Dokumentation und Kartierung (NIKE)
Autor: Rafael Emmenegger
Die Untersuchung eines Baues oder eines Kunstwerkes liefert dem Auftraggeber,
der Denkmalpflege, dem Architekten, dem Restaurator und den Handwerkern die
Grundlagen zur Ausarbeitung eines Programmes für die Erhaltung eines
Kunstwerkes.
Eine Untersuchung ist daher unerlässlich und sollte nach folgenden
Gesichtspunkten durchgeführt werden: Die denkmalpflegerische, die
restauratorische und technologische sowie die archäologische Untersuchung.
- Das Ziel des Denkmalpflegers ist, ein Baudenkmal als ganzes mit seiner
Umgebung, im Hinblick auf seine Erschaffung zu erfassen. Ferner beurteilt er
die Ausstattungen und inventarisiert sie.
- Das Ziel des Archäologen ist, ein Baudenkmal und seinen Boden auf seine
Geschichte und Bauperioden zu untersuchen.
Das Ziel einer restauratorischen und technischen Untersuchung ist, die
Beschaffenheit eines Baues oder Kunstwerkes zu erfassen, den Erhaltungszustand
des Objektes festzustellen und die Schäden, wie deren Ursachen zu dokumentieren.
Doch um Schadensbilder und die weitere Entwicklung der Schäden zu verfolgen,
müssen vorerst Dokumentationsgrundlagen vorliegen, in denen die Beobachtungen
kartiert werden können. Nur so lassen sich der Schadensverlauf verfolgen, ein
konservatorisches Konzept erstellen und die Erfolgschancen abwiegen. Solchen
Untersuchungsergebnissen und den daraus resultierenden Konservierungskonzepten
gilt dieser Beitrag.
Bei den drei folgenden Beispielen, der Deckenmalerei in der kath. Pfarrkirche
Horw, den Wandmalereien in der Klosterkirche Müstair und der figürlich bemalten
Holzdecke in Zillis, haben die Kartierungsergebnisse die nachfolgenden
Konservierungsmassnahmen entscheidend beeinflusst.
Das Kartierungsvorgehen
Das allgemeine Vorgehen war bei den drei Objekten, bis auf einzelne,
objektbezogene Sonderheiten, das gleiche.
Auf über den Fotos befestigten, dokumentenechten Polyesterfolien, wurden die
Schäden, Fotopositionen, Probeentnahmestellen, maltechnische Beobachtungen und
durchgeführte Notsicherungen eingetragen. Für die Eintragungen benutzten wir
polymere, wischfreie Bleistiftminen. Als Orientierungshilfen haben wir auf den
Folien die Ränder der Fotos markiert und für die Erfassung mit dem Computer an
den Ecken der Folie Fadenkreuze angebracht. Die Kartierungen wurden
anschliessend mit dem Computer eingescant, wozu die Folien für die Erfassung der
Eintragungen beidseitig matt sein müssen. Besonders typische Schadensbilder und
besonders gefährdete Befundstellen erhielten bei den Untersuchungen in Müstair
zu den kartierten Stellen eine Nummer. Diese Nummer findet sich wieder in
der entsprechenden Zustandsbeschreibung dieser Befundstelle. Bei der
Schadenskartierung der Zilliser Decke erhielten grundsätzlich sämtliche losen
Malschichten eine Nummer und eine dazugehörende Zustands- und
Situationsbeschreibung.
Allgemeines Vorgehen
Für die Erfassung der Schadstellen, Fotopositionen, Maltechniken, etc.
enthalten, durch den Computer kommen grundsätzlich drei Methoden zur Anwendung:
- Digitalisieren
- Vektorisieren
- Erfassung vor Ort
Dabei muss sofort erwähnt werden, dass aus Kostengründen die Methode drei,
weil zu aufwendig, kaum einmal angewandt wird. Wir beschränken uns deshalb hier
auf die ersten beiden Methoden, welcher die Idee zu Grunde liegt, alle
relevanten Daten bei der Baustelle auf die Polyesterfolien einzutragen und
später bei der Computeranlage weiterzuverarbeiten.
Digitalisieren
Diese Methode beruht auf dem CAD (Computer Aided Design = Computer
unterstütztes Zeichnen). Dabei wird eine Folie auf einem Digisizer - eine Art
Zeichenbrett - gelegt und mit Hilfe eines geeigneten Erfassungsgerätes vom
Programm eingelesen, also quasi in den Computer "hineingezeichnet". Dieses Gerät
ist etwa zu vergleichen mit der allgemein bekannten "Maus" des Personal
Computers, jedoch mit einem Fadenkreuz. Es besteht dabei die Möglichkeit, auf
dem Bildschirm des Computers eine vorher eingelesene Fotografie zu hinterlegen
und diese als Orientierungshilfe zu gebrauchen. Die Digitalisierung erfolgt
mittels des unter Bearbeitung erwähnten Programmes RestauroCAD.
Vektorisieren
Beim Vektorisieren werden die Polyesterfolien zuerst vom Scanner erfasst. Der
Scanner ist ein Gerät, welches die Folie, die zu diesem Zwecke beidseitig matt
sein muss, abtastet und ein entsprechendes Abbild im Computer anfertigt. Dieses
Abbild ist danach zur Weiterverarbeitung bereit.
Bearbeitung
Sind die Vorlagen erst einmal im Computer abgelegt, so können diese nun
weiterverarbeitet werden. Das geschieht mit Hilfe eines von der Abteilung - EDV
selber entwickelten Programmes mit dem Namen RestauroCAD. Dieses basiert auf dem
CAD-Kernel Heron und wird gleichzeitig auch benutzt für das oben erwähnte
Digitalisieren.
Der Vorteil von RestauroCAD ist nun der Umstand, dass es auf die speziellen
Bedürfnisse der Restauration ausgelegt wurde. Das Programm 'kennt' daher den
Arbeitsablauf in der Restauration und kann geeignete Prozesse entsprechend
automatisieren, respektive selbständig durchführen. So werden beispielsweise zu
jeder Vorlage automatisch die benötigten Layer eröffnet. Ein Layer entspricht
einer Folie, auf der die erfassten Daten wie Schadstellen, Probeentnahmestellen,
maltechnische Beobachtungen und durchgeführte Notsicherungen eingetragen sind.
Anhand dieser Datenbank werden auch Farbe, Dicke der Linie, Füllmuster sowie
weiter Attribute definiert. Das Programm enthält auch weitere Automatismen wie
geeignete Wahl der Farbpalette, automatisches Einfügen von Beschreibungen, etc.
Datenerfassung
Im weiteren können zu jeder Schadstelle eine Nummer, Datum Bezeichnung und
Beschreibung in der Datenbank abgelegt werden. Bei Messung wird zusätzlich auch
noch der Messwert erfasst. Die Fotoerfassung ist nachfolgend genauer
beschrieben. Durch einfaches Klicken auf das Symbol können somit Schadenstexte,
Messungen etc. abgerufen werden. Datum, Nummer, Bezeichnung sowie Messwert
werden automatische in einem separaten Zeichnungslayer eingetragen. Auch hier
werden die Farbe, Dicke der Linie, Füllmuster sowie weitere Attribute anhand
einer Datenbank definiert. Die Daten können zur weiteren Bearbeitung exportiert
werden. Die Beschreibung können im weiteren in einen ASCII-Text
gespeichert werden oder auch aus einem ASCII-Text eingelesen werden.
Ausgabe
Die Resultate der so bearbeiteten Vorlagen können wahlweise auf einen
Plotter, auf einen Laserdrucker, oder über den Farbkopierer ausgegeben werden.
Verwaltung: Die Datenbanken
Für die Verwaltung (Katalogisierung) der Dokumente stehen zwei miteinander
verknüpfte Datenbanken zur Verfügung (RestauroDOC).
Eine Datenbank dient der allgemeinen Verwaltung von Objekten. Ein Objekt ist
ein einheitlicher Teil eines Projektes und identifiziert dieses eindeutig
mittels einem Schlüssel, welcher besteht aus den drei Teilen: Landeskennzahl,
Postleitzahl, und einem objektspezifischen Code. Die Datenbank enthält weitere
Informationen wie: Suchbezeichnung, Ortschaft, für die Schweiz den Kanton,
eine Beschreibung, etc.
Die zweite Datenbank dient zur Verwaltung der Fotos. Ein Foto wird eindeutig
identifiziert durch den Objektcode, Monat und Jahr der Aufnahme, und eine
fotospezifische Kennummer. Über den Objektcode sind die beiden Datenbanken
miteinander verknüpft. In der Foto-Datenbank sind weitere Informationen
gespeichert wie: Projektnummer, Copyright, eine Beschreibung, Art und Anzahl der
Negative / Abzüge, Fotograf, Aufnahmedatum, etc. Anhand dieser Datenbank können
automatische Kleber für Dias, Fotos und Negativtaschen erstellt werden. Für die
redaktionelle Korrektur der Fotobeschreibungen werden spezielle Korrekturlisten,
mit Spalten in denen die Korrekturen eingetragen werden, erzeugt. Anhand dieser
Datenbank werden Files erzeugt, mit deren Unterstützung in einem geeigneten
Satzprogramm die Fotodokumentation erzeugt werden kann.
Das Beispiel der kath. Pfarrkirche Horw
Von 1813 bis 1815 wurde die kath. Pfarrkirche Horw gebaut und im Inneren die
Gewölbeflächen mit Freskomalereien von Xaver Hecht ausgeschmückt. Es sind wohl
die spätesten barocken Deckengemälde der Schweiz. Der ursprüngliche Bau von
Josef Singer hatte im Schiff nur zwei Joche. Die Verlängerung um ein Joch nach
Westen ist eine Zutat von 1937.
Im Chor ist das Abendmahl, im Ostjoch des Schiffes die Tempelreinigung und im
Mitteljoch die Maria Himmelfahrt dargestellt. Seitlich dieser Deckenbilder im
Schiff befinden sich um das Bild der Tempelreinigung, die Darstellungen der vier
Evangelisten und um das Bild Maria Himmelfahrt die vier Kirchenväter. Im
Westjoch malte Hans Zürcher 1937 die Disputation der Heiligen Katharina
von Alexandrien.
1890 sind die ursprünglichen Hechtschen Darstellungen von Jos. Balmer
übermalt worden. Er benutzte eine fette Tempera für die weisse Grundierung und
Glutinleim als Bindemittel für die Malerei. Er übernahm die Bildthemen von
Hecht, schuf aber total neue Kompositionen. Weil diese Maltechnik nicht geeignet
ist für einen mineralischen Bildträger aus Putz, entstanden bald Schäden an
Original und Übermalungen.
Schon 1938 musste Georg Troxler die Malereien von Balmer, die damals
beträchtliche Schäden und Verluste aufwiesen, renovieren. Troxler ergänzte die
Fehlstellen und übermalte die Darstellungen von Balmer teilweise.
Bei der Restaurierung von 1994 bestand eigentlich die Absicht die
ursprüngliche Malerei von Hecht nicht freizulegen, sondern die Darstellungen von
Balmer mitsamt den Übermalungen von Troxler zu erhalten und zu konservieren.
Diese Meinung galt solange, bis der Zustand der Malereien von einem Gerüst aus
untersucht und die Schäden dokumentiert und kartiert worden sind. Die Malereien
waren teilweise dicht mit Schimmelpilzen überwachsen. Durch Spannung der
hygroskopischen Grundierung von Balmer und der Bindemittel für die Übermalungen
von Balmer und Troxler, entstanden erneut schwere Schäden und Verluste. Es sind
grossflächig verteilte, schollenartig und schüsselförmig aufstehende und
abrollende Malschichten, die erst mit einer Beleuchtung im Streiflicht erkennbar
wurden (Foto, Pilze und lose Malschicht). Diese losen Übermalungen haben jeweils
die Originalmalerei mitgerissen.
Für die Denkmalpflege, den Architekten, die Bauherrschaft und die
Restauratoren stellten diese Befunde vorerst nicht genügend Argumente dar, um
die Übermalungen von Balmer und Troxler zugunsten der ursprünglichen Malereien
zu opfern. Zu viele Fragen standen noch offen. Zum Beispiel: Wie gross ist der
Umfang des Pilzbefalls und der losen Malschichten ? Lassen sich die losen
Malschichten konservieren ohne dadurch die originale Freskomalerei zu gefährden
? Sind die Übermalungen langfristig weiterhin eine Gefahr für das Original ? Wie
gross ist der wirkliche originale Bildbestand, weist er grosse Fehlstellen auf
oder ist er gar nur fragmentarisch erhalten? Die letzte Frage war schnell
beantwortet, der Originalbestand ist erstaunlich gross, doch dies allein
berechtigte eine Freilegung immer noch nicht. Erst aufgrund der Kartierung der
losen Malschichten und des Pilzbefalls wurde der Umfang der Schäden ersichtlich
und es war zu erkennen, wie sehr die Originalmalerei gefährdet ist. Sie
langfristig zu erhalten ist nur gewährleistet, wenn die Übermalungen entfernt
werden. Die Klebstoffe, mit denen die losen Temperaübermalungen an das Original
zurückgeklebt worden wären, hätten die ursprüngliche Malerei zusätzlich
gefährdet.
Die Kartierungen, die Fotos von Schadstellen, der Zustandsbericht und die
geklärten Schadensursachen führten zum Entschluss, das ursprüngliche
Restaurierungskonzept die Über-malungen zu erhalten, zu ändern. Statt dessen
wurde die Originalmalerei freigelegt und konserviert. Der grosse Aufwand
um die Übermalungen erhalten zu können und dadurch die originale Freskomalerei
weiterhin zu gefährden, wäre unverantwortbar gewesen. Das Beispiel Horw mag
belegen, dass die oft gehörten Äusserungen "Keine Wandmalereien freilegen, sie
würden dadurch dem Zerfall erst recht preisgegeben" nur beschränkt richtig ist.
Im Fall Horw bedeutete die Freilegung die Rettung der Originalmalerei.
Beispiel evang. Pfarrkirche Zillis
In der Pfarrkirche von Zillis befindet sich die berühmte, von Erwin Poeschel
um 1140 datierte, figürlich bemalte Holzdecke. Seit 1971 wurde diese Decke alle
sieben bis neun Jahre eingerüstet und auf den Zustand kontrolliert. Während der
Kampagne von 1989 sollten die besonders gefährdeten Schadstellen dokumentiert
und konserviert werden. Zur Verfügung gestellt wurden uns Fotos der
Restaurierungen von 1939 bis 40 und 1971 sowie die dazu gehörenden Berichte. Des
weiteren wurden neue Schwarzweiss- und Farbfotos angefertigt. Sie dienten als
Grundlage für die Schadenskartierungen.
Die Fotos und Berichte der beiden oben genannten Restaurierungen
dokumentieren den damaligen katastrophalen Zustand. Zugleich zeugen sie von den
hervorragend durchgeführten Konservierungen, ohne die wir heute enorme Verluste
zu beklagen hätten.
Bald nach Beginn der Untersuchung von 1989 stellten wir fest, dass neben den
herkömmlichen Schäden neue Schadensformen, wie abrollende und kleinsplittrig
sich abhebende Malschichten entstanden waren. Obwohl die Bildtafeln Schäden
aufwiesen die dringend hätten gesichert werden müssen, verzichteten wir vorerst
darauf, erneut Werkstoffe für die Rückklebung loser Malschichten einzusetzen.
Wir befürchteten, dass die künftige Schadensentwicklung sich verschlimmern
könnte durch die Summe weiterer Klebstoffe zu der bereits früher zweimal
eingesetzten Getreidestärke. Nach Absprache mit der Denkmalpflege wurde das
Programm geändert. Statt einer voreiligen weiteren Sicherung wurden die Schäden
sämtlicher Tafeln mit originalem Bildbestand kartiert und die Befundstellen
beschrieben. Das Ergebnis dieser Untersuchungen wurde 1990 Fachleuten aus dem
In- und Ausland an einem Kolloquium in Zillis vorgestellt. Inzwischen wurde ein
Forschungsprojekt organisiert mit dem Ziel, die Ursachen der Schäden zu erfassen
und das Vorgehen der künftigen, dringend notwendigen Konservierung
auszuarbeiten. Die Schadenskartierungen und die Untersuchungsergebnisse von 1989
dienten für dieses Projekt als Basis um die Entwicklung der Schäden an den
Malereien verfolgen zu können.
Durch die grosse Zahl von Bildern musste man sich für das Projekt auf sechs
ausgewählte Referenzbilder beschränken, die innerhalb von drei Jahren sechs mal
überprüft wurden. Erst aufgrund der wiederholt ausgeführten Zustandskartierungen
konnten wir eindeutige Beweise bringen, die eine rapide Zunahme der Schäden und
Verluste belegen.
Copyright © 1997 Prof. Oskar Emmenegger and Oskar Emmenegger & Söhne AG. All rights reserved.
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