimmelpilze oder Bakterien auf dem Original, den Übermalungen oder
Fixierungen ? In welcher Technik wurde die Malerei oder die Fassung ausgeführt,
und welche Bindemittel wurden verwendet ? Finden sich Fixier-, Festigungs- und
Bindemittel für Retuschen von früheren Restaurierungen ?
Nebst all diesen Angaben braucht die EMPA St. Gallen auch Proben der
beobachteten Organismen und eventuell Fotos. Man will vorerst die Pilze
bestimmen und deren Lebensbedingungen erfassen. Erst aufgrund dieser Unterlagen
und nach einem eventuellen Augenschein vor Ort kann der Biologe gezielt
Massnahmen anbieten. Seine Vorschläge sind im Dialog mit dem Restaurator und der
Denkmalpflege zu einer endgültigen Lösung weiterzuentwickeln.
Die Mitverantwortung der Denkmalpflege und des Architekten ist unerlässlich,
wenn z.B. ein Dachstuhl, Deckenbalken, Holzböden, Holzbauten oder Täfelungen
konserviert werden müssen. In solchen Fällen wird in der Regel eine Spezialfirma
beauftragt. Bestenfalls wird ein Restaurator als Berater beigezogen. Die
Spezialfirma ist sicher kompetent, was die Wirkungsweise ihres Produktes gegen
Insekten und Schimmelpilze angeht. Dagegen kümmern sich solche Firmen in der
Regel nicht um die Frage, ob die Anwendung ihres Produkts nachteilige
Auswirkungen auf umliegende Bauteile oder Kunstwerke haben könnte. So wollte
eine Firma die Ausstattung einer Kirche unbedingt begasen, lehnte aber zugleich
jede Verantwortung ab, falls Schäden an Kunstgegenständen entstehen sollten.
Ein Beispiel für mögliche Schäden an Kunstwerken beim Einsatz von
Bekämpfungsmitteln: In der Kapelle Kirchbühl bei Sempach sind die Deckenbalken,
die Mauerpfetten und der Dachstuhl unterschiedlich stark von Anobien und
Hausbock befallen. An den Wänden befinden sich wertvolle Wandmalereien des
frühen 14. Jahrhunderts, die bis an die zu behandelnden Balken anschliessen.
Eine Spezialfirma will die Schädlinge mit einem Wirkstoff auf "Ölbasis" abtöten.
Das Mittel soll aufgespritzt und injiziert werden. Durch die Injektion gelangt
sicher Konservierungsmittel in das Mauerwerk und somit auch in die Bereiche der
Wandmalereien. Direkte Schäden an den Wandmalereien sind dadurch kaum zu
erwarten, sicher aber Farbveränderungen und Fleckenbildungen bei unvorsichtigem
Verarbeiten, weil das Produkt auf Ölbasis hergestellt sein soll. In der Regel
enthalten solche Schutzmittel Wachs oder Paraffin.
Auch ist zu beachten, dass Lösemitteldämpfe explosiv sind. Beim Imprägnieren
des Dachstuhles einer Kirche im Kanton Aargau fing dieser Feuer und brannte
völlig aus.
Betrachten wir aufgrund der Tabelle von Dr. Graf die gebräuchlichsten
Wirkstoffe etwas näher. Die Wirkstoffgruppe "Gase" darf, ausser Formaldehyd,
grundsätzlich nur von Spezialfirmen verarbeitet werden, die über entsprechende
Einrichtungen verfügen und denen die Schutzmassnahmen geläufig sind. Alle diese
Bekämpfungsstoffe vernichten vorhandene Insekten und Pilze gründlich, bieten
aber keinen Langzeitschutz. Die mit solchen Wirkstoffen behandelten Altarretabel,
Figuren, Tafelbilder und Wandmalereien können jederzeit erneut von Insekten und
Pilzen befallen werden.
Bioseminar
- Propylenoxid tötet Insekten und Pilze wirksam ab, bietet aber keinen
Langzeitschutz. Schäden an Objekten sind nicht bekannt.
- Ethylenoxid tötet Insekten und Pilze wirksam ab, bietet aber keinen
Langzeitschutz. Gefahr: Eisenoxydpigmente können verändert werden, wenn sie
von Bindemitteln oder Firnissen nicht umhüllt sind. Ethylenoxid greift Eisen
an. Es löst Öle und Harze.
- Formaldehyd tötet Pilze wirksam ab, bietet aber keinen Langzeitschutz.
Gefahr: Eiweisse (Proteine) werden unlöslich, was bei Übermalungen, Retuschen
und Fixierungen, die reversibel bleiben sollten, nicht erwünscht ist.
Farblacke, vor allem Krapp, sind gefährdet. Weil Formaldehyd in Wasser
angesetzt wird, sind Seccopartien mit wässrigen Bindemittelsystemen an
Wandmalereien mit Vorsicht zu behandeln. Formaldehyd bleicht zudem
unbeschichtete Hölzer.
- Blausäure wirkt gründlich gegen Insekten, bietet aber keinen
Langzeitschutz. Gefahr: Die Substanz greift Metallauflagen an, zum Beispiel
Gold und Silber wenn sich kein Schutzüberzug darüber befindet. Ansonsten ist
Blausäure anscheinend gefahrlos für das zu behandelnde Objekt. Problematisch
sind die Schutzvorkehrungen, wenn zum Beispiel Ausstattungen in Kirchenräumen
begast werden.
- Tributylzinnverbindungen eignen sich für Pilzbekämpfungen und zeigen auch
in sehr niedriger Dosierung Langzeitwirkung. Nicht gefahrlos sind die
Kohlenwasserstoffe oder Alkohol, die dem Wirkstoff als Verteilungsmittel
zugefügt werden. Bei unsachgemässem Vorgehen können diese Stoffe Bindemittel
wie Harze und Öle, aber auch Firnisse anlösen. Besonders gefährdet sind
Asphalt enthaltende Farben und Lacklüsterungen.
- Triazole und Carbonate sind neue Wirkstoffe, die holzzerstörende Pilze
töten. Die Löseeigenschaften für Harze, Öle oder Eiweiss sind von den
Verteilungsmitteln abhängig.
- Dito 6.
- Borax, Borsäure und Oktoborate töten holzzerstörende Pilze und Insekten.
Es sind Bautenschutzmittel. Gefahr: Borate sind in Wasser gelöste Salze,
die vor allem als Bautenschutzmittel eingesetzt werden. Sie gefährden
Wandmalereien und ihre Träger. Ebenso gefährlich ist ein Bekämpfungsmittel,
das gegen den Hausschwamm in das Mauerwerk injiziert wird und
Natriumbicarbonat enthält. Letzteres wird als Sperrmantel verwendet, das im
Mauerwerk noch vorhandene, lebensfähige Mycele abtötet.
- Quaternäre Ammoniumverbindungen haben Langzeitwirkung. Der Wirkstoff ist
mit Wasser angesetzt. Ist ein Mauerwerk oder ein Putz mit Salzen belastet,
besteht deshalb die Gefahr, dass diese Salze aktiviert werden können. Raschle
macht aufmerksam, dass mit quaternären Ammoniumverbindungen behandelte Wände,
respektive Wandmalereien vor der Weiterarbeit absolut trocken sein müssen,
sonst haften Bindemittel nicht.
- Phenole dunkeln nach, damit behandelte Wandmalereien wurden gelbbraun
verfärbt. Na2-Phenylphenolate sind in Wasser angesetzt und deshalb für
wasserempfindliche Malereien ungeeignet.
Zusammenfassung
Der Einsatz von Bekämpfungsmitteln darf nicht unüberlegt erfolgen.
Vielmehr müssen Überlegungen vorausgehen wie: Kann man das Umfeld des befallenen
Bereichs beeinflussen, zum Beispiel durch geeignete Klimaregelungen und
Bausanierungen, um dadurch eventuell auf den Einsatz von Gift verzichten zu
können ?
Durch Klimaregelungen ist es möglich, die Lebensbedingungen verschiedener
Mikroorganismen einzuschränken. Der Nachteil dieser Massnahme kann sein, dass
dadurch ein trockeneres Klima geschaffen wird, bei dem in Lösung sich befindende
Salze kristallisieren.
Begasungen sind eine Aufgabe für Spezialfirmen. Auf den vorgeschlagenen
Einsatz von Wirkstoffen muss der Restaurator Einfluss nehmen können und zwar
wenn möglich in Zusammenarbeit mit einem Biologen, der mit Kunstgütern vertraut
ist. Dieser Grundsatz gilt auch für andere Bekämpfungsmittel, die eine Firma
einsetzen will. Der Restaurator kennt das ihm anvertraute Objekt und dessen
Umfeld am besten. Dementsprechend muss er reagieren, wenn gefährliche Wirkstoffe
und Lösemittel zum Einsatz kommen können.
Die Denkmalpflege, der Restaurator und der Architekt sind auf die Beratung
der Biologen angewiesen. Die Zusammensetzung von Wirkstoffen ist kompliziert und
oft vielseitig präparierbar, je nach Bedingungsvorgaben. Diese kann aber nur der
mit Kunstgut vertraute Biologe zusammenstellen.
Es wäre sehr sinnvoll, wenn sich die Denkmalpflege, Restauratoren und
Biologen vermehrt zum gemeinsamen Gespräch zusammenfinden könnten, um sich
gegenseitig für ihre Anliegen zu sensibilisieren und gemeinsam die optimale, dem
Kunstwerk angepasste Lösung zu erarbeiten.
Wandmalereien in öffentlichen Gebäuden sind besonders gefährdet durch
Schimmelpilze und Bakterien. Klima, intensive Nutzung und erschwerte Kontrollen
weil die Positionen ohne Gerüst oft nicht zu erreichen sind, begünstigen einen
Befall.
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