Oskar Emmenegger & Söhne AG, Restaurator, Stöcklistrasse, CH-7205 Zizers, Telefon 081-3072201, Telefax 081-3072251 Oskar Emmenegger & Söhne AG, Restaurator
 

Publikationen

Gotische Altäre und ihre Restaurierungsprobleme

Autor: Prof. Oskar Emmenegger

Eine erfolgreiche Restaurierung oder Konservierung ist abhängig von der Nutzung des historischen Kunstwerkes und dem Zustand seines Umfeldes. Jedes verwendete Material, sei es Stein, Verputz, Holz, die Farben und deren Bindemittel sind dem unaufhaltsamen, natürlichen Alterungsprozess und der Verwitterung ausgesetzt. Diesen Zerfall kann der Denkmalpfleger, Konservator und Restaurator nur verzögern. Er wird aber rapid beschleunigt, wenn der Unterhalt des Objektes und dessen Umfeld mangelhaft und die Massnahmen ungenügend oder falsch sind. Wichtig ist die Grenze des Möglichen zu kennen, die richtigen Massnahmen zu treffen und das Mass der benötigten Werkstoffe zu bestimmen. Falsche Eingriffe bedingt durch modische Umgestaltung oder Veränderungen nach modernen Bedürfnissen, wie Heizung, Beleuchtung, Alarmanlagen, können zu unwiderruflichen Schäden führen ("Zerstörung nach Vorschrift"). Zusatzanmerkung I.

Beschlüsse im Alleingang zu fällen, führt selten zum Erfolg. Von grösster Wichtigkeit ist, dass Auftraggeber, Architekt, Handwerker, die verschieden natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen mit der Denkmalpflege und dem Restaurator zusammenarbeiten. Entscheidend ist, dass die Konservierung oder Restaurierung des Objekts mit entsprechend praktischer Erfahrung fachlich kompetent durchgeführt wird. Zu oft werden nötige Massnahmen verzögert oder gar nicht ausgeführt, da bei schwierigen Aufgaben für den Restaurator zu theoretische Gutachten und Empfehlungen vorliegen, die in der Praxis gar nicht ausführbar sind. Dies gilt vorallem für architekturgebundene Kunstwerke in Kirchen und Kapellen, wie Altäre, Bauplastiken und Wandmalereien u.s.w..

Um die Zusammenhänge der "Probleme der Restaurierung spätgotischer Altäre" besser aufzuzeigen, werden nachfolgend die Mal- und Fasstechnik sowie die Restaurierungsgeschichte dieser Kunstwerke vorgestellt.

Bildträger, Mal- und Fasstechnik

Seit der Frühzeit bis zum 18. Jahrhundert war es selbstverständlich, dass beinahe alles plastisch Geschaffene, von der Architektur, dem Retabel bis zur Skulptur, ob aus Stein, Stuck, Holz und Metall eine kunstvoll gestaltete Oberflächenbehandlung erhielt. Sie bestand aus Farbfassungen, Metallauflagen und nicht selten aus Appliken. Mittelalterliche bis barocke Skulpturen zeigen oft derart kunstvoll ausgeführte Fassungen, dass man durchaus von farbigen Bildwerken auf der Skulptur sprechen darf. Vergleicht man gemalte Inkarnate gotischer Tafelmalerei mit solchen an Figuren, stellt man fest, dass beides Malerei ist. Dies wird besonders deutlich, wenn man versucht, die räumlichen Verhältnisse einer Figur ausser acht zulassen. Es trifft nicht zu, dass Figuren einfach angestrichen und vergoldet sind, wie dies "plumpe Übermalungen" des 19. und 20. Jahrhunderts vermuten lassen. Vielmehr handelt es sich um gleichermassen hochstehende Malerei wie bei Tafelbildern eines gemalten und gefassten Kopfes). Etwas gewagt gesagt, ersetzt die Skulptur mit ihrer plastischen Form das perspektivische, zeichnerische Gerüst.

Wie viele Beispiele zeigen, bestehen die plastischen Formen einer Figur nicht durchgehend aus demselben Material, dem Holz. Sie wurden nicht selten ergänzt, mit Kittaufmodellierungen, durch in die Kreidegrundierung geschnittene Formen wie Augenfalten, mit aufgenagelten Lederstreifen, aufgesetzten Edelsteinimitationen und aufgeklebten Haaren. Dies sind alles Zutaten, wo das reine Schnitzwerk einer angestrebten Realität nicht mehr genügte. Die Fassung umschliesst all diese plastischen Gestaltungen zu einer optisch vollendeten Einheit. Die hohe Wertstellung dieser Arbeiten zeigen Zahlungsbelege, die beweisen, dass Fassungen an Figuren und Retabeln weit höher abgegolten wurden als Schnitzarbeiten (1). Aufschlussreich ist auch die von Kanzler Dr. Sebastian Brant 1515 im Artikelbuch für Maler eingetragene Strassburger Meisterstückverordnung. Demnach muss der in die Meisterzunft Aufzunehmende in Öl und Leimfarbmalerei und im Bemalen eines Schnitzwerkes sein Können unter Beweis stellen.

....."ein Marienbild von öly farben mit eym kindelin sitzende oder stende"

"Item Ein Crucefix mit eym gestrenge, als Märien, Johannies und andere frowen, darby die Juden zu Ross und füss inn einer lanttschafft von lymfarben"

"Item für das dritt ein Marienbild oder Engel oder sunst ein junges byld mit gewant das gesnytten ist, soll er fassen pronieren vergulden und mit lassieren und ander zierung Elen hoch ungevärlich." (2)

In der Zeit des Neoklassizismus, besonders aber in der Romantik und im Historismus herrschten ideologische Strömungen der Rationalität, Formenreinheit und Materialechtheit vor. Für die theoretische Formulierung neuer ästhetischer Grundlagen wurde vorallem J. J. Winkelmann zum Vorkämpfer. Er förderte die Gegenbewegung von Barock und Rokoko zum Ideal der Antike und hob sie auf beinahe autoritäre Normen. Jedoch schon Ende des 18. Jahrhunderts wandte man sich gegen die farbige Fassung, wie ein Zitat aus der Schrift, Plastik von Herder, 1778 zeigt: "Es war schlechter Geschmack der letzten Jahrhunderte, dass man statt schön zu machen, reich machte und Glas oder Silber hineinsetzte. Ebenso warens Jugend der Kunst, die noch aus hölzernen Denkmalen hervorgeht, da man die Statuen färbte. In der schönsten Zeiten brauchten sie weder Röcke noch Farbe, weder Augapfel noch Silber, die Kunst stand wie Venus nackt da - das war ihr Geschmack und Reichtum."

Diese Auffassung wirkte sich auf die kunstvoll gefassten Figuren noch bis ins 20. Jahrhundert verheerend aus. Unendlich viele Figuren wurden abgelaugt und ihrer wichtigsten künstlerischen Aussage beraubt. Glücklicherweise gingen diese dem Bildersturm ähnlichen Tendenzen an den mehr als dreissig spätgotischen, noch erhaltenen Altäre in Kirchen und Kapellen Graubündens spurlos vorbei. Das Besondere dabei ist, dass auch die Fassung der meisten Retabel dieser Altäre noch vorhanden ist.

Das Holz der Bildwerke, als Bildträger und seine Verarbeitung

Die technischen Forschungsergebnisse beruhen auf Beobachtungen, die wir während des Konservierens von zwölf gotischen Altären, diversen Figuren, sowie bei zwei Untersuchungskamagnen, die wir begleiten durften gesammelt haben (3).

Die untersuchten Retabel Graubündens zeigen regelmässig die Verarbeitung von Tannen- beziehungsweise Fichten- und Lindenholz. Das Nadelholz wurde verwendet für die tragenden Teile des Retabels, die Predella und Fialen, für den Schrein und als Träger für die Tafelbilder. Das zum Schnitzen geeignete Lindenholz diente für die Figuren, Krabben, Kreuzblumen, für das Schleiergitter und die Profile. Ausser dem Hochaltar von Jakob Russ in der Kathedrale Chur, sind alle spätgotischen Altäre Graubündens Importware aus dem schwäbischen Raum. Dies erklärt, warum für diese Altäre Holz vom Baumbestand des näheren Herkunftgebietes verarbeitet wurde (4).

Für Skulpturen wurden grossgewachsene, ausgereifte Bäume genutzt. Für die Herstellung von Bildtafeln spielte die Breite des Stammes eine untergeordnete Rolle. Dafür verlangten die Meisterzünfte, dass gesundes und qualitativ wertvolles Holz verarbeitet wurde. Besonders streng waren die Zunftverordnungen der Maler in Gent 1338, der Tischler von Noyen 1398 und Paris 1467, sowie der Maler und Bildhauer von Abbéville 1508. Sie drohten mit schweren Strafen, wenn Splint oder astreiches Holz verwendet wurde. Dass kein astreiches, verbranntes oder pilzbefallenes Holz für gewerbliche Zwecke verarbeitet wurde, dafür sorgte 1467 in Frankreich ein königlicher Erlass (5). Diese Anforderungen haben noch heute Gültigkeit und werden vor allem vom Schreiner und Maler verlangt: denn Holz mit saftführendem Splint ist für Insektenbefall und Fäulnis besonders anfällig. Beim Schnitzen einer Skulptur werden diese Bereiche des Stammes weitgehend entfernt.
Ob die schwäbischen Bildhauer des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts Modelle benutzten, wie dies ihre italienischen Kollegen des 16. Jahrhunderts pflegten, ist nicht bekannt.

Hingegen ist durch kunstgeschichtliche Untersuchungen sichergestellt, dass nicht nur die Maler Kupferstiche und Holzschnitte zeitgenössischer Künstler zum Vorbild nahmen. Besonders beliebt waren Drucke, zum Beispiel von Martin Schongauer und Albrecht Dürer, die auch von den Bildhauern als Vorlage benutzt wurden. Sicher dienten auch werkstatteigene Zeichnungen für die massenhaft zu schaffenden Skulpturen. Für Grossaufträge waren sicher Risszeichnungen erforderlich, wie zum Beispiel der Riss des Hochaltars für das Ulmer Münster von Jörg Syrlin d.Ä. Der 231 cm hohe und 81 cm breite Riss diente als Entwurfzeichnung und der Auftragserteilung. Das Retabel, die Fialen mit den Krabben und die Skulpturen sind bis ins feinste Detail dargestellt. Entwürfe dieser Art sind für die Bündner Altäre nicht belegt und waren für die relativ kleinen Retabel wahrscheinlich auch nicht notwendig. Die exportorientierenden schwäbischen Altarbauwerkstätten lieferten ab cirka 1470 bis zur Reformation immerhin mehr als 90 Retabel nach Graubünden (6). Somit konnte ein neuer Auftraggeber schon anhand von Beispielen seine Vorstellungen und Wünsche zusammenstellen.

Wie entsteht eine Skulptur oder ein Relief ?

Zuerst suchte sich der Bildhauer das geeignete Holz aus und sägte vom Stamm ein Teilstück ab, das in Höhe und Breite grösser sein musste als das zu schnitzende Bildwerk. Für kleinere Skulpturen dienten entsprechend dicke Äste und für Flachreliefs zurechtgesägte Bohlenbretter. Bisweilen nutzte man sogar den Gabelwuchs eines Stammes, wovon es in der Kathedrale Chur ein Beispiel gibt: Jakob Russ schuf 1492 für den Hochaltar die Figurengruppe "Krönung Mariens", deren Standfläche eine Breite von 107 cm einnimmt. Die vollplastische Darstellung besteht aus zwei zusammengefügten Werkstücken. Für das Teilstück Maria und Gottvater verwendete Jakob Russ das Gabelwerkstück einer Linde um die gewünschte Breite von 71 cm zu erhalten. Zählt man das Rohmass und den entfernten Splint hinzu, dürfte das Gabelwerkstück am Stamm cirka stattliche 85 cm gemessen haben. Für die Schreinfiguren wurden die herausgesägten Teilstücke des Stammes in der Mitte mit Keilen auseinandergespalten. Je zwei ¾-Reliefskulpturen konnten aus einem halbierten Stamm geschnitzt werden, wobei die gespaltene Fläche die Rückseite der Skulptur bildet.

Zum Schnitzen der Skulpturen und Reliefs benutzte der Bildhauer des späten Mittelalters einen Werkbock mit dem er Holzblöcke verschiedener Grösse horizontal einspannen konnte (7). Zugleich liessen sich die Werkstücke nach Bedarf um die eigene Achse drehen. Zum Einspannen wurde dem Rohling in ein vorgebohrtes Loch im Oberbereich, wo der Kopf entstehen sollte, ein Eisendorn eingelassen. Am Schluss der Ausführung wurde das Loch mit einem Holzdübel geschlossen. Im Bereich der Standfläche wurde das Werkstück mit geschmiedeten, paarweisen Eisendornen fixiert. Während der Konservierung diverser Retabelausstattungen Graubündens, konnten an den Standflächen von Skulpturen quadratische, rechteckige und flacheisenartige Abdrücke solcher zweizinkiger Gabeln beobachtet werden. Innerhalb eines Retabels konnten, ausser bei kleinen Skulpturen, dieselben Gabelformen nachgewiesen werden (8).

Wie und ob überhaupt eine 1:1 Entwurfsskizze der plastischen Formgebung direkt auf das Werkstück übertragen wurde, wissen wir nicht. Wir vermuten hingegen, dass eine skizzenhafte Umzeichnung aufgrund einer 1:1 Entwurfsskizze genügte. Dafür sprechen belegte Kohlevorzeichnungen an der Rückseite des Reliefs "Anbetung der Könige" am Blaubeurener Hochaltar (9). Sicher ist hingegen, dass der Bildhauer auf den Werkblock eine Mittelachse zeichnete. Damit hatte er die Proportionen der Skulpturen bestimmt und markierte zugleich die Position der Kompositionszeichnung. An der Standfläche der Schreinmadonna des Churer Hochaltars von Jakob Russ, hat sich eine mit Rötel gezeichnete Mittelachse erhalten. Von der Vorzeichnung hat der Bildhauer die Umrisse der Skulptur oder des Reliefs auf die Rückseite des Werkstückes übertragen, so zum Beispiel am "Zwiefaltener-Relief" der Grablegung im Württembergischen Landesmuseum, des Talheimer Pankratius und der Madonna vom Kilchberger Retabel (10).

Der auf die Rückseite des Werkblockes übertragenen Umrisszeichnung entsprechend, sägte der Bildhauer das überschüssige Material weg. Nun begann er mit dem Beschlagbeil oder der Axt die Grobform der Skulptur herauszuarbeiten. Danach folgte das schichtweise Abarbeiten mit dem Stech-, Ball- und Hohleisen, herantastend an die Vorformen von Gewandfalten, Beinen, Armen, Händen, Gesichtern, Haaren usw. Je feinere Wölbungen und Vertiefungen die Gestaltung erlangte, umso raffiniertere Variationen von flachgerundeten Schnitzeisen und Hohlbohrern (stark U-förmige Schnitzeisen) waren erforderlich. Um besonders tiefe und hinterschnittene Gewandfalten oder Haarlocken zu formen, wurden stark verkröpfte und verkehrtverkröpfte Schnitzwerkzeuge wie flachgerundete Meissel und Hohleisen eingesetzt. Mit verschieden breiten Geissfüssen (V-förmiges Schnitzeisen) schnitt man feinste Runzeln, Augenfalten, Augenlider, Fingernägel, Gewandborten, Haarlocken u.s.w. aus dem Holz.

Um Schwundrisse am Werkstück zu vermeiden, musste die Rückseite der Skulptur bereits während der Rohformbearbeitung mit dem Dechsel, Hohl- und Balleisen möglichst tief herausgearbeitet werden (11). Entfernt werden musste vor allem der Holzkern. Nicht selten wurde auch die Kopfrückseite ebenfalls tief ausgehöhlt. Die stehengebliebene Wandung einer ausgehöhlten Skulptur variierte 1 bis 8 cm, je nach Stärke des Faltenwurfes. Auch an Reliefs wurden die Rückseiten ausgehöhlt, allerdings nur innerhalb stark plastisch gestalteter Bereiche. Damit keine Verluststellen und Durchbrüche durch falsches Aushöhlen entstanden, waren die an der Reliefrückseite ausgeführten Kohlezeichnungen besonders wichtig. Freistehende und vollplastische Gesprengeskulpturen sind nicht immer ausgehöhlt. Wenn ja, dann ist die Höhlung mit einem Brett geschlossen, das durch Schnitzen der Umgebung angepasst wurde.

Oft wurde aber doch beim schnellen, routinierten Schnitzen an Faltentiefen, am Halsbereich oder im Hintergrund der Beine durchgebrochen. Bei kleineren Ausbrüchen wurde die Verluststelle mit Gewebe überkaschiert oder mit aufgeklebten Holzschnitzeln geschlossen. Im Bereich von dünnen Wandungen und grösseren Ausbrüchen hatte man Brettchen passgenau ins Holz eingesetzt und die Schadstelle nachgeschnitzt. Immer wieder finden sich an den rückseitigen Flächen der Skulpturen bis zu 5 cm dicke, aufgeklebte und mit Holzdübeln fixierte Bretteile.

Die Verbindungsflächen wurden perfekt mit einem Hobel und durch Abziehen mit einer Metallklinge geglättet. Die Form wurde dem Umfeld entsprechend durch Schnitzen angepasst. Für dünne Aufschichtungen bei einfachen Gewandfalten verwendeten die Bildhauer Nadelholz. Am St. Blasius des Tinizonger Hochaltars und am St. Martin des Brigelser Retabel Tanne. Weil die Aufdoppelung am Brigelser St. Martin nur mit Hartholzdübeln befestigt wurde blieb eine Fuge offen, weshalb diese mit Papier überklebt wurde. Am unteren Gewandende ist die breite offene Fuge dazu noch mit einer schmalen Holzleiste verklebt. Für Aufdoppelungen wo eine anspruchsvolle Anpassung durch Schnitzen erforderlich war, kam Lindenholz zur Verwendung. Anstückungen wurden notwendig, wenn das Spalten des Stammes ungünstig verlief und Abrisse entstanden. Dadurch stand zu wenig Material für das Volumen der zu schaffenden Skulptur zur Verfügung. Oder weil beim Aussuchen des Rohlings die benötigte Breite unterschätzt wurde.

Über das manuelle Vorgehen an den Reliefs der Altarflügel und Predellen von Bündner Altären weisen unsere Kenntnisse noch Lücken auf. Dies vor allem, weil wir die Rückseiten nur selten untersuchen können. Meistens sind am Träger ursprünglichen Aufnagelung und Verschraubung erhalten. Am Tinizonger Retabel sind die Reliefs der Feiertagsseiten durch die Passionsbilder der Werktagsseite hindurch befestigt. Die Schraubenköpfe sind innerhalb dieser Bilder von Jürg Kändel sogar dem Umfeld entsprechend bemalt.

Aufgrund der untersuchten und konservierten Retabel wissen wir, dass die aus dicken Bohlenbrettern geschnitzten Reliefs kaum Schwundrisse aufweisen. Dies hat seine Gründe: Zum Schnitzen wurde nur gut gelagertes und qualitativ wertvolles Holz verwendet. Die Bildhauer achteten sehr darauf, dass das Kernholz beim Heraussägen der Bohlen ebenfalls weggesägt wurde. Zudem sind breite Reliefs aus mehreren Bohlen zusammengefügt. Wären diese Massnahmen nicht geschehen, würden heute die Reliefs Schwundrisse und stark geworfene Bohlenbretter aufweisen. An den Rückseiten der Reliefs finden sich oft die Werkspuren der Klobsäge, zum Beispiel am Relief des Bettlers zur Skulptur des Hl. Martin im Brigelser Retabel. Die Bildseiten hingegen wurden vor dem Schnitzen mit dem Hobel geglättet. Der Schnitzvorgang war derselbe wie bei den Skulpturen.

Funktion des Retabels: sein Aufbau

Ein spätgotisches Retabel besteht aus der Predella, dem Schrein, den beweglichen Flügeln und vereinzelt auch aus Standflügeln. Interessanterweise finden sich Standflügel in Graubünden nur an Altären für die Jürg Kändel von Biberach als Auftragnehmer verantwortlich war. So am Hochaltar in Tinizong (signiert und 1512 datiert), am Retabel in der Kapelle St. Martin in Brigels (nicht signiert aber 1518 datiert). An den Retabel der Pfarrkirchen Mompé Medel, Sevgein und Vignogn (signiert und datiert 1516) fehlen leider heute die Standflügel. Zum Bestand eines Retabels gehört auch das dem Schrein aufgesetzte Gesprenge. Es besteht aus schmalen Pfeilern, oft Baldachine und Fialen mit schlanken, hohen Verdachungen tragend, die mit Krabben und Kreuzblumen besetzt sind. Als Verzierung am Schrein, an den Feiertagsseiten der Flügel und selten auch an der Predella gehören Mass- und Schleierwerk dazu.

Das Retabel stellt nicht nur die präsentable Rahmung dar, sondern ist Träger der Ausstattung und vereint die plastischen Bildwerke und die Tafelbilder zu einem Gesamtwerk. Das Retabel hatte vor allem eine liturgische Funktion was durch die Gestaltung und Aufgabe der Flügel deutlich wird. Die geöffneten Flügel zeigen die sogenannten "Feiertagsseiten", geschlossen sind die "Werktagsseiten" zu betrachten (12). Bis ins späte Mittelalter war es Brauch, dass der Priester und die Gläubigen nach der Messe in einer Prozession um den Altar schritten. Entsprechend diesem Zeremoniell ist der Hauptaltartisch mit dem Retabel weit vorne im Chorraum aufgestellt. Deshalb wird verständlich, warum auch die Rückseite des Hauptaltars mit Malerei und bisweilen mit Skulpturen geschmückt ist und dass die Gesprengeskulpturen vollplastisch geschnitzt und rundum farbig gefasst wurden.

Ein Retabel ist das Gemeinschaftswerk von Maler, Bildhauer und Schreiner. Meistens waren Maler für das Altarprojekt zuständig. Dem Bildhauer wurden die Skulpturen, Blattwerke und Krabben anvertraut, der Schreiner führte die tragenden Elemente aus (13).

In Graubünden sind an mehrere Retabeln als Auftragnehmer belegt die Maler H.H. (Hans Huber von Feldkirch ?) und Jürg Kändel von Biberach. Einziges belegtes Werk wo ein Bildhauer der Vertragspartner war, ist der Hochaltar der Kathedrale Chur von Jakob Russ aus Ravensburg der nicht importiert sondern vor Ort geschaffen wurde (14).

Am spätgotischen Retabel wird vor allem die Malerei und der reiche Skulpturenschmuck bewundert. Der Schrein mit seinen Flügeln als architektonischer Träger erhält erst mit der Fassung eine optische Aufwertung. Es ist ein hochsensibles Gebilde, das baustatisch durchdacht ist. Die schmalen Bohlen der Seitenwände, des Bodens und Deckbretts wirken meist unproportional zur Grösse des Schreins. Er trägt jedoch alles was Gewicht hat, wie die mit Reliefs versehenen Flügel, manchmal auch noch Standflügel. An grossen Retabeln, wie zum Beispiel am Tinizonger Altar, wiegt ein Flügel über 80 Kilogramm. Dazu kommen Baldachine, Gesprenge, Gesprengefiguren, Schleiergitter und Masswerke. Alles zusammen wiegt das Mehrfache des dünnwandigen Schreinkastens. Und das Gesamte steht auf der zerbrechlich wirkenden Predella, auch der Staffel und im Mittelalter Sarg genannt. Ihre Teile sind mit hölzernen Dübel und schwalbenschwanzähnlichen Zapfenverbindungen zusammengefügt.

Nichts ist unnötig am Retabel angefügt, selbst die gekehlten, zierlichen Profilleisten und elegant geschweiften Konsolen. Alles hat statisch Sinn und Funktion. Die schwere Seitenlast der Flügel verursacht einen intensiven horizontalen und diagonalen Zug am Schrein und droht ihn auseinander zu reissen. Das senkrecht wirkende Gewicht des Gesprenges und der Gesprengefiguren verhindert aber das seitliche Ausscheren des Schreingehäuses. Selbst die mit Hartholzdübeln oder Eisennägeln befestigten Masswerkgitter am Deckenbrett und Baldachin helfen den Seitenschub aufzufangen. Um das Abdriften der tragenden vertikalen Bretter zu verhindern, sind an das stark überstehende Boden- und Deckbrett der Predella profilierte Rahmenleisten mit Holzdübeln befestigt. Stark gekehlte Konsolenbretter stützen ihrerseits das besonders weit überstehende Deckbrett der Predella, denn darauf lasten die Seitenwangen des Schreins.

Geschehen an diesem ausgeklügelten System umsachgemässe Veränderungen, werden bestimmte Bereiche besonders stark belastet. Materialermüdung ist die Folge, Risse und Brüche an Verzapfungen können sich zu einer Gefahr entwickeln. Nicht umsonst mussten in barocker Zeit die Schreinwangen des Tinizonger Retabels am Äusseren mit Eisenwinkeln verstärkt werden. Verstärkung brauchten auch die auseinander gerissenen Flügelrahmen.

Die kunstvolle und statisch solide Bauweise gotischer Retabel zeigt deutlich, dass gerade die Schreiner verpflichtet waren qualitativ wertvolles Holz zu verwenden, das möglichst wenig Äste und keinen Splint aufweist. Ein Schreiner hätte es sich kaum geleistet, Holz zu verarbeiten, in dem eine Astgabel mitsamt der Rinde eingewachsen ist, wie dies der Kopf einer Skulptur von 1518 der St. Martinkapelle in Brigels zeigt.

Die Schreinerarbeit an einem gotischen Retabel soll am Beispiel des Flügelaltärchen in der Kapelle St. Martin in Brigels dargestellt werden. Das kleine Altärchen dieser Kapelle ist mit 1518 datiert, zeigt Schrein- und Gesprengefiguren und Tafelmalerei, die im Vergleich mit den Malereien an den Retabeln von Tinizong, Vigens Mompé Medels und Acla, der Werkstatt Jürg Kändel von Biberach zugeschrieben werden dürfen.

Es besteht aus dem rechteckigen Schrein und einstufiger Giebelfront. Der Baldachin bestimmt die Form des vorgeblendeten, kleeblattbogigen oberen Abschlusses, dessen Profil vom aufgesetzten Gesprenge durchwachsen wird. Schleierornamente verzieren den Abschluss und die geschwungene Grundform wird von den Flügeln übernommen. Das im Schrein stehende Figurenpodest ist mit den Schreinwangen verankert und trägt das aufgemalte Datum 1518. Auf der Rückseite der Predella wiederholt sich dieses Datum. Hinter den beweglichen Flügeln sind in die Nuten der Schreinwangen zwei Standflügel eingelassen. Ihren bogenförmigen oberen Abschluss zieren Schleierornamente und ein aufgesetzter Gesprengeteil.

Der Schrein steht auf dem stark überstehenden Deckbrett der Predella, in deren mittlerer Nische ein Relief plaziert ist. Mit Figurenschmuck ausgestattet sind nur der Schrein, die Nischen der Predella und das Gesprenge, nicht aber, wie so oft, die Feiertagsseiten der Flügel. Daher dominiert am Retabel die Malerei von Jürg Kändel von Biberach. Sie verteilt sich auf die Predella und Rückwand des Schreins, auf die beiden Seiten der zwei Standflügel und die Werktagsseiten der beweglichen Flügel.

Das Retabel und die Bildtafeln sind aus Tannenbrettern angefertigt. Lindenholz diente zum Schnitzen der Schleierornamente, Krabben, Kreuzblumen und Profile des Gesprenges. Das gut gelagerte Tannenholz zeigt wenig Äste und der Splint wurde konsequent entfernt. Einige kurze Risse die sich heute finden, entstanden 1929 durch moderne Verschraubungen und Vernagelungen (15). Bei den Bildtafeln der Schreinrückwand zeigt das 53,5 cm breite Mittelbrett eine konkave Verwerfung von 6 mm von der Bildseite her gesehen. Sehr schwach konvex geworfen sind die beiden angefügten schmalen (13 cm und 12 cm) Bretter. Die zwei Flügel sind von den Feiertagsseiten her betrachtet auch nur wenig konvex verwölbt. All dies sind deutliche Hinweise auf eine seriöse Auswahl der Bretter und Bohlen. Die Bretter der Schreinwangen und der fünf Bildtafeln zeigen nur wenige Äste; die Tafel mit der Darstellung der Maria mit Kind hat sogar keine und die der "Anbetung der Könige" weist nur drei Äste auf. Ausser am Mittelbrett der Schreinrückwand sind an allen Brettern der fünf Bildtafeln und der Predella stehende und halbliegende Jahrringe zu beobachten. Nur das erwähnte, 53,5 cm breite Mittelbrett, zeigt liegende Jahrringe. Es wurde seitlich vom Kern, als sogenanntes Seitenbrett, aus dem Stamm gesägt.

Die vom Schreiner ausgesuchten, bereits mit der Klobsäge aus dem Stamm herausgesägten Bretter und Bohlen, wurden mit dem Schropp- und Schlichthobel geglättet, dann mit dem Rauhbankhobel geebnet. Letzteres diente auch zum Ebnen der Brettstösse damit die Bretter präzise zusammengefügt werden konnten. Stark störende und lockere Äste wurden mitsamt ihrem Umfeld mit dem Stemmeisen oder Stechbeitel herausgestemmt. Die rechteckige Öffnung wurde mit einem einwandfreien Holzstück geschlossen. Eine in dieser Art und Weise durchgeführte Ausbesserung befindet sich an der Schreinwand hinter der Figur der Hl. Lucia. An gleicher Stelle finden sich auch Werkspuren des leicht schräg zu den Jahrringen geführten Schlichthobels, dessen Grate noch mit der Feile oder einer gezahnten Ziehklinge geebnet wurden. An allen andern Brettern des Schreines, der Predella und der Bildtafeln liessen sich nur die Glättungsspuren der Raubank nachweisen. Trotz der, selbst an einfachen Stützbrettchen durchgehend gepflegt geglätteten Holzoberfläche, ist ein Beispiel mit verschiedenen Werkzeugspuren erhalten: Das Relief des Bettlers, der St. Martindarstellung, wurde aus einer mehr als 6 cm starken Bohle herausgearbeitet. Erhalten sind an seiner Rückseite die Werkspuren der Klobsäge, mit der das Auftrennen des Stammes in Bohlen und Bretter geschah. Ferner finden sich am Sockelboden neben den Arbeitsspuren eines flachen Hohleisens, kurze Schnitte die von einer Stossäge stammen, mit der die Umrisse des Bettlers herausgesägt worden sind. Die unterschiedlich grossen, runden Löcher im Sockelboden wurden zum Einspannen des Werkstückes angebracht um die Schnitz- und Fassungsarbeiten ausführen zu können .

Nach dem Ablängen der Bohlen und Bretter, dem Hobeln auf die gewünschte Stärke und dem Zusammenfügen der 12 mm starken Bretter zu Bildtafeln, erfolgten die Vorkehrungen zum Zusammensetzen der Werkstücke zu einem Ganzen. Für die Seitenwangen des Schreins nutzte man 59 mm starke Bohlen, die auf die Masse 18,5 x 112 cm zugeschnitten und zurechtgehobelt waren. Daraus wurde der Länge nach auf eine Breite von 153 mm ein Brett herausgesägt (Skizze 1 und 2). Es entstand dadurch ein 22 mm tiefer Falz. In die breiter belassenen, überstehenden Teile (59 cm) wurde ein 32 mm breites Profil mit Fase, Kehle und Wulst mit dem Profilhobel herausgearbeitet, das an der Schreinfront als Deckleiste dient. Zusammen mit den Schreinwangen bildet es ein Werkstück. Um die durchschnittlich 11 mm starke Schreinrückwand aufnehmen zu können, wurde aus den Brettwangen an der entsprechenden Stelle eine 12 bis 13 mm breite Nut herausgehobelt (siehe Skizzen 1 und 2). Auch aus dem 32 mm starken Boden- und dem nur 28 mm starken Deckbrett wurden Nuten herausgehobelt.

Gleichzeitig wurden die Eckverbindungen geschaffen. Seitlich der horizontalen Bretter wurden die Schwalben und an den senkrechten Teilen (Wangen) die hinterschnittenen Zinken zurechtgeschnitten (siehe Skizze 3). Jetzt konnten alle Schreinteile zusammengefügt werden.

Vor dem Herausschneiden und -stemmen der Schwalben und Zinken, wurde deren Längeneinteilung mit dem Anreisswerkzeug markiert. Am Äussern jeder Wange findet sich eine 12 bis 13 mm breite, senkrecht herausgehobelte Nut und am unteren Ende wurde je Seite eine rechteckige Öffnung herausgestemmt. In diese Öffnungen sind die konsolenähnlichen Tragarme der Standflügel eingelassen. Die Nuten dienten der Fixierung der Standflügel.

Wie der Schrein zeigt auch die Predella eine sorgfältige Ausführung. Die weit überstehenden 32 mm starken Boden- und Deckenbretter bilden zusammen mit den 36 mm starken Nischenwänden und den Wangen die tragenden Elemente des Predellakastens. Zusammengefügt wurden die Elemente mit Zapfen an den Wangen und Nischenwänden, die in entsprechend grosse durchgestemmte Öffnungen im Boden- und Deckbrett eingelassen sind. Insgesamt finden sich im Boden- wie auch im Deckbrett 8 solche 36 x 54 mm grosse Öffnungen. Zur besseren Bindung wurden die Zapfen nach dem Zusammenfügen mit Keilen verspriesst. Geschlossen wurde der Predellakasten an der Rückseite mit einer 12 mm starken Tafel, die zugleich als Bildträger für die Darstellung "Schweisstuch Christi" dient. Links und rechts der vorderseitigen Nische sind Tafeln angebracht, mit den gemalten Darstellungen des Hl. Johannes der Täufer und Hl. Jakobus.

In die mit dem Löffelbohrer herausgebohrten Öffnungen, im Deckbrett des Schreins, wurden die aus Fichtenholz geschaffenen Fialen gesteckt. Erhalten ist auch die originale zusätzliche Befestigung mit geschmiedeten Nägeln. Entsprechend dem Steckdübelsystem sind die Verdachungen der Fialen, ohne zu verleimen aufgesetzt. Profile und Kreuzblumen der Verdachungen, jeweils als halbe Werkstücke aus Lindenholz geschnitzt, wurden an den Fialen zusammengefügt, festgeklebt und teils auch festgenagelt. Die Profile des Schleiergitters sind nur mit Holzdübeln, seitlich an den Fialen befestigt. Die Werkstücke der Fialen und Verdachungen sind genau aufeinander angepasst und wurden mit Einkerbungen markiert um Verwechslungen zu vermeiden.

Die Bestimmung der Hölzer erfolgte durch Heide Härlin, Institut für Technologie der Malerei, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, in Stuttgart.

Mal- und Fassungstechniken

War die Arbeit der Schreiner und Bildhauer an Retabel und Figuren beendet, begann die Ausführung der Maler. Sie schufen nicht nur die Tafelbilder sondern auch die Farbfassungen an Altarteilen und Figuren. Diese bestehen aus kunstvoll gemalten Inkarnaten und Metallauflagen (Blattgold, Blattsilber und Folien aus Zwischgold), die mit gravierten oder geprägten Brokat- und Rankenmotiven, sowie Applikationen verziert sind. Der Aufbau solcher Farbfassungen ist seit der Führomanik bis zum Barock ohne Unterbrechung immer gleich geblieben. Gewechselt haben hingegen die Werkstoffe, je nach regional vorkommenden Materialien, Kulturen, Traditionen oder grundsätzlichen Stiländerungen und modischen Auffassungen. Nur die Technik der Polimentglanzvergoldung wurde seit ägyptischer Zeit bis heute in derselben Art und Weise gehandhabt. Wir finden sie zum Beispiel an vielen Objekten aus dem Grabschatz des Tutanchamun im Nationalmuseum Kairo. Bereits Plinius, beschrieb diese Technik. Sie ist belegt an Ikonen des 6. Jahrhunderts im Katharinenkloster (Sinai), an romanischen und gotischen Tafelbildern und Retabeln (16).

Kulturgeschichtlich interessant sind die verwendeten Materialien. Je reichlicher der Auftraggeber dicker geschlagenes und reineres Blattgold oder teure Pigmente wie Lapislazuli, Azurit und Malachit verwenden liess umso mehr stellt er seine wohlhabende Persönlichkeit zur Schau. So gab manchmal ein Auftraggeber an, wieviele Goldblätter von einem Dukaten herzustellen sind. Um sparen zu können, hatte man zum Beispiel Zwischgold hergestellt, das aus einem besonders dünn geschlagenen Goldblatt besteht, welches auf Blattsilber liegt. Appliziert wurde es in den von vorne nicht sichtbaren Faltentiefen an Skulpturen, an Bereichen von Damasthintergründen, die sich hinter Figuren und Reliefs befinden und teilweise an Haaren von Figuren. Als besonders kostbar und teuer galt das tief dunkelblau erscheinende Azurit, das an spätgotischen Retabeln und Figuren vorkommt. Um zu sparen unterlegte man, ab der Mitte des 15. Jahrhunderts, das kostbare grobkörnige Azurit mit einem feingemahlenen, billigeren Azurit, das hellblau erscheint (17).

An allen untersuchten spätgotischen Altären Graubündens fanden wir regelmässig Untermalungen mit dem billigen, feingemahlenen Azurit und Malachit, sowie das billigere Zwischgold. Ab dem späten 14. Jahrhundert wurde das Azurit mit der billigeren Smalte gestreckt (18).

Allerdings haben wir an den spätgotischen Altären Graubündens Smalte bis jetzt nicht nachweisen können.

Aufbau der Fassungen und Tafelmalerei

Jede Farbfassung, Vergoldung und Tafelmalerei braucht den entsprechend aufgebauten Untergrund. Er besteht aus der Leimtränkung, Kaschierungen mit Gewebe oder Pflanzenfasern, der Grundierung und Präparierung. Dieser Aufbau lässt sich besser schleifen als das Holz und ist der einzig zulässige und polierfähige Aufbau für die Polimentglanzvergoldung. Zudem lassen sich auf einer solchen Grundierung Gravuren, Pastigliaarbeiten und Punzierungen viel einfacher ausführen.

Grundierung

Die spätgotischen Altäre und Skulpturen zeigen generell vorwiegend Polimentglanzvergoldungen. Zurückhaltend angewendet findet sich auch die Öl- und Leimvergoldung. Entsprechend dem materialbedingten Aufbau der Pressbrokate hatte man auch diese jeweils mit Ölvergoldungen versehen. Im folgenden wird zuerst die Polimentglanzvergoldung, danach die matt erscheinende Öl- und Leimvergoldung beschrieben. Die mit Metallauflagen versehenen Ziertechniken werden in einem separaten Kapitel behandelt.

Die Arbeit der Maler begann mit den Vorbereitungensarbeiten zum Fassen: Vor dem Grundieren wurde die Oberfläche der Bildtafeln und Retabelteile wie Schreinwangen und deren Rückwand aufgerauht. Überzähne von Brettfugen, Holzanstückungen und eingesetzte Holzstücke wurden planiert. Dazu benutzte man Feilen, Raspeln oder Ziehklingen und spitze eiserne Instrumente. An der Innenseite der Schreinrückwand und den äusseren Schreinwangen des Altärchens in der Martinskapelle in Brigels haben sich wiederholt parallele Riefen, Schabspuren und kreuz und quer geführte Ritzungen erhalten. Gleiches findet sich an den Tafelbildern des Tinizonger Altares und am Altärchen in Meierhof, Obersaxen und an den inneren Schreinwangen des Churer Hochaltares. Es dürften die Werkspuren einer Ziehklinge und eines spitzen Eiseninstrumentes sein. Damit die Grundierungsschichten auch über Asteinschlüsse, Risse, verwachsene Rinden und Holzgallen haftet, wurden sie mit kleinen Gewebestreifen, Büscheln von Hanf- und Leinenfäden, Tierhaaren und Papier mit Glutinleim oder Kalkkasein überklebt. Aufgeklebtes Papier fanden wir an der Rückseite der Martinsskulptur des Altärchens in der Martinskapelle in Brigels. An der Bodenfläche der Figurengruppe "Krönung Marias" des Hochaltars in der Kathedrale Chur, haben sich über Schrumpfrissen aufgeklebte Hanfbüschel erhalten. Büschel von Leinenfäden befinden sich über den breiten Fugen und Ästen an den Rahmen der Flügelbildern des Brigelser Altärchens. Kleine Gewebestreifen konnte man an Retabeln, Bildtafeln wie vereinzelten Figuren aller untersuchten gotischen Altäre Graubündens nachweisen.

Danach wurde auf das Holz, dort wo ein Kreidegrund folgen soll, entsprechend verdünnter Glutinleim heiss aufgestrichen, die sogenannte Leimtränke; damit wird verhindert, dass der Grundierung vom Holz zuviel Bindemittel entzogen wird. Dadurch ist eine gute Haftung zwischen Grundierung und Holz gewährleistet. Bereiche wo für Relief und Figuren ein vergoldeter Hintergrund vorgesehen war, wurden zudem vor dem Grundieren mit Leinwand überklebt. Dazu wurde das Gewebe in entsprechend verdünnten Leim getaucht, das Überschüssige ausgepresst, schnell auf die zu kaschierende Fläche ausgebreitet und mit den Händen glatt gestrichen (19). Bereiche hinter Skulpturen und Relief blieben von Kaschierungen ausgespart. Das aufgeklebte Gewebe hilft die klimabedingten Quell- und Schrumpfbewegungen des Holzes aufzufangen und auszugleichen. Dadurch werden diese Kräfte nur schwach auf die Grundierung übertragen und die Gefahr, dass die vergoldete Grundierung abgehoben wird, verringert sich stark. Mit dieser Beklebung wird erreicht, dass die Grundierung während dem Gravieren einwandfrei auf dem Träger haftet.

Nach dem Trocknen der Vorleimung und Kaschierungen wurden mehrere Lagen Kreidegrund aufgetragen: für Vergoldungen und Versilberungen sechs bis sieben Schichten, damit der Untergrund zum Polieren die nötige Geschmeidigkeit erhält. Bei Prägungen, Gravuren und Pastigliadekors war eine besonders dicke Grundierschicht erforderlich. Für Bildtafeln, farbige Retabelteile und Inkarnate genügten 3 bis 4 Kreidegrundschichten. Die ersten zwei Schichten hatte man mit breiten, runden Borstenpinsel aufgestupft, wobei die Grundierung für den ersten Auftrag mit Leim stark verdünnt wurde. Mit dem Pinsel gestrichen wurden die nächsten 2 bis 3 Grundierschichten, die jeweils nach dem Auftrocknen mit der Ziehklinge geebnet und mit Schachtelhalme geschliffen wurden. Die letzten zwei Aufträge hat man nass in nass mit dem Pinsel nur hingelegt (20). Abschliessend wurde die grundierte Oberfläche mit einem feinen, feuchten Tuch nachgeschliffen. Dadurch entstand eine besondere feine Oberfläche, die aber ihre Struktur behielt (21).

Vorallem bei Inkarnaten von Reliefs und Skulpturen ging man mit der Grundierung recht sparsam um. Man wollte verhindern, dass die feingeschnitzten Details an Gesichtern und Händen durch unnötig viele Grundierschichten undeutlich werden. Werden solche feingeschnitzten Details stärker grundiert, wurden sie mit dem Gravierstichel oder feinen geissfussförmigen Schnitzeisen perfekt nachgeformt. So vollendete künstlerische Gestaltungen zeigen die Schreinfiguren vom Hochaltar in Churwalden, die besonders qualitätvolle Fassungen der Ulmer Schule aufweisen.

Weil der im warmen Wasserbad flüssig gehaltene Kreidegrund schon bei geringer Abkühlung sofort stockt, kann er nicht wie eine Farbe mit dem Pinsel verteilt und vertrieben werden. Jeder Auftrag würde den vorherigen anlösen und aufreissen. Dadurch entstehen Knollen- und Blasenbildungen, die nach dem Trocknen nur durch mühsames Schleifen korrigiert werden können. Dies beweist, dass das Grundieren einer der wichtigsten und heikelsten Arbeitsgänge ist und grosse Erfahrung und Übung verlangt.

An den spätgotischen Altären Graubündens und deren Ausstattungen wurde für die Grundierung ausnahmslos leimgebundene Kreide verarbeitet. Der dazu verwendete Glutinleim wurde im Mittelalter und auch später aus Pergament-, Leder- oder Tierhautabfällen oder aus Knochen und Fischen zubereitet. An den spätgotischen Altären Graubündens, wie des süddeutschen Raumes findet sich keine Steinkreide (Steinmehl) als Grundiermaterial. Auch die vorwiegend in Ländern südlich der Alpen verarbeitete Gipsgrundierung konnte nicht nachgewiesen werden (22). Zum Grundieren waren die Skulpturen - wie beim Schnitzen - in der Regel horizontal in der Werkbank eingespannt. Als Beispiel dienen: die Krönung Marias im Gesprenge des Hochaltars in der Kathedrale Chur; hier finden sich am Sockelboden heruntergeflossene Tränen der Leimtränkung und der Kreidegrundierung, ebenso am Sockelboden des Hl. Johannes von Ivo Striegel im Dommuseum Chur. Nach dem Grundieren erhielten die Feiertagsseiten der Altarflügel und die Hintergründe von Schreinen gravierte und gewuggelte, letzteres auch Tremolieren genannt, Dekorationen die Textilornamente imitieren (mehr darüber im Kapitel Verzierungstechniken).

Metallauflagen

Auf die Grundierung folgt der Aufbau für die Metallauflagen aus Gold-, Zwischgold- und Silberblättern. Die Grundierung wird mit der sogenannten Leimlösche, ein stark verdünnter Glutineim, überzogen. Eine leichte Einfärbung der Leimlösche mit rotem Poliment hilft den Auftrag zu kontrollieren. Die Leimlösche bindet feinste Schleifrückstände und dient vorallem dazu dass dem nachfolgenden Vergoldungsgrund - dem Poliment - (23) das Bindemittel von der Kreidegrundierung nicht entzogen wird. Der feinstzerriebene und mit Glutinleim oder Eiklar gebundene Bolus, vom Vergolder "Poliment" genannt, wird schnell und locker mit dem Pinsel in zwei bis drei Schichten aufgetragen (24). Der so applizierte Polimentanstrich ist, von der Gotik bis zum Barock, nie so deckend aufgetragen worden, wie es heute viele Restauratoren und Vergolder fälschlicherweise tun. Das schnelle und lockere Auftragen des Poliments ist wichtig, damit der vorangegangene Anstrich vom Nachfolgenden nicht angelöst wird und krümelig austrocknet. Auf einem solchen Untergrund lassen sich angeschossene Metallauflagen nicht mehr polieren. Für die spätgotischen Altäre Graubündens wurde einheitlich nur roter Bolus verwendet, was durchweg der Gepflogenheit im süddeutschen Raum entspricht (25).

Mit einem weichen Tuch reibt man die polimentierte Oberfläche zu Glanz gut ab. Das Poliment besitzt durch seine Saugkraft und Fettigkeit die Eigenschaft im feuchten Zustand Metallauflagen zu binden. Deshalb wurde vor dem Anschiessen des Metallblattes das Poliment mit der sogenannten Netze satt angefeuchtet. In gotischer Zeit bestand diese, wie sie Cennino Cennini im Kapitel 134 beschreibt, aus mit Wasser stark verdünntem, geschlagenem Eiklar (26). Sofort muss nun auf die satt anstehende, vom Poliment noch nicht absorbierte Netze, die dünn geschlagenen Gold- oder Silberblätter mit dem Anschiesser an die vorgesehene Stelle getragen werden. Zuvor wurde jedoch das Blattgold auf dem Vergolderkissen, ein mit weichem Leder überzogenes gepolstertes Brettchen, auf die gewünschte Grösse zu recht geschnitten (27). Abschliessend erfolgte das Polieren des Goldes und anderer Blattmetalle mit einem Tierzahn oder einem zurechtgeschliefenen Edelstein (heute mit zurechtgeformten Achatsteinen). Die Intensität des Glanzes wird höher wenn der Poliervorgang bei hoher Luftfeuchtigkeit geschieht oder 1½ bis 2 Std. nach dem Applizieren des Goldes. Cennini schreibt im Kapitel unter anderem hierzu "Es ist richtig, dass du im Winter immer Vergolden kannst, weil da das Wetter feucht und mild ist und nicht trocken. Anders ist es im Sommer, da muss eine Stunde vergoldet und in der nächsten geglättet werden."

Für Leimvergoldungen wurde noch in der Spätgotik an den süddeutschen Retabeln und Figuren, somit auch an denen Graubündens, das Gold oder Silber mittels dem Netzwasser direkt auf die Leimlösche geklebt. Zu Glanz polieren lassen sich die Metallauflagen in dieser Technik nicht. Am Hochaltar, in der ehemaligen Klosterkirche in Churwalden, sind die Versilberungen an den Schreinsäulchen und den Rahmen der Tafelbilder in dieser Weise ausgeführt worden. Zur besseren Klebung wurde, an diesem Altar dem Leim etwas Honig beigemischt (analysiert von Dr. Bruno Mühlenthaler).

Die Ölvergoldung finden wir oft an den spätgotischen Retabeln und Figuren. Als Medium dienten trocknende Öle wie Hanföl oder an der Sonne oder durch kochen eingedichtetes Leinöl (Leinölfirniss), dem als Schnelltrockner Bleiweiss oder Mennige beigemischt wurde. Dieses Medium liegt in der Regel direkt auf der mit einer Leimlösche präparierten Kreidegrundierung. Metallauflagen in dieser Technik appliziert, lassen sich nicht zu Glanz polieren. Allgemein wurde diese Vergoldungsart an Pressbrokaten, an sehr fein geschnitzten Krabben die die polierbare Polimentvergoldung nicht zulässt und an Rahmen für Blüttenmotive, wozu das Medium mit einem Stempel angebracht wurde. Kurz vor dem Abbinden hat dieses Medium noch genügend Klebekraft um in dieser Phase das angeschossene Gold zu binden. Am Churwaldner Hochaltar liegen die Vergoldungen der Krabben an den Fialen, den Schleiergittern des Schreines, wie die Zacken an den Kronen auf einem Medium aus trocknendem Öl. Gleiches findet sich zum Beispiel am Churer Hochaltar an den Gewändern und Flügeln der Engel, die den Vorhang im Schrein und den Flügeln der Feiertagsseite tragen. Hier liegt das Gold mit dem Medium auf gelbem Poliment. Man darf davon ausgehen, das bewusst zwischen der matten Ölvergoldung zu den Glanzvergolungen der Schrein- und Flügelrelief ein Kontrast angestrebt wurde. Ölvergoldungen zeigen die Nimben der Heiligendarstellungen an der Predella, den Standflügeln und den Werktagsseiten der Flügel des Retabels in der Brigelser Martinskapelle und an der mit Schwarzlotmalerei versehenen Predella des Tomilser Hochaltares.

Verzierungstechniken

An spätgotischen Retabeln und Skulpturen finden sich grundsätzlich immer Verzierungen. Sie zeigen jeweils Motive, die in unterschiedlichen Techniken ausgeführt sind. So gibt es Varianten, die technisch bedingt vor dem Anschiessen der Metallauflagen ausgeführt worden sind, andere erst danach. Sie imitieren kostbare Textilien mit Brokatmustern, floralen Ornamenten, solche mit Tiermotiven und geometrischen Mustern. Zu suchen sind die Vorbilder in der mittelalterlichen, italienischen und spanischen Seidenindustrie, deren Produkte auch von Brügge aus, der Hauptumschlagplatz im Norden Europas, zum Kauf angeboten wurden. Ferner dienten Ausführungen an Altären selber zu Anregungen und der Verbreitung von Motiven und Techniken. Die Motive lassen gewisse Stilentwicklungen und Modetendenzen erkennen. So war zum Beispiel ab Mitte des 15. Jahrhunderts das Granatapfelmuster und teilweise das Pinienzapfenmotiv vorherrschend. Wie Hans Westhoff festgestellt hat, lässt sich teilweise aufgrund der Brokatmuster die ausführende Werkstatt nachweisen (28). An den süddeutschen spätgotischen Altarausstattungen und daher auch an denen in Graubünden finden wir Motive die graviert, geprägt, gemalt und mit Stempelmuster ausgeführt sind. Ferner auch Sgraffiti, Applikationen von Pressbrokaten, Haaren, Holzperlen, Edelsteinnachbildungen und so weiter. Pastigliaausführungen, eine Technik die sich bereits an diversen ägyptischen Mumiendeckeln und Holzhüllen des Grabschatzes von Tutanchamun im Nationalmuseum Kairo nachweisen lässt, konnte bis jetzt nur an der Skulpturengruppe "Krönung Marias" am Tomilser Hochaltar und an den Gewandsäumen der Figurengruppe "Krönung Marias" sowie am dazugehörenden Podest des Churwaldner Hochaltares beobachtet werden.

Gravuren

Unter Gravuren versteht man nach einer Umrisszeichnung tief in die Grundierung geritzte Motive. Die Ausführung erfolgte in gotischer Zeit noch von Malern. An allen Bündner Altären finden wir als Hintergrund zu den Schreinfiguren und den Reliefs an den Feiertagsseiten der Altarflügel gravierte Damasthintergründe. Mit gewuggelten Gravuren werden Hintergründe und Binnenflächen der dargestellten Granatapfelmotive und Rankenmuster verstärkt abgesetzt (29). Für solche Dekorationen wurden bei der Ausführung mit einer Nadel (Cennino Cennini Kapitel 123) oder mit einem Stichel eine Umrisszeichnung in die Kreidegrundierung vorgeritzte. Aufgrund beobachteter Deckungsgleichheit mancher rapportierender Textilornamente wird angenommen, dass solche Motive zuerst nach Schablonen aufgepaust und danach mit dem Stichel nachgeritzt wurden (30). Hierzu diente angeblich auch die Lochpause. Es folgten nun die Wuggelungen, sie wurden im Bereich der Binnenzeichnung, mit einem 3 bis 5 mm breiten flachen Hohleisen aus der Fläche graviert (31). Abschliessend hatte man die eingravierten Konturen der Motive mit einem schmalen Hohlbohrer nachgeschnitten, damit sie sich deutlich von den Wuggelungen absetzen (32). Nur eingeritzt wurden die rahmenden Bänder entlang den Flächen der Brokathintergründe und die Zirkelschläge für Nimben. Einfache rhombenförmige Gravuren zieren die Kronen der Schreinfiguren des Retabels von Acla. Am Hochaltar der Pfarrkirche Alvaneu, um 1506, Domat Ems 1504, Saluf um 1500 und dem in der alten Pfarrkirche Lantsch 1479 finden sich Ausnahmen. An den Schreinhintergründen und den Flügel der Feiertagsseiten dieser Retabel ziert, im Wechsel zu den Wuggelungen, auch die ältere, geriffelte Variante einer vergoldeten Hintergrundgestaltung. Sie vermitteln dadurch den plastischen Eindruck von Goldfäden in Brokatmustern realistischer als die schneller auszuführende Wuggelung.. Ferner zieren in Lantsch diese Hintergründe, wie auch jene der Flügel am Tomilser Hochaltar, nicht wie die für spätgotischen Altäre zur Regel gewordenen Granatapfelmotive, sondern Blattranken. Am Tomilser Altar wurden die Blattranken mit dem Poliment für die Vergoldungen, direkt auf die Kreidegrundierung gezeichnet. Interessanterweise wurde an allen diesen Altären der Meister H.H. für die Malerei beauftragt; er fasste auch die Figuren.

Pastiglia

Bei der Pastigliatechnik wird im Gegensatz zur Gravierung, die Reliefwirkung durch zusätzliches Auftragen mit Kreide- oder Gipsgrund und durch Nachschneiden mit Stichel oder Schnitzeisen erzielt. Meist wurde die Ausführung mit Gravierungen kombiniert. Ist das Muster auf die Grundierung gezeichnet oder aufgepaust, wird die durch Wärme flüssig gehaltene Grundierung mit dem Pinsel mehrlagig aufmodelliert. Cennini schreibt im Kapitel 124 "Es muss ein feiner langer Haarpinsel sein. Mit Geschick musst du von jenen warmen Gips in den Pinsel nehmen und schnell das, was du willst, in Flachrelief setzen. Sind es Blätter, die du modellieren willst, so zeichne sie zuerst", ... (33). Nach dem Trocknen der aufmodellierten Grundierung wird mit dem Stichel die Kontur der Dekorationen in die Grundfläche graviert. Nach der endgültigen Formgebung mit feinen Schnitzeisen hat man die Motive geschliffen, präpariert und danach vergoldet.

An den spätgotischen Tafelbildern und Skulpturen Graubündens finden sich nur wenige Beispiele die in dieser Technik ausgeführt worden sind. Am Hochaltar der ehemaligen Klosterkirche Churwalden zeigen die Flügelbilder der Werktagsseiten Nimben und Strahlen, die mit Kreidegrund aufmodelliert sind. In der selben Kirche finden sich zwei qualitätvolle Skulpturen der Ulmer Schule; ein Kruzifixus und Christus als Schmerzensmann. Die am Körper beider Skulpturen stark betonten Adern sind ebenfalls in Pastiglia aufmodelliert. Die Gewandsäume der Figurengruppe "Krönung Marias" und das zur Gruppe gehörende Podest zieren Perlen, Rosetten und Blattranken in dieser Technik. Durch Wuggelungen wurden die Hintergründe der Gewandsäume zusätzlich abgesetzt.

Pressbrokate

Pressbrokate sind dünne von Modeln abgeformte Folien, die im vergoldeten Zustand mit Lüsterfarben versehen, Skulpturen und Tafelbilder zieren. Sie imitieren kostbare, mit Goldfäden durchwirkte Brokatstoffe und wurden vorwiegend für Gewänder an Skulpturen und Tafelbildern genutzt. Für ihre Herstellung benutzte man Model aus einem weichen widerstandsfähigen Stein (Cennino Cennini Kapitel 170) in den man Brokatmuster und andere Motive schnitt. Von Modeln aus Holz oder Metall wird in den uns bekannten Quellenschriften nichts erwähnt; deren Verwendung wird aber angenommen (34). Ein Hinweis dürfte allerdings die Amerkung 4 auf Seite 195 bei Berger sein " ... im Jahre 1499 wurden für Benediktbeuren "messing illiminier modl" für 10 Pfg. gekauft (35). Den weiteren Vorgang beschreibt Cennino Cennini (Kapitel 170)." Dann lege gehämmertes Zinn, gelbes und weisses, mehrfach gefalten auf dem Model, den du nachbilden willst. Auf dieses Zinn lege so eine Art Wergpropfen, im Wasser getaucht und dann ausgedrückt. In die andere Hand nimm einen schweren Schlegel aus Weidenholz und schlage auf den Wergpropfen, indem du denselben mit der anderen Hand hin- und herbewegst und umgekehrt". Die so geprägte Zinnfolie erhielt nun ein Stützbett mit einer dünn aufgestrichenen, häufig thermoplastischen Masse. Die Zinnfolie wurde mit ihrer Trägermasse aus dem Model entfernt und vergoldet. Als letzteres überzog man die Brokathintergründe mit grünem oder rotem Lüster (36); selten wie am Hochaltar der Kathedrale Chur mit Zinnober und hellblauem Azurit. Letzteres dürfte zusammen mit den pressbrokaten an Schreinfiguren des Salufer Altars, die die einzigen nachgewiesenen Beispiele an Bündner Altären sein. Nicht selten wurden nur einzelne Brokatmotive, grossflächig verteilt, an Gewändern aufgeklebt.

Zum Hinterfüllen verwendete man verschiedene Prägemassen. So empfahl Cennino Cennini (Kapitel 128 und 170) eine mit "starkem Leim" geriebenen Gips auf die Rückseite der geprägten Zinnfolie aufzutragen. Im Tegernseer Manuskript wird hierzu eine Mischung aus Leim, Kreide und Harz empfohlen und diese mit "holtz leim" oder Mehlkleister mit einem Zusatz von zerriebenem Harz aufgeklebt (37). Für den Vorhang im Schrein der Kathedrale Chur diente zur Versteifung der Zinnfolie eine Masse in der Mennige, Bleiweiss und ein ölhaltiges Bindemittel nachgewiesen wurde. Der Pressbrokat liegt auf einer dünnen, roten, bolusartigen Schicht (38). Als Klebemittel wurden nach dem Tegernseer Manuskript, mit "holtz leim" oder Mehlkleister mit Zusatz von pulverisiertem Harz, Brokate aus Leim- Kreidegemisch aufgeklebt (39). Die schönsten, am besten erhaltenen Pressbrokate, an den spätgotischen Altären Graubündens, sind am Hochaltar der ehemaligen Klosterkirche Churwalden und der Kathedrale Chur erhalten.
Ab cirka 1510 wurde offenbar, entsprechend der Renaissance als neue Stilrichtung auf die Anwendung von Pressbrokaten weitgehend verzichtet. Dies bestätigen zum Beispiel die Altäre des Jürg Kändel von Biberach in Tinizong, Vignogn, Acla, Mompé Medel, St. Martin in Brigels und so weiter, die alle zwischen 1512 bis 1518 entstandenen sind, sowie einzelne Spätwerke des Yvo Striegl und der erst 1522 entstandene Altar in St. Georg Rhäzüns.

Nach dem Vergolden ausgeführte Verzierungen

Verschiedene Dekorationsarten werden erst ausgeführt, wenn die Vergoldung oder Versilberung angeschossen und poliert ist. Es sind feinste Verzierungen die durch Musieren und Florieren, Punzieren und Trassieren oder als Sgraffiti entstehen. Sie bilden nicht selten einen Höhepunkt indem kostbare, mit Goldfäden durchzogenen Gewandsäume oder goldene Reifen für Nimben dargestellt sind. Schwarzlotzeichnungen über Metallauflagen geben zum Beispiel Rüstungen, Schmuck und anderen Zierden das endgültige Aussehen.

Punzieren, Trassieren

Grundsätzlich finden sich Punzierungen, auch Körnen genannt, nur auf polierten Vergoldungen und Versilberungen. Sie entstehen in dem man mit einem Stift oder gemusterten Stempeln entsprechende Motive in die zu dekorierende Oberfläche prägt. Dazu muss das Poliment und die Grundierung noch schwach feucht und elastisch sein, damit bei der Ausführung keine Ausbrüche entstehen. Zudem ist für ein gutes Gelingen der Ausführungen eine entsprechend dick aufgetragene Kreidegrundierung erforderlich. Vorkommende Punzenmuster sind Produkte, zu deren Herstellung Cennini ein "zugespitztes Eisenstäbchen" erwähnt, aber auch Stempel mit Sternchen, kleine Ringe und Rosetten. Wie geschätzt diese Zierart im 14. und 15. Jahrhundert war, mag das folgende Zitat aus Cenninis Kapitel 140 dokumentieren: " Dieses Körnen, von welchem ich spreche, ist eine der schönsten Arbeiten, die wir haben, du kannst flach körnen, wie ich schon gesagt habe, du kannst aber auch reliefartig körnen. Mit Hilfe der Phantasie und leichter Hand kannst du auf der Goldfläche Blätter, kleine Engelchen und andere Figuren machen, die aus Gold hervorleuchten". Die Gewandsäume der Figuren von Yvo Stiegel, des spätgotischen Hochaltars ehemals in San Vittore, heute im Churer Dommuseum, zieren Punktpunzen. Es sind so präzise Abfolgen von Punktreihen, wie sie nur entstehen, wenn hierzu ein Rädchen benutzt wird mit dem Perforierungen (Lochpausen) hergestellt werden können.

Unter Trassieren versteht man das Ritzen von Umrisslinien von Formen, das Schraffieren oder die Ausführung von Zirkelschlägen für Nimben, in die polierte Vergoldungen. Hierzu muss der Golduntergrund noch leicht feucht sein.

Diese beiden Techniken lassen sich bereits im 6. Jahrhundert byzantinischen Tafelbildern nachweisen. Von dort aus wurden sie nach Italien (12./13. Jahrhundert) verbreitet. Ab dem 14. Jahrhundert finden wir sie auch nördlich der Alpen. Auch an spätgotischen Altarausstattungen Graubündens finden sich Punzierungen und Trassierungen. Dies allerdings in bescheidenem Ausmass des frühen 16. Jahrhundert, vorallem an Skulpturfassungen von Yvo Striegel und für Nimbenumrahmungen an Tafelbildern des Jürg Kändel von Biberach.

Musieren oder Florieren

In der Fachsprache der Maler des 14. und 15. Jahrhunderts bedeuten beide Begriffe auf die mit Metallauflagen versehene Oberfläche feinste Ornamente, Tituli oder auch Zierbuchstaben zu malen. Musieren dient zugleich der Bezeichnung aller Werkstoffe die man zum Musieren braucht. Mit einem Anlegemittel wurden die feinen Motive aufgezeichnet und danach vergoldet. Es finden sich auf vorallem mit rotem Farblack auf Nimben aufgemalte Nimbenstrahlen, Tituli und bei Christus Darstellungen Lilienbestecke.

Zahlreiche Rezepte finden sich im 15. Jahrhundert. Im Strassburger Manuskript wird zum Beispiel empfohlen zum Florieren die Motive mit Gummiarabicum; mit einem Zusatz von Ocker, auf das Gold aufzuzeichnen (Rezept Nummer 17). Für das gleiche kann auch wie im selben Manuskript erwähnt, Fischgalle benutzt werden. Genannt wird in der Bologneser Handschrift (Rezept Nummer 144) eine Essig- oder Urinlösung der man Gummi "Dorema ammoniacum" und Eiklar zugemischt hat (40). Als letztes, der vielen Rezepte, sei das im Tegernseer Manuskript beschriebene erwähnt. Dort wird zum Musieren auf "öl varb" folgendes empfohlen: "Nim minium und reib die unter öl, darnach wenn dym öl varb vor (zuvor) wol trucken ist worden durch zwen Tag, so musiere denn mit die minie und lass ein wenig trucken und leg das gold dann auf " (41).

An den Bündner Altären finden sich solche Zierden in der Regel ab dem frühen 16. Jahrhundert. Yvo Striegel benutzte zum Beispiel das Musieren an den Gewandsäumen der beiden Figuren des ehemaligen Hochaltars in San Vittore, die heute im Domuseum der Kathedrale Chur ausgestellt sind, indem er auf polierter Vergoldung und Zwischengoldauflage mit einem Anlegemittel Ornamente malte die danach vergoldet wurden.. Zahlreicher, teilweise aber nicht gut erhalten, sind solche Arbeiten an den Tafelbildern des Jürg Kändel von Biberach. Er verzierte so, mit aufgemalten weissen Ornamenten die Gewandsäume und malte mit rotem Lüster (roter Farblack) Tituli und Strahlen auf die Nimben.

Sgraffiti und Schwarzlotmalerei

Sgraffiti sind Dekorationen die in der Regel aus den auf Gold oder Silber aufgetragenen Farben herausgekratzt werden, sodass dadurch das Blattmetall wieder sichtbar wird. Selten finden sich Sgraffiti bei denen die Farbe nicht auf Blattmetall liegt, sondern auf weisser Grundierung, die nach Anbringen der Sgraffitozeichnung sichtbar wird.. Zuerst wurden die Motive, wie Cennino Cennini im Kapitel 141 und 142 empfiehlt, mit der Lochpause übertragen. Danach kratzte man die Farbe mit einem zugespitzten Holzstäbchen oder Bein sorgfältig weg, ohne die Metallauflagen zu verletzen. Während die Pigmente nach Cennini mit Eitempera gebunden sind, benutzten die Nordländer ölgebundene Farben (42). Im süddeutschen Raum liessen sich Sgraffiti offenbar nur an Skulpturen nachweisen, dies vorwiegend als Saummuster. Dem entsprechend ist der Befund, an spätgotischen Skulpturen Graubündens. Nur an den Reliefs (um 1520) des ehemaligen spätgotischen Hochaltars der Klosterkirche Müstair (heute im Klostermuseum) und an den Schreinfiguren (1522) des Hochaltars in der Kapelle Sankt Georg, Rhäzüns, konnten wir bis jetzt Sgraffiti nachweisen. Die weissen Umschläge der Ärmel an den Reliefs im Museum Müstair wurden von Rankenmotiven in Sgrafitotechnik verziert. Entlang den Säumen der blauen Gewandinnenseiten derselben Reliefs kratzte man durch das Azurit und die graue Venedauntermalung feine Rosetten und Bogenfriese bis in die weisse Kreidegrundierung. Wohl die reichsten Sgraffitidekorationen zieren die Gewandsäume der Heiligen Katharina und das Untergewand der Heiligen Dorothea im Rhäzünser Hochaltar, sowie das Untergewand der Hl. Katharina des Rodelser Hochaltares, heute im historischen Museum Basel. Aus der weiss angelegten Fläche kratzte man reiche Rankenornamente auf den Silbergrund. Die weisse, das Gold und Silber überlagernde Farbe dürfte mit einem ölhaltigen Bindemittel gebunden sein.

Schwarzlotzeichnungen sind auf Blattmetallauflagen mit der Pinselspitze feinst aufgemalte schwarze Zeichnungen. Häufig dargestellt werden, metallene Geräte wie Kronen, Schmuck, Fibeln, Waffen und Rüstungen, die ab cirka der Mitte des 15. Jahrhunderts mit Schraffuren schattiert wurden. In der Regel weisen diese Geräte eine Ölvergoldung auf; jedoch sind Gründe mit Glanzvergoldungen nicht selten, zum Beispiel bei Kronen von Heiligendarstellungen die einen Nimbus als Hintergrund haben. An den Flügelbildern des Churwaldner Hochaltars sind die Umrisse der Kronen, der Heiligendarstellungen, in dieser Technik ausgeführt. Als Hintergrund dienten dem Maler die Glanzvergoldungen der Nimben. Jürg Kändel benutzte diese Technik nur als Umrisszeichnung für die Nimben. Detailreich und mit schraffierten Schatten versehen zeichnete der Meister H.H. an den Hochaltären der Kirche Tomils und der alten Pfarrkirche Lantsch die Kronen auf ölvergoldeten Nimben.

Applikationen

Unter Applikationen verstehen wir aufgeklebte Haare, vergoldete Sterne und Punkte aus Papier, aufgenagelte Holzperlen, Haarlocken und Bleifassungen für gläserne Edelsteinimitationen und so weiter. Es sind plastische Ausschmückungen deren Realität mit malerischen Mitteln nicht annähernd erreicht werden kann.

In Quellenschriften finden wir nur für die Herstellung gestanzter, vergoldeter Papiersterne Anweisungen. Solche Sterne sind häufig an dem mit tiefblauem Azurit bemalten Sternenhimmel der Baldachine zu finden. Im Tegernseer Manuskript ist die Herstellung von vergoldeten mit dem "stern eysen" herausgestanzten Sternen aus Papier oder Stanniol beschrieben (43). Sie wurden mit Leim auf die mit Azurit bemalten Flächen geklebt. Weiter steht in dem selben Kapitel "wildu aber die stern erhaben, so schneid dann einen von einen spitz pis in den andern nit gar durch und streich den leim daran und cleibs nur mit den spützl (Randspitze) daran". Eine grosse Anzahl gestanzter Sterne, die nur mit den Strahlenspritzen am Azuritgrund der Baldachinuntersichten und Wolken von Sockeln befestigt sind, finden sich am Hochaltar der Kathedrale Chur. An diversen Gesprengefiguren des selben Altares finden wir zudem gestanzte, vergoldete Papierpunkte. Sie weisen einen Durchmesser von 8 mm auf. Solche Punkte, die mehrheitlich rot gefasst sind, haben sich auch an einzelnen Skulpturen der Retabel von Alvaneu, Domat/Ems und Saluf erhalten.

An vielen spätgotischen Skulpturen Graubündens sind Kronen, Gewandschliessen und Mitren mit Perlen aus Holz verziert die aufgeklebt oder mit Stiften befestigt sind. Hölzerne, mit Blattsilber beschichtete und mit Stiften fixierte Perlen, dekorieren die Kronen der Schreinfiguren des Churwaldner Hochaltares. Sie flankieren teilweise bleierne Fassungen die ursprünglich Ziersteine (wohl aus Glas) trugen. Versilberte, aufgeklebte Holzperlen und aufgestiftete unförmige Glaskügelchen (2 mm Durchmesser) zieren die Mitra und Gewandschliessen der Martinsdarstellungen am Brigelser Retabel der Martinskapelle (44).

In vier Retabeln finden wir Strahlennimben (Lilienbestecke), die aus Metall gefertigt und feuervergoldet sind Sie zieren die Nimben des Gekreuzigten im Gesprenge des Brigelser und Alvaneuer Retabels; beim Alvaneuer Altar die Nimben Gottvaters und des Sohnes in der Krönung Marias. Ausserdem findet sich der Strahlennimbus auch am Christusknaben. Gleiches finden wir am Christusknaben des Salufer Retabels und am Christius (Taufe am Jordan) am rechten Flügel des Retabels von Domat/Ems.

Am linken Flügelrelief "Enthauptung des Johannes" ist das aus dem Hals herausfliessende Blut mit gefassten Schnüren dargestellt. Drei Drähte stellen das aus der Brustwunde fliessende Blut des Gekreuzigten in der südlichen Seitenkapelle der ehemaligen Klosterkirche Churwalden dar. Der selbe Kruzifixus zeigt zudem aufgeklebte, gelockte echte Haare, so auch der überlebensgrosse Gekreuzigte, über dem Lettner, dem eine Perücke aufgesetzt ist. Er trägt noch den originalen metallenen Strahlennimbus.

Eine weitere Rarität hat sich am Churer Hochaltar erhalten. An der rechten Seite des Hinterkopfs der Schreinmadonna sind Haarlocken aufgenagelt. Die einzelnen 1,5 - 2 mm starken, mit Zwischgold versehenen Haarsträhnen, hatte man aus dem Holz des wolligen Schneeballs herausgespalten. Als Rarität bezeichnen darf man auch das Saumzeug, aus farbig bemaltem Pergament, des Pferdes am rechten Flügelrelief des Hochaltares in Saluf und dem ebenfalls bemalten ledernen Tragriemen des Schwertes des Georgs, im Schrein des selben Altares.

Tafelmalerei und Skulpturenfassung

Aufgrund unserer heutigen rationalen Denkweise ist immer noch die Meinung stark verbreitet, dass Aufträge für Malerei und Skulpturenfassung Spezialisten zugesprochen werden müssen. Man spricht zum Beispiel von Tafelbildspezialisten, Freskanten, Fassmalern oder Kirchenmalern. Untersuchungen an Altären während der Restaurierung belegen immer wieder, dass dies vor allem im Mittelalter nicht zutrifft. Giotto, Simone Martini, Fra Angelico, Raffael und andere italienische Maler haben grossartige Tafelmalereien geschaffen. Sie wurden aber ebenso berühmt durch ihre Freskomalerei (45). Im Norden der Alpen finden sich in dieser Hinsicht Parallelen. Der Maler Maggenberg schuf 1435 im Auftrag der Herren von Raron, im südlichen Seitenschiff und am Lettner der Valeriakirche Sion Wandmalereien in Temperatechnik. Gleichzeitig malte er in derselben Kirche die figürlichen Darstellungen an den Orgelflügeln (Tempera auf Leinwand) und ein Tafelbild für einen Altar. Hans Holbein der Jüngere, bekannt für seine Tafelbilder und graphischen Arbeiten, hat in Basel und Luzern Fassadenmalereien ausgeführt (46). Wie schon in der Einführung das Zitat aus dem Strassburger Manuskript deutlich macht, sei nochmals erwähnt, dass der Maler der in die Meisterzunft aufgenommen werden wollte, sein Können je mit einer Öl- und Leimfarbenmalerei und dem Fassen eines Schnitzwerkes unter Beweis stellen musste. Innerhalb einer mittelalterlichen Malerwerkstatt waren die Vergoldungs- und Fassungsarbeiten, sowie das Malen nicht wie heute Spezialistenausführungen. Es waren Arbeitsabfolgen, die entsprechend dem Ausbildungsstand der Maler verteilt wurden, wie es zum Beispiel Cennini in Kapitel 104 beschreibt (47). Wenn es die Auftragslage notwendig machte, wurden Arbeitsgemeinschaften gebildet, indem der eine die Bildhauer und der andere die Fassungs- und Malerarbeiten ausführte. In diesem Sinne ist zu verstehen, dass zum Beispiel Weckmann für die Altäre in Alvaneu, Domat-Ems und Saluf die Schnitzarbeiten und der Meister H.H. die Fassungs- und Malerarbeiten ausführte. Genauso arbeitete der Maler Jürg Kändel von Biberach, der an mehreren Altären die Malerei und wohl auch die Fassungen ausführte und sie teilweise signierte. Die Schnitzarbeiten liess er von verschiedenen Bildhauerwerkstätten durchführen (48).

Die eigentlichen Vorbereitungen zum Malen, begannen mit der Aufbereitung der Malfarben. In Brocken gehandelte Mineralfarben wie Ocker- oder Umbraerden, grüne Erde, mussten zuerst in einem Mörser zu Pulver zerstossen werden. Durch Waschen und Schlämmen wurden Verunreinigungen (Sand, Gesteinsreste) entfernt. Auf einer harten Steinplatte verarbeitete man mit einem abgerundeten Stein (Läufer) und einem Gleitmittel, wozu Cennini in Kapitel 35 Wasser empfiehlt, die Farbpulver in einem ersten Arbeitsgang zu feinen Pigmenten. Die Pigmente wurden in Kästchen trocken aufbewahrt. Zum Malen rieb man die Farben nochmals mit dem Bindemittel an und füllte sie gebrauchsfertig in Muscheln. Das Anreiben der Farben wurde als besonders wichtig betrachtet. Diverse anorganische Pigmente, wie zum Beispiel Hämatit oder Zinnober, werden durch das Reiben brillanter; andere hingegen stumpf und blass, zum Beispiel Azurit. Ferner hat jedes Pigment seine eigene ideale Korngrösse bei der sein Färbevermögen oder die Deckkraft am wirkungsvollsten ist. Farben zu reiben war daher ein nicht zu ersetzendes, durch Erfahrung gesammeltes Wissen, das gepaart mit der richtig dosierten Bindemittel-Zugabe, zu der typischen Leuchtkraft mittelalterlicher Tafelbilder führte (49).

Im ganzen Mittelalter nutzte man organische Bindemittel pflanzlicher und tierischer Herkunft, die je nach Zusammensetzung Öle, Harze und Eiweiss beinhalten. Die spätmittelalterlichen Tafelbilder und Skulpturenfassungen sind in Mischtechnik geschaffene Werke. Das heisst, man malte gleichzeitig mit wässrigen, öl- und harzhaltigen Bindemitteln, die teilweise zu fetten Emulsionen (50) vermischt wurden. Dies hatte seine Gründe, die auch für die spätgotischen Altäre Graubündens galten. Mit Emulsionen aus wässerigen, öl- und harzhaltigen Bindemitteln ( fette Temperamalerei) liessen sich vermehrt transparente Farbaufträge mit Tiefenwirkung erzeugen. Feinste Linien für Haare, Zierbuchstaben, Blattranken als Gewandsäume und schraffierte Schatten liessen sich nur mit Leim- oder einer mageren Tempera gekonnt darstellen. Als wässrige Bindemittel nutzte man tierischen Leim, Eiklar wie das Vollei, Gummi Arabicum und andere Gummen pflanzlicher Herkunft. Ferner nutzte man trocknende Öle, vor allem Leinöl aber auch Nuss- und Mohnöl (51).

Vorzeichnung, technische Hilfszeichnung, Unterzeichnung

Schon der Untertitel macht deutlich, dass technisch zwischen drei verschiedenen Zeichnungsvorgehen unterschieden wird. Unter Vorzeichnung verstehen wir Studien oder Entwürfe, die auf Papier oder Holztafeln gezeichnet sind.

Die technische Hilfszeichnung diente dem konstruktiven Aufbau der Malerei. Es sind direkt in die Holztafel eingeritzte Linien, mit dem Zirkel eingetragene Markierungen und geschriebene Anweisungen, unteranderem Farbangaben auf der grundierten Bildtafel. Aber auch in die Grundierung eingeritzte Umrisslinien, mit denen die figürlichen Darstellungen von den vergoldeten Hintergründen abgegrenzt sind, gehören zu den Hilfszeichnungen.

An den Bildtafeln der Werktagsseiten des Tomilser Hochaltares ritzte der Meister H.H. die perspektivisch angeordneten Umrisse der zu malenden weissen und roten Marmorplatten direkt in das Holz. In der gleichen Art markierte er mit dem Zirkelschlag die Umrisse der Nimbenringe in das Holz. Am Brigelser Altärchen der Martinskapelle, sind bei der Darstellung "Christus am Ölberg" durch Infrarotaufnahmen sich unter der Malerei befindende Schriften sichtbar gemacht worden. Weil der schwarz geschriebene Text nur lückenhaft erhalten ist, konnte er leider nicht entziffert werden. Ein alleinstehendes Wort hingegen dürfte ein Hinweis sein, mit welcher Farbe an der betreffenden Stelle zu malen ist: nämlich mit Ocker. Dieser Hinweis macht sehr deutlich, dass es sich um Anweisungen vom Meister handelt, die an die Gesellen seiner Werkstatt gerichtet sind. Am selben Altar finden sich, an den Flügelbildern der Feiertagsseiten, in die Grundierung geritzte Umrisse, mit denen die Heiligendarstellungen von den vergoldeten Damasthintergründen abgegrenzt wurden. Es sind nur knapp angedeutete Figurenumrisse.

Die Unterzeichnung dient den zu malenden Landschaften, Architekturen und figürlichen Darstellungen. Sie liegen auf der noch nicht präparierten Grundierung. Nach Cennini (Kap. 30) und Vasari (Rez. Nr. 386) wurde die Komposition mit Kohle direkt auf der Grundierung entworfen. Dazu empfiehlt Cennini im Kap. 30: "Im Falle, dass beim ersten Hinwurf die Verhältnisse deiner Darstellung oder Figur nicht stimmen, so stäube und wische die Kohle mit einer Hennen- oder Gänsefeder wieder weg und die Zeichnung wird verschwinden. Dann fange wieder von vorne an ....... (52). Danach empfiehlt er, mit Pinsel und Wasserfarbe den Entwurf nachzuziehen.

Auf der Predellarückseite eines spätgotischen Flügelaltärchens, in der Pfarrkirche Ruggell (FL) haben sich mit Kohle direkt auf das Holz gezeichnete Blattranken erhalten. Sie entsprechen den nur noch in kleinsten Fragmenten erhaltenen, grün gemalten Blattranken, die diese Kohlezeichnung überdecken.

Direkt auf Holz ausgeführten Kohlezeichnungen konnten wir an Bündner Altären allerdings nicht beobachten. Sie sind leider schwer auszumachen, weil die Zeichnung jeweils von der Grundierung und Malerei überdeckt ist. Skizzen hingegen, die direkt auf der Grundierung liegen und von der Malerei überdeckt sind, liessen sich mittels Infrarotaufnahmen sichtbar machen (53).

Solche Unterzeichnungen lassen sich manchmal schwach mit blossen Augen erkennen, wenn zum Beispiel bei Inkarnaten das Bleiweiss mit dem Bindemittel altersbedingt verseift und daher transparent geworden ist. Detailreich, mit schwarz schraffierten Schatten, zeichneten Bernhard Striegel an dem Altärchen von Obersaxen und Yvo Striegel am Hochaltar von Degen, ihre Bildkompositionen mit dem Pinsel auf die Kreidegrundierung. Besonders ausgeprägt sind die stark schraffiertenSchattenmodellierungenan den Flügelbildern des Churwaldner Luziusaltar, wahrscheinlich von Yvo Striegel gemalt.

Die untersuchten Tafelbilder von Jürg Kändel (Tinizong, Acla, Vigogn und Brigels (?) zeigen alle lockere und auf das knappste bemessene aber sehr gekonnte, mit dem Pinsel schwarz gezeichnete Skizzen. Genau das Gegenteil ist an den Tafelbildern von Latsch und Tomils zu beobachten, die vom Meister H.H. geschaffen wurden. Er zeichnete mit breiten, schwarzen Pinselstrichen detailreich auf die Grundierung Gewandfalten, Hände und Arme und schattierte diese mit Schraffuren. Doch zuvor ritzte er die Silhouetten der Gewänder, Kreuzstäbe und andere gradlinigen Motive tief, direkt in das Holz. Solche Ritzungen setzen allerdings gereifte, auf den Holztafeln ausgeführte Kompositionsskizzen voraus. Der Grund für diese ungewöhnliche Orientierungshilfe dürfte die äusserst pastose Malweise des Meisters H.H. sein, denn an der Kohlenzeichnung hätte er sich nicht mehr orientieren können.

Malvorgang

Auf die mit der Zeichnung versehene Grundierung folgte nun die Präparierung des Malgrundes. Diese verhindert, dass der nachfolgenden Malerei von der Grundierung das Bindemittel zu stark entzogen wird. Zudem lässt sich auf der präparierten Oberfläche die Malfarbe fliessender auftragen und verteilen. Cennini empfahl hierzu im Kap. 90, Leim zu verwenden. Im Tegernseer Manuskript wird empfohlen, die Bildtafeln vor dem Malen mit Öl zu tränken und den vergoldeten Teil auszusparen (54). An den spätgotischen Altären Graubündens dürfte die letzte der beiden Varianten, die der süddeutschen Tradition entspricht, vorkommen.

Wie üblich sind auch bei den Bündner Altäre die dem Betrachter zugewandten Bilder und die Predella reicher gestaltet. Sie wurden in der damals modernen und anspruchsvollen Mischtechnik ausgeführt; so die Untermalungen, Lokaltöne und Halblichter mit Öl- oder einer fetten Temperamalerei; feine Linien, und Coiffuren mit einer mageren Tempera oder einer Leimfarbe. Zudem zieren diese Bildseiten jeweils reiche Goldhintergründe, mit vergoldeten Pressbrokaten versehene Gewänder, vergoldete Nimben und Gefässe mit Schwarzlotzeichnungen und nicht selten aussergewöhnliche Applikationen.

Die Werktagsseiten der Flügel und die Schreinrückseiten sind in der Regel schlichter gestaltet und meistens nur von Gesellen ausgeführt worden. Während die Feiertagsseiten alle qualitativ gekonnt gemalt sind und effektvolle Modellierungen aufweisen, finden sich an den Werktags- und den Schreinrückseiten oft Schattenmodellierungen, die ein mit dem Pinsel aufgesetztes Netz von graphischen Linien und Schraffuren aufweisen. Oft sind diese Bereiche nur mit Leimfarbe oder einer mageren Tempera ausgeführt worden, ein Vorgehen, das der jeweils angewandten Schraffurtechnik entgegenkommt. Ein typisches Beispiel findet sich an den Schreinrückseiten und an den Flügeln der Werktagsseiten des Churwaldner Hochaltares. Dort wurde nach dem Zeichnen die Grundierung nicht präpariert, sondern die Leimfarbe direkt flächig, ohne jegliche Modellierung, in die mit der Zeichnung vorgegebenen Bereiche aufgetragen. Die Lokaltöne der Gewänder sind Blau (Azurit), Hellgrau (Bleiweiss und Pflanzenschwarz) und Weiss (Bleiweiss). Nur an Gewändern mit rotem Ocker konnten wir aufgesetzte Lichter mit Zinnober beobachten, die zudem eindeutig mit Tempera gemalt sind. Die Gesichter zeigen, ausser bei Petrus, keinen Inkarnatston, nur das Weiss des Kreidegrundes, das Rot für die Wangen und den Mund. Abschliessend folgten für die Gewänder, Gesichter und Hände die schwarzen Kontur- und Binnenzeichnungen und Schraffuren. Die künstlerische und technische Qualität entspricht nicht den Flügelbildern der Feiertagsseite.

Der eigentliche Malvorgang soll im folgenden am Tomilser Altar des Meisters H.H. und dem Tinzener Altar des J. Kändel geschildert werden. Beide schufen für mehrere Altäre Graubündens herrliche Tafelbilder, die von ihnen teilweise signiert und datiert sind. Beide waren Maler, die zwar rein formal dem typischen traditionellen Malvorgehen folgten, aber in Bezug der kaligraphischen Ausdrucksmittel grundsätzlich eigene Wege gingen. Der Meister H.H. zeichnet sich als Maler mit seiner äusserst virtuosen und pastosen Malweise aus, was deutlich bei seinen Frühwerken in Lantsch und Tomils zum Ausdruck kommt. Interessant ist auch seine Entwicklung an den späteren in Graubünden ausgeführten Werke verfolgen zu können. An beiden Altären hat er überzeugend seine Ideen als Maler durchgesetzt. Meist zieren Reliefs die Feiertagsseiten der Flügel und Predellen, die Tafelmalereien beschränken sich auf die Werktags- und Schreinrückseiten. Am Lantscher Altar zieren Tafelbilder beide Flügelseiten und an der Predellavorderseite anstelle von Reliefs, gemalte Masswerke, in dessen Mitte ein mit Minuskeln beschriftetes Pergamentblatt vorgesetzt ist. Am Tomilser Altar zeigen zwar die Feiertagsseiten der Flügel Reliefs. Hier hatte aber H.H. die Sockel und die anschliessenden Bereiche der Hintergründe zu den Reliefs nicht wie üblich wuggeln lassen, sondern in einen Teppich mit gemalten Blumen und Erdbeeren verwandelt. Auf der mittleren Tafel der Schreinrückwand, des Tomilser Hochaltars, malte H.H. die Heiligendarstellungen direkt auf die unpräparierte Grundierung. Doch vorerst zeichnete er mit bis zu 6 mm breiten schwarzen Pinselstrichen die Gewänder der Figuren mit spährlich schraffierten Schatten, mit 3 bis 4 mm breiten Strichen die Gesichter und Hände. Es sind keine skizzenhafte Zeichnungen, sondern klare langgezogene Linien, wie sie nur entstehen können, wenn man eine bereits bestehende Skizze auf der Tafel mit Farbe und Pinsel nachziehen muss. In die gezeichneten Gewandbereiche legte er flächig, deckend ohne Modellierung die Lokaltöne an. Die auf dem Lokalton der Gewänder knapp angedeuteten Schatten ergaben sich durch wiederholtem Auftrag mit derselben Farbe. Abschliessend wiederholte er auf dem Lokalton, die auf der Grundierung gegebene Unterzeichnung. Die gesamte Formgebung der Gewänder besteht somit nur aus der graphisch aufgesetzten, schwarzen Kontur- und Binnenzeichnung. Es gab keine Schraffuren für Schatten, keine Lichter ausser am weissen Umhang der hl. Elisabeth. Mit wenigen grauen geschickt plazierten Schattenlasuren und vereinzelt aufgesetzten weissen Lichtern verstand es H.H. diesem Umhang die nötige Modellierung zu geben. Für die mit Azurit (Blau), rotem und gelben Ocker gemalten Gewänder benutzte er Glutinleim als Bindemittel, für Pflanzenschwarz, Bleiweiss und die grünen Gewänder (Kupferpigment+Bleizinngelb), wie auch für die schwarzen Kontur- und Binnenzeichnung diente eine magere Tempera. Nur an den Gesichtern malte er auf den Lokalton Lichter und Schattenlasuren, fein gezeichnete Augenbrauen, seine typischen Schmollmündchen und das Wangenrot. Die Hände erhielten zu den Schattenlasuren feine Konturen mit Schwarz und die Haare vereinzelt dunkelbraune Linien als Coiffuren. Alle für die Inkarnate und Haare benutzten Pigmente wurden mit einer mittelfetten Tempera gebunden.

Anspruchsvoller ging er an den Flügelbildern und der Predella vor. Für die Gesichter und Gewänder der Heiligendarstellungen skizzierte er nun viel differenzierter. Er begnügte sich nicht mehr mit der Kontur- und Binnenzeichnung, sondern schattierte mit schwarzen Schraffuren die Köpfe und die Faltentiefen der Gewänder. Die Grundierung liess er präparieren und danach die weissen, roten und grünen mit einer fetten Tempera gebundenen Lokaltöne an den vorgesehenen Stellen auftragen. Weil die fette Tempera mit grossen Anteilen an Öl und Harz, aber auch durch den bewusst etwas dünnen Auftrag transparent wirkt, blieben die kräftigen Unterzeichnungen schwach sichtbar. Diese nutzte er geschickt bei der Gestaltung der Schatten, legte fein auslaufende Schattenlasuren und setzte präzise über den Lokalton sehr pastose Lichter. Binnenzeichnungen malte er für Gewänder nicht mehr. Nur Abgrenzungen von Gewandsäumen zog er, je nach Umfeld, bei weissen Gewänder dunkelgrau oder weiss, bei grünen und roten Gewänder mit gelb nach. Für grüne Gewänder benutzte er Kupferpigmente, die er, wo Lichter zu malen sind, mit Bleizinngelb aufhellte. Die stärksten Lichter malte er jeweils nur mit Bleizinngelb. Darüber folgten partielle Schattenlasuren und abschliessend, um die harten Kontraste der Lichter zu dämpfen eine feine Schlusslasur, mit dem sogenannten Kupferresinat (55). Für rote Gewänder benutzte er zwei Varianten. Beim Beispiel des Hl. Lucius legte er den Lokalton mit rotem Ocker an, setzte Lichter mit Zinnober und schattierte lasierend mit rotem Farblack. Die Schatten verstärkte er durch wiederholen des Farblackauftrages und für die stärksten Drucker mischte er Schwarz hinzu. Für die zweite Variante benutzte er roten Farblack. Weil diese Lasurfarbe eine nahezu vollkommene Transparenz ermöglicht, wirken die durchscheinenden kräftigen, schwarzen Unterzeichnungen als Schatten optisch mit. Als Licht dient für diese Variante das Weiss der Grundierung und teilweise aufgesetzte Ausmischungen von rotem Farblack mit Weiss. Als Schattenmodellierung dient ein wiederholter roter Farblackauftrag, dem bei Bedarf Schwarz hinzugemischt wurde. Weisse Gewänder schattierte er mit Grau unter Nutzung der schwarzen Unterzeichnungen und setzte Lichter mit Bleiweiss. Gelbe Gewänder legte er mit Ocker als Lokalton an, setzte darüber mit Bleizinngelb Lichter, denen in einer ersten Stufe Ocker hinzugemischt wurde. Für die stärksten Lichter nutzte er reines Bleizinngelb. Nur an der Predella malte er blaue Gewänder, hier mit Ultramarin (Lapislazuli), die malerische Schatten und Lichter erhielten. Hierzu legte er vorerst eine graue Untermalung (die Veneda) an, darüber den Lokaton mit Ultramarin, dem er für Lichter Bleiweiss hinzumischte.

Mit der als Bindemittel verwendeten mittelfetten bis fetten Tempera, liessen sich die Inkarnate viel ausdrucksvoller und gepflegter darstellen, als mit Leimfarbe oder einer mageren Tempera. Dazu liess er sich einen hellen, rötlichen Farbton mischen aus Bleiweiss, mit wenig gelbem und rotem Ocker und sehr wenig Pflanzenschwarz, den er flächig und pastos ohne jede Schattierung aufgetragen hatte. Die Schatten bei den Augenhöhlen, Nasenflügeln, Ohren, am Kinn und Hals malte er mit feinen braunen Lasuren, die er teilweise mit leicht strichelndem Auftrag noch verstärkte. Sehr dick setzte er nun die Lichter mit dem aufgehellten Inkarnatston, wobei er die hellsten Lichtreflexe im Stirn- und Mundbereich, um Augenhöhlen, auf Nasenrücken und Kinn mit fast purem Weiss verstärkte. Ebenfalls vorerst lasierend verteilte er Lichter, das Wangenrot und verstärkte dieses partiell mit strichelnden Ergänzungen. Die Lippen zog er mit Zinnober nach und mit demselben Rot - aber mit Weiss aufgehellt - setzte er die Lichter. Abschliessend wurden die dunkelbraunen Binnenzeichnungen für die Wimpern, am Mund, um die Augen und Augenlider und am Kinn gezogen. Ebenso ging er bei den Haaren vor, die er vorwiegend mit gelbem Dunkelocker und bei entsprechenden Darstellungen mit einem hellgrauen Lokalton flächig aufgestrichen hatte. Die Coiffuren stellte er, in Schattenbereichen mit einer braunen Lasur und in die Gesichtsfläche übergehend mit feinen einzeln aufgesetzten Strichen dar. Für die Lichter der Haare benutzte er Bleizinngelb. Deutlich erkennt man jeweils in die Grundierung geritzte Markierungen, welche die Umrisse der Haare von den vergoldeten Nimben abtrennen. An den Tafel- und Predellabildern, finden sich geritzte Zirkelschläge, Ritzungen und stark pastos sich abhebende Farbaufträge, die nicht identisch sind mit den sichtbaren Malereien. Es sind im Streiflicht deutlich erkennbare andere Darstellungen. Der Meister H.H. hatte hier offensichtlich bereits gemalte Darstellungen mit anderen Heiligen übermalt.

Die von Jürg Kändel in Tinizong gemalten Schreinrückwandbilder sind vorwiegend mit einer mageren Tempera gemalt. Mit gelber Leimfarbe hingegen wurde der hellgelbe Lokalton für die Himmelszone angelegt und darauf mit rotem Ocker die Seligen und Engelscharen skizzierend dargestellt. Gleiches gilt für die Wolken, die mit grauen Lasuren und weissem Licht knapp modelliert sind. Die eigentlichen Schatten erfolgten mit aufgesetzter, dunkelgrauer Leimfarbe, die grafisch Linie neben Linie, parallel nebeneinander gelegt wurden. Für die Gewänder der grossfigurigen Darstellungen benutzt er, wie bei den Flügelbildern, eine mittelfette Tempera, auf denen er mit Öl-Harz gebundenen Lasuren schattierte. Weil Jürg Kändel sämtliche Darstellungen an diesem Altar, auch die Schreinrückseite, weitgehend selber malte, gibt es an diesen Malereien keine künstlerischen Einbussen. Dies wird besonders deutlich, wenn man die surrealistischen Szenen der Vorhölle eingehend betrachtet, die an Grünewald oder M. Schaffner (Pullendorfer Weltgericht) erinnern. An diesen Szenen hatte Kändel die Figuren und surrealen teuflischen Wesen bis ins kleinste Detail herausgearbeitet und sein grosses Können als Maler bewiesen. An allen andern Bündner Altären des Jürg Kändel (Acla, Brigels, Mompé Medel, Sagogn, Vigogn und wahrscheinlich auch Sedrun) zeigen die Bilder der Schreinrückwand eindeutige Werkstattarbeit, so teilweise auch die Flügelbilder.

An den Flügel- und Standflügelbilder präsentiert J. Kändel die typisch traditionelle spätgotische Malschichtabfolge wie sie die Meister H.H: Yvo und Bernhard Striegel pflegten. Er zeichnete allerdings nicht detailreich wie die genannten Maler, sondern skizzierte nur knapp die Umrisse der Darstellungen mit Schwarz auf die noch nicht präparierte Grundierun. So spontan wie er zeichnete, malte er auch und dies nicht nur mit dem Pinsel. Aufgetragene Ölfarben verteilte er oft mit den Fingern. Als Lokaltöne nutzte er für grüne Gewänder Kupferpigmente, die er für Lichter mit Bleizinngelb aufhellte. Abschliessend wurde das so modellierte, vorbereitete Gewand mit Kupferresinatlasuren zurückgedämpft. Für rote Gewänder setzte er, wie zum Beispiel am rechten Standflügel, für das Unterkleid der Dorothea, leuchtend starken Zinnober ein und schattierte wiederholt in schraffierendem Auftrag mit rotem Farblack. Die tiefsten Schatten erfolgten mit dem roten Farblackgemisch und Pflanzenschwarz. Lichter setzte er an diesem Gewand keine. Das rote Obergewand der Hl. Agatha, am rechten Standflügel, malte er hingegen mit herrlich leuchtend rotem Farblack. Als Licht nutzte er das Weiss der Grundierung und steigerte dies formbetonend mit aufschraffiertem Weiss, das er mit dünnst aufgetragenen roten Farblacklasuren zurückdämpfte. Weil er auf der präparierten Grundierung nur knapp angedeutete Umriss- und Binnenzeichnungen ausführte, fehlte ihm diese als Hilfe der Schattierung. Deshalb musste er sie während dem Malprozess mit malerischen Mitteln erarbeiten, mit Mischungen aus rotem Farblack und Pflanzenschwarz. Weisse Gewänder, wie zum Beispiel das Unterkleid der Apollonia am linken Standflügel und dem Kleid des Kindes bei der Dorothea, am rechten Standflügel, zeigen einen Lokalton aus Bleiweiss, der mit rotem Farblack schattiert worden ist. Kändel hatte die Gewänder mit gemalten schwarzen, weissen und gelben Gewandsäumen umrandet. Teilweise sind sie floriert oder zeigen Zierbuchstaben. Grosse Qualität bezeugen die gemalten Köpfe des J. Kändel, die portraithafte feinfühlige Charakterköpfe sind. Sie sind von fliessend welligem und gelocktem Haar umgeben. Die Gesichter sind nicht schemenhaft mit stark betonten Binnenzeichnugen gestaltet. Er malte weiche und fliessende Schattenübergänge mit weissen Lichtern (Inkarnatston mit Bleiweiss aufgehellt) und feinen Schattenlasuren aus Zinnober dem teilweise Pflanzenschwarz beigemischt wurde. Der lokale Inkarnatston ist mit mittelfetter Tempera und seine Schattenlasuren mit sehr fetter Tempera und Harz-/Ölmischungen gebunden, die den Farben einen eigenen tiefen Ton verleihen. An die grossen italienischen Renaissancemaler erinnert die Art wie die Haare gemalt sind. Mit braunen Lasuren sind die Schatten der Haarlocken vertieft und die Lichter der Coiffuren mit Bleizinngelb gehöht. Es gelang Jürg Kändel mit den beiden Passionsbilder nicht nur äusserst ergreifende und dramatische Szenen darzustellen, sondern auch sein grosses Können zu beweisen und die Farbkombinationen harmonisch einzusetzen. Die Malereien des Tinizonger Altares dürfen als die eindrücklichsten und qualitätvollsten der spätgotischen Tafelbilder Graubündens gelten. Umsomehr erstaunt es, dass die Tafelbilder der anderen Bündner Altäre des J. Kändel nicht mehr die Qualität der Malerei von Tinizong aufweisen.

Die Fassungen

Die Retabel zeigen ein mehr oder weniger einheitliches Fassungskonzept. So zieren an den Schreinhintergründen damastierte Goldvorhänge mit rot und grün gelüstertem Saum. Die Schreinwangen sind rot gefasst mit Zinnoberuntermalungen und darüberliegenden dünnen Lasuren aus rotem Farblack. Am Degener Striegel Altärchen liegt der rote Farblack, ohne Zinnoberuntermalung, direkt auf der Grundierung der Schreinwangen. Oft finden sich auf der Zinnoberfassung mit rotem Farblack gemalte Brokatmuster, deren Motive mit denen im Schreinhintergrund übereinstimmen, wie zum Beispiel am Churwaldner Hochaltar. Ein weiteres Beispiel an gemalten Brokatmuster findet sich am Striegel Altärchen in Meierhof / Obersaxen. Es zeigt dieselben Motive, auch am Goldhintergrund im Schrein und den Flügeln (Feiertagsseiten). Sie wurden mittels Lochpause übertragen, was auch am Churwaldner Hochaltar zu erkennen ist. Einheitlich mit Azurit gefasst sind die Baldachinuntersichten im Schrein und Gesprenge und oft auch die Flügelhintergründe. Eine Ausnahme bildet der Salufer Altar, dessen Baldachin im Schrein nicht Blau, sondern vergoldet ist. Die Fassung der Flügel- und Schreinrahmen zeigt rote Platten (Zinnober) mit musierten, sich wiederholenden Gold- und Silberornamente, blauen Kehlprofilen (Azurit) über grauer Veneda und Goldstreifen. Das Azurit wurde an den Bündner Altären vorwiegend über dunkelgrauer Venedauntermalung zweilagig gemalt: unten das feingemahlte hellblaue Azurit und darüber teures grobgemahlenes dunkelblaues Azurit. Von Retabel zu Retabel unterschiedlich gefasst sind die Gesprengeteile. Am Churwaldner Hochaltar sind die Fialen und Türmchen hellblau bemalt (leimgebundene Kreide und Azurit). Zinnoberrot hingegen sind wie üblich, die Verdachungen und die äusseren Profilansichten. Die Krabben, Kreuzblumen und Profilstäbe sind vergoldet und die Kehlen der Profile jeweils mit Azurit bemalt. Roten Farblack, dünn direkt auf die leimgebundene Kreidegrundierung gemalt, zeigen die Fialen des Degener Altärchens von Yvo Striegel. An den Retabeln des Jürg Kändel sind diese Gesprengeteile, wie auch die Rahmen der Standflügel und äusseren Schreinwangen marmoriert; diese Variante ist die auch am Luziusaltar von Churwalden zu beobachten. Die Bindemittel variieren entsprechend den verwendeten Farben. Der Zinnober und die Farben für die Marmorierungen sind mit einer mageren Tempera gebunden. Leim diente für den roten Farblack, das Azurit, die Gemische Kreide mit Azurit und Kreide mit Pflanzenschwarz (Churer Hochaltar). Vor dem Fassen erhielten alle diese Retabelteile eine leimgebundene Kreidegrundierung.

Die Fassungen der Schreinskulpturen und Flügelreliefs sind reicher gestaltet und mit kostbarerem Material ausgestattet als die Gesprengeskulpturen. Zudem sind besonders die spätgotischen Skulpturenfassungen stark dem Wandel der Stilentwicklung unterworfen. Deshalb zeigen die Skulpturen, Reliefs und Gemälde, die um 1510 entstanden sind, deutliche die Einflüsse der Renaissance, besonders die Retabelausstattungen des Jürg Kändel. Der Churwaldner Hochaltar als frühes Beispiel (1477) zeigt noch zu den obligaten vergoldeten Obergewänder kunstvoll gestaltete Pressbrokate an Unterkleider und Mitren, deren Motive ölvergoldet und rot und grün gelüstert sind. Als Sparmassnahme zu betrachten ist die Fassungsart der im Gesprenge plazierten Hl. Maria und Hl. Johannes. Deren Obergewänder zeigen Goldlacklasuren auf versilbertem Untergrund. Das Silber liegt hier ohne Poliment direkt auf der weissen Grundierung.

Erstaunlich reich gestaltet sind die Ausstattung des Schreines und die Flügel der Feiertagsseite, des 1492 von Jakob Russ geschaffenen Churer Hochaltars. Kein Altar in Graubünden zeigt so grossflächig erhaltene Pressbrokate. Im Schrein und an den Flügeln der Feiertagsseiten zieren geschnitzte von Engeln getragene Vorhänge mit aufgeklebten, in Zinnfolien gepresste Brokatmuster, die ölvergoldet und deren rapportierendes Muster mit Zinnober ausgemalt sind. Die Schreinskulpturen, die Hl. Maria, Hl. Emerita und Hl. Ursula, tragen Unterkleider, die mit den gleichen vergoldeten Pressbrokaten verziert sind, das Muster aber mit hellblauem Azurit nachgezogen ist. Dort wo sich das Muster schwarz vom Gold absetzte, hat sich die Malschicht, die Azurit und roter Farblack enthält, verändert. Bescheiden sind die Anteile solcher Zierden an den Skulpturen im Gesprenge in Form von einzelnen zurecht geschnittenen Zentralmotiven. Die blauen, violetten und grünen Gewänder werden durch aufgeklebte, vergoldete Punkte und Rosetten aus Papier verziert. An den Schreinskulpturen und den Flügelreliefs des Salufer Altares von Weckmann, finden sich zurückhaltend verwendete Pressbrokate, aber auch eine erstaunliche Parallele zum Hochaltar der Kathedrale in Chur. Am Unterkleid, der qualitätvollen Schreinmadonna, sind applizierte vergoldete Pressbrokate erhalten, die identisch sind mit den Motiven der Hl. Maria, Emerita und Ursula am Hochaltar der Kathedrale Chur. Wie in Chur verzieren aus Brokatblättern herausgeschnittene zentrale Blütenmotive die Gewänder der Hl. Barbara und Katharina. Sie sind umgeben von vergoldeten Papierpunkten. Gleiches ist an den Flügelreliefs Hl. Margarethe und dem Richter zu beobachten.

Yvo Striegel fügte sich beim Fassen der Skulpturen und Reliefs, noch ganz der Tradition des 15. Jahrhunderts. Die Obergewänder sind polimentvergoldet und zeigen das mit Azurit bemalte Futter. Dieser Tradition entsprechend liess er die Unterkleider im Wechsel mit Kupfergrün und rotem Farblack fassen und klebte auf diese Gewandteile zurückhaltend Teilausschnitte von Pressbrokatstreifen auf, zum Beispiel am Degener Hochaltar und am Retabel von Meierhof / Obersaxen. Allerdings weisen seine Spätwerke des frühen 16. Jahrhunderts, zum Beispiel die Skulpturen von San Vittore an Gewandsäumen aufgemalte florale Muster, Kreuzbogenabfolgen, aber auch Punzierungen und Trassierungen auf.

Konsequenter hat Jürg Kändel die neuen Einflüsse der Renaissance übernommen. Deutlich lässt sich dies an den Skulpturen und Reliefs seiner Altäre erkennen. So verwendet er grundsätzlich keine Pressbrokate; roten Lüster über Silber setzte er nur noch sporadisch ein, zum Beispiel an den Retabeln von Mompé Medel und Sevgein (heute Schweizerisches Landesmuseum in Zürich). Dafür sind nicht nur, wie üblich, die Obergewänder seiner Skulpturen und Reliefs mit Polimentvergoldung versehen, sondern auch deren Unterkleider. Das Futter für die Obergewänder liess er traditionsgemäss mit Azurit fassen, die Umschläge der Unterkleider vorwiegend mit rotem Farblack. Selten ist die Farbverteilung umgekehrt. Um die oft sich tangierenden vergoldeten Gewandteile optisch voneinander trennen zu können, dekorierte er die Gewandsäume mit leimgebundenen floralen Motiven. Leider lassen sich diese kostbar gestalteten Gewandsäume an seinen Skulpturen nur noch spärlich nachweisen. Sie sind beim unsachgemässen Reinigen durch Sakristane und leider auch durch Restauratoren zerstört worden. In der gleichen Art sind auch die Fassungen der Skulpturen und Reliefs des 1511 geschaffenen Luziusaltars von Churwalden und die Flügelreliefs eines nicht mehr vorhandenen gotischen Retabels im Klostermuseum von Müstair behandelt worden. Obergewand und Unterkleid der Darstellungen sind am Luziusaltar vergoldet, das Futter der männlichen Darstellungen einheitlich mit Azurit und das der weiblichen mit rotem Farblack gefasst. Die Gewänder der Reliefs von Müstair "Die Begegnung Elisabeth mit Maria" und "Die Verkündigung" sind ebenfalls vergoldet, die Gewandfutter mit Azurit gefasst und die Säume aller Gewänder mit floralen Mustern in Sgraffitotechnik dekoriert.

Die grösste Aufmerksamkeit galt den Inkarnaten, die besonders kunstvoll gemalt und wie Gemälde behandelt wurden. Zeichnungen erübrigten sich durch die plastische Formgebung. Nur selten zeigen die geschnitzten und grundierten Gesichtsoberflächen in die Grundierung geschnittene Falten an Stirn, Augenwinkel und Augenlider wie zum Beispiel die Skulpturen der Ulmer Schule am Churwaldner Hochaltar und am Degener Striegel Altärchen. Zum Fassen wurde die Grundierung zuerst mit einer stark verdünnten Leimlösche präpariert.

Beim Auftrag der Inkarnatsfarbe fällt auf, dass im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts die Farbe pastos gestrichen oder aufgestupft wurde. Diese Verarbeitung setzt magere bis mittelfette Farben voraus. Hingegen bei Inkarnatsfassungen des frühen 16. Jahrhunderts sind die Farben vorwiegend fein schmelzend und transparent aufgetragen. Dies weist auf die Verarbeitung einer fetten öl- und harzhaltigen Temperafarbe hin.

Bei den Bündner Altären fällt auf, dass nur die Churwaldener Schreinfiguren und die beiden Schmerzensmann-Darstellungen, die typisch helle, fast weisse Inkarnatsfarbe der Ulmer Schule aufweist, wie zum Beispiel am Blaubeurer Altar von Michael Erhart. Die Inkarnate der Weckmann-Skulpturen in Alvaneu, Domat-Ems und Saluf zeigen einen relativ hellen Ton, er ist aber im Vergleich zur Ulmer Schule deutlich rötlicher. Noch dunkler mit Rot eingefärbt präsentieren sich die Inkarnate der Skulpturen des Altares des Meisters H.H. und des Jürg Kändel. An den Skulpturen von Yvo Striegel finden wir hingegen ähnlich helle Lokaltöne, wie sie an den Skulpturen von Weckmann zu beobachten sind. Zudem sind Details wie Augen-, Stirnfalten und Haar fein aufgemalt.

Bei den Skulpturen des Churwaldner Hochaltars ist der farbliche Aufbau der Inkarnate relativ einfach. Die Ausdruckskraft entsteht durch das harmonische Zusammenspiel der Farbfassung mit den in die Grundierung gravierten und geschnittenen Lidern, Augen- und Stirnfalten. In die Grundierung geschnittene Falten farblich zu betonen, erübrigte sich teilweise, ohne an Realitätsvorstellung einzubüssen. So wurden bei den weiblichen Darstellungen, auf dem pastos aufgetragenen Lokalton des Inkarnates, nur die Übergänge vom geschnitzten Haar auf die Stirne auslaufend gemalt. Eine enorme Qualitätssteigerung erhielten zum Beispiel die Gesichter des Hl. Luzius und Augustinus mit dem etwas dunkleren Inkarnatston als bei den weiblichen Skulpturen. Die in die Grundierung geschnittenen Falten sind mit dünnen roten Lasuren schattiert und bei den Augenwinkeln, der Stirn und unter den Augenhöhlen wurden feine Fältchen aufgemalt. Auf dem feinst verfliessenden Wangenrot malte man Warzen, die Augenwinkel sind mit Zinnober betont. Mit kurzen, grauen Strichen sind die Wimpern, Bart - und Schnauzhaare aufgemalt, mit vereinzelt stark plastisch aufgesetzten Lichter die weissen Haare, die beim Luzius in die rot gemalten Lippen auslaufen. Der Stoppelbart des Augustinus ist raffiniert mit grauen und weissen Punkten dargestellt. Sorgfältig setzte der Maler die hellbraunen Augäpfel und dunklen Pupillen mit seitlichen Lichter.

Besonders ausdrucksstark und kunstvoll dargestellt ist die Fassung des grossen Schmerzensmannes, der heute vor dem Marienaltar im nördlichen Seitenschiff steht. Am ganzen Körper verteilt finden sich, wie geordnete Ornamente, blutende Geisselwunden. Das erstarrte Blut malte man mit rotem Farblack, das frisch aus den Wunden fliessende mit Zinnober. Mit aufgestupftem Azurit stellte man die mit Blut unterlaufenen Stellen dar. Vor dem Auftrag des Lokaltones für das Inkarnat untermalte man mit Azurit die mit Kreidegrund, in Pastigliatechnik aufmodellierten Blutadern. Zudem diente das Azurit für die Schattenbereiche um die Augenhöhlen. Der gleiche Aufbau zeigt die Fassung des Gekreuzigten in der Marienkapelle dieser Kirche. Durch drei in die Brustwunde eingesetzten und bemalten Drähte, die das aus der Wunde spritzende Blut darstellen, wird eine abstrakte Realitätssteigerung erreicht. Zudem zeigt der Kruzifixus für die Kopf- und Brusthaare einen dunkelbraunen Lokalton auf den Tierhaare aufgeklebt wurden.

Die relativ stark rötlichen Inkarnate der Skulpturen und Reliefs des Lantscher- und Tomilser Retabels zeigen besonders malerisch gestaltete Gesichter. Feinste braune Stirn-, Bart- und Wimpernhaare zeichnete der Meister H.H. in die Gesichter und setzte daneben helle vom Licht erfasste Haare. Mit rotem Ocker malte er Stirn-, Augen- und Mundfalten, schattierte damit schwach die Augenlider und die Bereiche um die Augenhöhlen. Den Zinnoberroten Mund modellierte der Maler mit aufgesetzten hellroten Lichtern und zog die Lippen mit einem dunkelroten Strich nach.

Die von Yvo Striegel gemalten Gesichter zeigen zu den oft feinst aufgemalten Stirn- und Augenfalten, eine kontrastreichere Modellierung. Diese ergab sich durch den relativ hellen Inkarnatston, auf dem sich mehr Abstufungen von Schattenlasuren für Augenhöhlen anbringen liessen.

An Retabeln vorgefundene Signaturen, Daten und Meisterzeichen

Objekt: Daten: Signaturen / Meisterzeichen:

Churwalden:
Katholische Pfarrkirche, Hochaltar 1477, an Schreinrückwand.
Lantsch:
Alte Pfarrkirche, Hochaltar 1479, an der Predella H.H. unterhalb der Predellainschrift
Disentis:
Altes Beinhaus bei der katholische Pfarrkirche, Hochaltar 1489, am Schreinsockel Yvo Striegel von Memmingen, am Schreinsockel
Tomils:
Katholische Pfarrkirche, Hochaltar 1490, am mittleren Schreinsockel H.H. am mittleren Schreinsockel
Chur:
Kathedrale, Hochaltar 1492, Schreinpotest und mit Rötel geschrieben auf dem Gesprengepodest Meisterzeichen von Jakob Russ bei der Datumsinschrift

und mit Rötel gezeichnet auf dem Gesprenge-Podest.
Domat-Ems:
Ehemalige Pfarrkirche, Hochaltar 1504, an der Schreinstufe
Schreinstufe, Meisterzeichen beidseits der Jahreszahl 1504.
Igels-Degen:
Hochaltar 1506, unten am Bild der Schreinrückseite Yvo Striegel mit Beinamen "cognomine" am Bild unter der Schreinrückseite.
Churwalden:
Katholische Pfarrkirche, Luziusaltar 1511, an den beiden Flügel der Feiertagsseite
St. Maria im Calanca:
Ehemalige Katholische Pfarrkirche, heute Historisches Museum Basel 1512, im Mittelfeld der Schreinrückwand Yvo Striegel im Mittelfeld der Schreinrückwand.
Tinizong:
Katholische Pfarrkirche, Hochaltar 1512, am rechten Flügelrahmen der Werktagsseite, geschrieben auf einen Zettel, der am Baum befestigt ist. Jürg Kändel von Biberach am rechten Flügelrahmen der Werktagsseite.
Vigons:
Katholische Pfarrkirche, Hochaltar 1516 Predellarückseite Jürg Kändel von Biberach Predellarückseite

Brigels:
Kapelle St. Martin 1518 an der Schreinstufe und Predellarückseite
Sevgein i.O.:
Ehemals Pfarrkirche, heute Schweizerisches Landesmuseum Zürich Jürg Kändel von Biberach mit Meisterzeichen am Rahmen der Schreinrückseite.

Schadensursache und Restaurierungsprobleme

Die Reaktion des Holzes als Träger von Farbfassungen und Malerei auf Klimaveränderungen ist eines der Hauptprobleme für die Erhaltung von Tafelmalerei und Skulpturen. Der Zustand spätgotischer Altäre und deren Ausstattung ist daher von der Situation des Standorts und den Einflüssen der Umgebung abhängig. Holz reagiert auf Feuchtigkeitsveränderungen: es quillt bei der Aufnahme von Wasser und schwindet bei dessen Abgabe. Dieser Quell- und Schwundprozess ist beim Nadelholz aus dem Schrein, Predella, Fialen und Bildtafeln eines spätgotischen Retabels gefertigt sind, wesentlich stärker als bei dem für Schnitzarbeiten verwendeten Lindenholz. Zudem sind besonders beim Nadelholz, die Dimensionsveränderungen im grossporig gewachsenen Bereich des Früholzes grösser als beim engporigen Spätholz. Deshalb kommt es innerhalb eines Holzbrettes zu unterschiedlichen Reaktionen auf die Veränderung der Feuchtigkeit. Die Mal- und Fassungsschichten können den Bewegungen des Holzes nicht folgen: beim Quellen des Holzes werden sie auseinandergerissen und beim Schwinden dachförmig aufgestossen. Wiederholtes Quellen und Schwinden führt zum Verlust der geschädigten Mal- und Fassungsschichten. Bildtafeln, die tangential aus dem Holzstamm gesägt sind, können sich durch Feuchtigkeitsschwankungen verwölben.

Langfristig führen auch maltechnische Schwächen zu Problemen, denn sie begünstigen die Auswirkungen der Klimaverhältnisse. So reagieren zum Beispiel die verwendeten hygroskopischen Bindemittel ebenfalls auf Klimaveränderungen. Die Quell- und Schrumpfprozesse verursachen Oberflächenspannungen und dadurch rollt sich die Malschicht ab oder wird schollenförmig weggerissen.

Der Glutinleim als Bindemittel für Kreidegrund und Poliment versprödet sehr stark. Somit ist die geschwächte Kreidegrundierung auf klimabedingte Schrumpfprozesse noch anfälliger. Sie wird leicht vom Träger abgestossen oder in ihrer Schicht getrennt. Wird die Leimlösche (Präparierung) und das Poliment zu stark geleimt, entstehen bei entsprechendem Klimawechsel während Schrumpfphasen, besonders starke Oberflächenspannungen. Dies belegen die regelrecht von der Grundierung weggerissenen Inkarnate an Engelsköpfen und vergoldeten Faltenuntersichten an Skulpturen des Churer Hochaltars.

Besonders extreme Schäden entstanden, wo das bewusst schwach gebundene Azurit oder Kupfergrün übermalt wurde. So zum Beispiel an Skulpturen des Churer Hochaltars: Hier wurden das Azurit, Kupfergrün und das Violettgemisch aus Azurit und rotem Farblack mit stärker gebundenen Farbanstrichen übermalt. Diese übermalten Bereiche zeigen heute schwerste Schäden und grosse Verluste. Hingegen weisen die nicht übermalten Partien kaum Schäden auf. Beim Churwaldner Luziusaltar zeigt die Oberfläche des übermalten Azurits am Schulterumhang der Luzius-Figur breite Schwundrisse.

Die Luftfeuchtigkeit wird durch die jahreszeitlichen Klimaunterschiede, Wetterwechsel, unsachliche Belüftungspraxis und vorallem durch intensive Heizungsintervalle beeinflusst. Allein schon die grundsätzlich nach Osten gerichteten spätgotischen Kirchen tragen bei zur ungünstigen Klimasituation im Bereich des im Chor stehenden Hochaltars. Die kurzfristige Sonneneinstrahlung durch das östliche und südöstliche Chorfenster trifft genau auf die Bilder der Schreinrückwand und die Werktagsseite des linken (südlichen) Altarflügels. Die durch die Fensterverglasung konzentrierte Sonnenenergie verursacht ein massives Trockenklima im von den Strahlen erfassten Bildbereich. Wie Brenngläser wirken, zum Beispiel Butzenscheiben. Durch solche architekturbedingten negativen Einflüsse entstanden zum Beispiel an den Altären von Churwalden, Domat-Ems, Lantsch und Tomils besonders verheerende Schäden und Bildverluste. Der Tinizonger Hochaltar von Jürg Kändel wurde im südwestlich gerichteten Chor der neuen Kirche des 17. Jahrhunderts plaziert. An dem grossartig gemalten Jüngsten Gericht liess sich an der Bildfläche aufgrund der erschreckend vielen Schäden und Verluste der Ablauf der Sonnenwanderung ablesen. Im Winter, wenn die Sonne besonders tief steht, wurden grosse Bildflächen bestrahlt. Die oberen Bildbereiche, die nicht von den Sonnenstrahlen erreicht wurden, zeigten bei der Untersuchung 1966 nur wenige Schäden und keine Verluste. Ein weiterer Schaden durch Sonneneinwirkung ist die Vergrauung des nicht lichtbeständigen roten Farblackes, was fast an jedem gotischen Tafelbild zu beobachten ist. Schwerwiegender erwiesen sich die wärmenden Sonnenstrahlen auf die mit rotem Farblack in wiederholtem Auftrag deckend gemalten Bereiche. Diese Stellen zeigen regelmässig Frühschwundrisse. Sie entstehen wenn der obere Farbauftrag schneller trocknet als der darunterliegende; aber auch wenn die bereits gestrichene Malschicht von der nächstfolgenden wieder angelöst wird. Werden solche Schichten von der Sonne bestrahlt, schrumpfen sie mit der Zeit kugelförmig zusammen und zwar je deckender der Auftrag des Farblacks, umso stärker die Schrumpfungen.

Klimatisch bedingt entsteht auch der Pilzbefall. Pilze brauchen eine entsprechend hohe Luftfeuchtigkeit um sich entwickeln zu können. Dies setzt aber nicht in jedem Fall eine im gesamten Raum verteilte hohe Luftfeuchtigkeit voraus. Günstige Lebensbedingungen für Pilze können auch lokal gegeben sein. Solche Schwachstellen bietet das spätgotische Retabel bereits selber in Bereichen wo zu wenig Luftströmung vorkommt. Diese Situation ist gegeben, wenn der Schrein während der Fastenzeit geschlossen bleibt. Gefährliche Staus ergeben sich wenn ein Retabel Standflügel aufweist. Ist der Schrein geöffnet, stehen die Flügelbilder der Werktagsseite sehr nahe bei den Standflügeln. Das Ergebnis ist, wie zum Beispiel der Tinizonger Hochaltar zeigte, ein starker Pilzbefall an den Bildern der Werktagsseite und an der Malerei der Standflügel-Vorderseite. Gleiches war 1990 am Katharinenaltar der Kathedrale Chur zu beobachten. Bei spätgotischen Seitenaltären ist die Situation ähnlich. Da sie mit zu geringem Abstand zur Wand aufgestellt sind, zeigen die Schreinrückwände meist einen intensiven Pilzbefall. Die Wand hinter den Altären ist kalt, weshalb in dem Zwischenraum eine höhere Luftfeuchtigkeit vorherrscht. Die feuchte Luft wird aufgrund mangelnder Zirkulation gestaut und bildet daher die ideale Lebensbedingung für Schimmelpilze.

Erstaunliche Parallelen zum Pilzvorkommen ergaben Untersuchungen des Wurmbefalls. Anobium punktatum bevorzugt ebenfalls das feuchte Klima, das im erwähnten Zwischenraum vorherrscht. Der Luziusaltar von Churwalden, der an der Ostwand im südlichen Seitenschiff der Churer Kathedrale stand, zeigt zum Beispiel einen enormen Anobienbefall an der Schreinrückwand und am Rahmen des Schreinbodenbretts. Von hier aus haben die Anobien teilweise Profile im Gesprenge befallen.

Typisch für die Gegebenheit des Anobienbefalls ist das Bodenbrett der Predella des Churer Hochaltars, die vor der Restaurierung 1921/26 direkt auf der steinernen Altartischplatte stand. Die Steinplatte bildete eine Kältebrücke, die Kondenswasser entstehen liess und so günstige Lebensbedingungen für die Anobien schuf.

Der starke Anobienbefall am Tomilser Hochaltar weist zwar darauf hin, dass in dieser Pfarrkirche zeitweise eine hohe Luftfeuchtigkeit vorherrschte. Warum es zum extremen Befall an den Schreinskulpturen, Flügelbilder und -reliefs kam, konnten wir nicht ermitteln. Teils war er so stark, dass sich die Skulpturen kaum anfassen liessen. Unter der Oberfläche war weitgehend nur Frassmehl zu finden. Schon in den 30-ger Jahren versuchte man die Anobien mit einem schwer flüchtige Insektizid abzutöten und das Frassmehl mit Glutinleim zu festigen. Der Glutinleim ist nicht tief in das geschädigte Holz eingedrungen und verursachte Spannungsrisse. Durch das schwer flüchtende Insektizid wurden Harz-/Öllasuren angelöst, die stellenweise tränenartig herunterflossen und runzelig zusammenschrumpften.

Es gilt Retabel, Skulpturen und Tafelbilder durch geeignete Konservierungsmassnahmen als Ganzes zu erhalten. Dies bedeutet aber nicht eine allgemeine "Verschönerung" durch Ergänzen und Ersetzen fehlender Partien. Da jede Konservierung einen Eingriff in die Originalsubstanz des Objekts darstellt, sind Zustand, Mal- und Fassungstechniken und Schadensursachen genau zu untersuchen. In die Untersuchung müssen Umfeldbedingungen und Zustand des Standorts miteinbezogen werden. Denn es ist sinnlos Ausstattungen zu konservieren und restaurieren, ohne die Schadensherde zu beheben. Wird dies zum Beispiel aus Spargründen nicht befolgt, entstehen in kurzer Zeit erneute Schäden und damit auch bedeutende Mehrkosten.

Eine erfolgreiche Konservierung durch schonende Massnahmen ist langfristig nur gewährleistet, wenn die für den jeweiligen Fall geeigneten Werkstoffe eingesetzt werden. Auch schon bewährte Klebstoffe, Festigungs- und Konservierungsmittel sind auf ihre Eignung zu überprüfen. Jede Ausstattung hat ihre Eigenheiten und speziellen Umgebungs- und Nutzungsprobleme, die zu berücksichtigen sind.

Selbst bekannte Rezepturen müssen überprüft und eventuell neu zusammengesetzt werden. Dazu gehören auch käufliche Fertigprodukte - seien sie noch so gepriesen - sie sind nicht in jedem Fall anwendbar. Ausser der Gebrauchsanweisung muss zur Eignungsprüfung die Zusammensetzung des Produkts bekannt sein, denn es könnte bestimmte Lösemittel oder andere Beimischungen enthalten, die dem Objekt schaden. Zu dieser Thematik ein Beispiel: Die Polimentvergoldung ist normalerweise empflindlich gegen Feuchtigkeit, nicht aber gegen wachs - oder öllösende Werkstoffe. Im Gesprenge des Churwaldner Hochaltars stehen zwei Engel deren originale Polimentvergoldung mit einer modernen Ölvergoldung überschossen war. Das originale Poliment enthält nicht wie üblich nur wasserlösliches Bindemittel, sondern Zusätze, die gegen Lösemittel empfindlich sind. Hätte man die moderne Ölvergoldung entfernt ohne die Verträglichkeit des originalen Poliments auf Lösemittel zu überprüfen, wären unverantwortbare Verluste entstanden.

Dieser komplexe Hintergrund zeigt deutlich, dass der Restaurator die vielseitigen Konservierungs- und Restaurierungsprobleme nicht immer allein lösen kann. Er ist auf die Beratung und Hilfe entsprechender Disziplinen angewiesen, auch wenn er während seiner Ausbildung in naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet worden ist. Die Möglichkeit sich zu irren, ist im Gegensatz zu einem professionellen Wissenschaftler, viel zu gross. Noch bis in die 50er und frühen 60er Jahre war der Restaurator, von einem geheimnisvollen Mythos umgeben, still in seiner Werkstatt tätig. Zu viele modische Einflüsse, auch solche von Laien, wirkten auf ihn ein, so dass er zuviel mit ästhetischen Überlegungen zwischen neu gestalten und alt vortäuschen und zuwenig mit Erhalten konfrontiert wurde. Der warnende Finger des Denkmalpflegers fehlte, weil es in der Zeit zum Beispiel im Kanton Graubünden, noch keine fachlich kompetente, amtlich geführte Denkmalpflege gab. Inzwischen zeigt das Berufsbild des Restaurators international geförderte Richtlinien, mit dem einheitlichen Ziel, Kulturgut zu konservieren.

Nach heutiger denkmalpflegerischer und restauratorischer Auffassung gehört die Untersuchung des Klimas im gesamten Raum und im näheren Bereich der gotischen Ausstattung zur Konservierungsmassnahme. Ausgewertete Ergebnisse erlauben dem Bauphysiker zum Beispiel die vorhandene Heizung auf Anspruch und Tauglichkeit zu überprüfen: ob sich in Bezug auf die Ausstattung die Heizungssteuerung verbessern lässt oder ein neues Heizungssystem erarbeitet werden muss. Durch Messungen am Tomilser Hochaltar stellte der Bauphysiker fest, dass das "Chorklima" durch die Sonneneinstrahlung kaum beeinflusst wurde. Dagegen ist ein merklicher Abfall der rel. Luftfeuchtigkeit (um 7%) am Altar festzustellen. Die Luft- und Oberflächentemperaturen am Altar reagierten ebenfalls (57).

Pilz- oder Insektenbefall sind von Biologen zu untersuchen, die erfahren sind im Umgang mit Kunstdenkmälern. Der Restaurator untersucht und dokumentiert den Zustand der Ausstattung. Es gilt abzuklären, ob die Schäden infolge maltechnischer Mängel, nicht fachlicher Restaurierungen aufgrund von Klimaeinflüssen u.s.w. entstanden sind. Bei Bedarf führt er, in Absprache mit Bauherr und Denkmalpflege dringliche Notsicherungen durch. Sind die Untersuchungsergebnisse der verschiedenen Fachdisziplinen ausgewertet, kann ein gültiges Konservierungskonzept erarbeitet werden, das der Erhaltung und ästhetischen Werten eines Kunstwerkes Rechnung trägt.

Die praktische Konservierung umfasst das Sichern der losen Mal- und Fassungsschichten und die Reinigung. Wurm- und Pilzbefall ist zu behandeln und die abgetöteten Pilze sind zu entfernen. Durch Anobien stark geschwächtes Holz muss gefestigt werden. Jedoch dürfen die Festigungsmittel keine optische Veränderung und Schäden an Holz und Malerei verursachen.

Übermalungen an Bildern, Skulpturen und Fassungen bedeuten meist eine grosse Qualitätsverminderung. Die Freilegung aus ästhetischen Gründen rechtfertigt sich, wenn der Originalbestand erhalten ist, wie dies beim Churwaldner Hochaltar der Fall war. Mangelt es jedoch an Geld und ist das Original nachweislich nicht gefährdet durch die Übermalung und Übervergoldung, sollte wenigstens die Finanzierung für die notwendige Konservierung sichergestellt werden.

Es gibt allerdings Beispiele, wo man die Originalfassung aus Konservierungsgründen freilegen musste. Durch Oberflächenspannungen der Bindemittel in Übermalung und Übervergoldung zeigten Bilder und Fassungen der Altäre von Lantsch, Tomils und Degen, schwere Schäden. Die originalen Metallauflagen waren zum Beispiel mit stark gebundenem Poliment überdeckt und darüber mit einer Leimvergoldung überschossen. Diese Überfassungen verursachten bei Klimawechsel sehr starke Quell- und Schrumpfbewegungen, so dass die Originalvergoldung vom Untergrund gerissen wurde. Zurück blieb nur noch das originale Poliment oder der Kreidegrund. Dasselbe verursachten die Übermalungen an den Tafelbildern dieser Altäre.

Hier war nur durch Freilegen die Erhaltung der originalen Fassungen und Malerei zu gewährleisten. Dies betrifft auch den spätgotischen Teil des Degener Hochaltars von Ivo Striegel. Drastische Eingriffe erfuhr das Altärchen von Acla, das nach Erwin Pöschel ursprünglich in der Pfarrkirche von Platta stand. Die Fassung der Skulpturen wurde angeschliffen, stark erhobene Faltenstege weggeschnitten und vollständig übermalt. An den Tafelbildern erfolgte die Übermalung nur teilweise. Erwin Pöschel schreibt hierzu: "Die Skulpturen wurden durch eine schlechte Übermalung völlig entstellt und wirken daher sicherlich maskenhafter als sie es verdienen" (58).

1980 wurde die Kapelle von einer Schneelawine zerstört. Erhalten blieb, wie durch ein Wunder, die Altarwand mit dem Retabel, allerdings von den Schneemassen bedeckt. Baumäste hatten die Flügelbilder durchschlagen. Für 's erste schützte die dicke Übermalung die originalen Fassungen und die Malerei vor dem Schneeschmelzwasser. Später hingegen schrumpften die angequollenen Bindemittel der Übermalung, sie hoben sich vom Untergrund ab und rissen die Originalmalerei mit. Nebst dem Sichern der losen Malschichten half hier nur das sofortige Entfernen der Übermalung um den Originalbestand noch halten zu können. Aus Angst vor Diebstahl, steht heute das Altärchen leider nicht in der neu erbauten Kapelle in Acla. Es wurde in die Hauskapelle eines Altersheims überführt, die im Winter stark beheizt wird. Trotz dem aufgestellten Luftbefeuchter, entstanden inzwischen enorme Schäden durch das ungünstige Kima.

Erschreckend ist der organisierte Raub von Ausstattungen der Kirchen und Kapellen. Nicht nur die Verluste an Kulturgut sind schwerwiegend, sondern auch die irreparablen Schäden, die beim brutalen Vorgehen entstehen. Die Gefahr des Diebstahl zwingt zu vorbeugenden Massnahmen, wie das Anbringen von Alarmanlagen. Diese lässt sich leider meist nicht ohne Eingriff in die originale Substanz durchführen, sei es am Bau oder Retabel.

Zum Abschluss sei nochmals vermerkt, dass gerade die spätgotischen Tafelbilder und Farbfassungen, die mit verschiedensten Materialien, Farben und Bindemitteln geschaffen sind, sehr empfindlich auf Klimaeinflüsse und unsachgemässe Behandlung reagieren. Holz, Farben und Bindemittel sind unaufhaltbar dem natürlichen Alterungsprozess ausgesetzt, der trotz Konservierung des Kunstwerkes langfristig zu Schäden und Verlusten führt. Zurückhaltendes Heizen, Raumbelüftung zur richtigen Zeit, regelmässige Gebäudepflege, Zustandskontrollen am Retabel und eventuell beheben von Schäden im Anfangsstadium tragen dazu bei, Kosten zu sparen und den beschleunigten Zerfall eines Kunstwerkes zu verhindern.

Anmerkungen:

Zusatzanmerkung I: Ich danke Frau Heide Härlin, Anna Coello, Rufino Emmenegger, Rafael Emmenegger und Ronny Mächler für Ihre Mithilfe.

  1. Josef Zemp: Das Kloster St. Johann zu Münster. In Graubünden KDM der Schweiz, Neue Folge VII 1910 Genf. Seite 99. Ein nicht genannter Bildhauer erhielt für die Herstellung des Altares in der Marienkapelle 32.12 fl., der Maler hingegen 120 fl. Es dürfte sich um den Maler Anton Willi von Ried handeln, der auf der Predella des Altares in der Niklauskapelle signierte "A. W. R. 1741". Dazu noch folgender Hinweis von 1758: "dazu das Adeliche Stüfft den Maurermeister, Tischler Nikolaus von Porta und herrn Mahler Antonio Willi von Ried, so in der Kaiserlichen Stüfft Kürchen alle Altäre, Orgel, Kanzel und in der St. Nicolaus Capell gefasset, verschaffet die Cost und 40 fl. in gelt beygetragen, der yberst von Gueththättern freygöbig erhalten" In Pater Albuin Thaler: Geschichte des Bündnerischen Münstertales, Sterzing 1925, Seite 448.
  2. Dr. Matthias Pangerl: Das Buch der Malerzeche Prag. In Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance. Neudruck der Ausgabe 1878, Osnabrück 1970, Seite 17 -18.
  3. 1963-1965. Untersuchung durch das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK), Zürich unter der Leitung von Prof. R. Straub und T. Dr. Brachert. 1988 Untersuchungen für die Ausstellung "Meisterwerke Massenhaft" im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart mit Dr. Heribert Meurer und Hans Westhoff.
  4. Hans Westhoff, in Meisterwerke massenhaft Katalog zur Austellung 1993. Stuttgart: 1993, Seite 245. Die Linde und in beschränktem Umfang auch die Eiche, kommt in der nahen Umgebung von Ulm zur Genüge vor. Weil das meiste Eichenholz und die grosse Masse, das Nadelholz, vor allem für den Hausbau benötigt wurde, war man auf die Belieferung aus dem Allgäu und Oberschwaben angewiesen. Die nicht entrindeten Stämme wurden während dem alljährlichen Hochwasser im Frühjahr vorwiegend in der Iller zur Donau und von dort nach Ulm geflösst.
  5. Rolf Straub: Tafel- und Tüchleinmalerei. In Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken 1, Stuttgart 1984, Seite 134.
  6. Erwin Poeschel: KDM Graubünden, Band 1, Seite 120. Nebst den von ihm inventarisierten, in Graubünden noch vorhandenen Werken, verweist er auf folgendes: "Dazu kommen neun (eventuell 13), die heute in auswärtigen Kirchen und Museen verwahrt sind. Aus vorhandenen Fragmenten oder den bischöflichen Visitationsprotokollen - bisweilen auch aus der Kombination beider Nachweismöglichkeiten - lassen sich noch 45 weitere Stücke zusammenbringen, so dass wir also insgesamt 86 (zirka 90) Schnitzaltäre wissen, die in Bündner Kirchen standen. Eine stattliche Zahl, wenn man erwägt, dass diese Liste nur in den Gemeinden gesammelt ist, die sich der Reformation nicht anschlossen ...."
  7. Heute werden Skulpturen meist vertikal geschaffen.
  8. Hans Westhoff und Mengini konnten aufgrund solcher Abdrücke teilweise die Werkstattzugehörigkeit von Skulpturen erbringen.
  9. Siehe Anmerkung 4, Seite 248-249
  10. Dito, Seite 250-251, siehe Anmerkung 4.
  11. Das Holz schrumpft beim Trocknungsprozess. Dabei trocknet es zuerst am Äusseren, verzögert im Bereich des Holzkerns. Wird beim Schnitzen die Skulptur nicht schnell genug ausgehöhlt und das Kernholz entfernt, reisst der Länge nach radial vom Holzkern ausgehend nach allen Seiten. Der Kopf der Schreinmadonna des Hochaltars in der Kathedrale Chur zum Beispiel wurde an der Rückseite nicht ausgehöhlt und zeigt dementsprechend an der Rückseite einen breiten Riss.
  12. Entsprechend der heutigen liturgischen Auffassung wird der Schrein nur noch während der Fastenzeit mit den Flügeln geschlossen.
  13. Roland Hahn nennt in seinem Aufsatz in: "Meisterwerke massenhaft", auf Seite 278 den "Zubereiter", im heutigen Sinne ist der Fassmaler gemeint. Er bezieht sich auf ein Zitat von 1967. Seite 60: Dürer an Heller 1507: "...Tafel....vom Schreiner gelöst. Und hab sie zu einem Zubereiter getan, der hat sie geweisst, gefärbt und wird sie andrer Wochen vergulden". Es ist höchst gewagt aufgrund dieser Beschreibungen zu schliessen, dass der Zubereiter ein eigener Berufsstand sei. Die Maler haben die Fassarbeiten wie Grundieren, Gravieren, Vergolden usw. innerhalb ihrer Werkstätten durch Gesellen ausführen lassen. Schon Cennino Cennini beschreibt sehr deutlich, welche Arbeiten der künftige Maler lernen und beherrschen muss. Wenn Dürer seine Bildtafeln ausser Haus grundieren und vergolden liess, war diese Ausführung im Unterakkord wohl eine seltene Ausnahme.
  14. Erwin Poeschel, KDM, Bd. 1, Seite 126 und KDM Bd. 7, Basel 1948, Seite 113-114.
  15. Ist mit Bleistift auf der Unterseite des Bodenbrettes der Predella geschrieben.
  16. Teilweise irreführend ist die heute von Vergoldern benutzte Terminologie der Materialien und Arbeitsbegriffe. Man spricht zum Beispiel von Kreidegrundierung, gleichgültig ob dafür Gips oder Kreide verwendet wird.
  17. Als Vergleich: Heute variiert der Preis pro Gramm Azurit zwischen 9 und 11 Franken.
  18. Zwei Beispiele: San Abondio in Cauco als blauer Hintergrund für Wandmalerei um 1370 und an Schlusssteinen (archeologische Funde) des 15. Jahrhunderts vom ehemaligen Kreuzgang in St. Gallen.
  19. Dieser Vorgang muss sehr schnell geschehen, denn der Glutinleim geliert rasch. Im gelierten Zustand gelingt die Verklebung nicht mehr einwandfrei. Cennino Cennini beschreibt dieses Vorgehen im Kapitel 114, wie man die Tafel mit Leinwand überziehen muss.
  20. Wird dieses Vorgehen, das Hinlegen des Grundes nicht beherrscht, ist eine enorme zusätzliche Schleifarbeit erforderlich.
  21. Das 19. und 20. Jahrhundert praktiziert genau das Gegenteil. Auf einer absolut plan geschliffenen Grundierung wirkt die Glanzvergoldung langweilig.
  22. In Italien wurde vom Mittelalter bis zum Barock gebrannter Gips verarbeitet, der durch langes Einsumpfen im Wasser tot gerührtem Gips entspricht. Wie totgerührter Gips hergestellt und verarbeitet wird, beschreibt Cennino Cennini in den Kapitel 115 - 121.
  23. Bolus ist ein feinst geschlämmter Ton, der in Weiss, Gelb, Rot und Grau vorkommt, zur Verarbeitung gebunden mit Glutinleim oder Eiklar wird er Poliment genannt.
  24. Heute wird das Poliment in Kegelförmigen Stöcklein angeboten und besteht in seinen Hauptbestandteilen aus fein geschlämmten Ton. Um ihm eine besondere Geschmeidigkeit und Fettigkeit zu geben, ferner die Zugaben von gebleichtem Wachs, Schlick, venezianischer Seife und manchmal Grafit und venezianischem Terpentin.
  25. Ernst Willemsen hatte anhand der vielen, in der Amtswerkstatt des Landesdenkmalamts in Bonn, restauriert Skulpturen beobachtet, das in Deutschland erst um 1430 bis 1440 der rote Bolus für Vergoldungen benützt wurde. In Italien findet sich roter Bolus bereits im 12. Jahrhundert an Scheibenkreuzen als Hintergrund zu Kruzifixen. Zur Zeit Giottos findet sich in Italien praktisch einheitlich nur noch roter Bolus an Tafelbildern und deren Rahmungen. Der allgemeine Brauch lässt sich in Griechenland und dem byzantinischen Einflussbereich bereits im 7. und 8. Jahrhundert an Ikonen nachweisen.
  26. Bereits 1743 beschreibt Johann, Melchior Krökern im Kapitel 33 ein Netzmittel aus Wasser und Brantwein, das noch heute benützt wird. Ferner beschreibt er die Zusammensetzung des Poliments und die Anfertigung des Anschiessers, die auch heute in gleicher Weise hergestellt werden. Als Anschiesser benutzen die Vergolder heute nebeneinander aufgereihte lange Dachshaare die zwischen zwei dünnen Kartons festgeklebt sind. Cennino Cennini empfiehlt im Kapitel 134 hierzu ein rechteckiges Papier zu verwenden, das ein wenig breiter als das Metallblatt ist.
  27. Weil man im 12. Jahrhundert die Gold- und Silberblätter wesentlich dicker herstellte, liessen sich diese, wie Theophilus Presbyter im Kapitel XXIII der "Schedula Diversarum Artium" beschreibt, noch mit der Schere zurechtschneiden. Cennino Cennini schreibt hierzu im Kapitel 139 "Merke dir, dass man für die flachen Stellen aus einem Dukaten nicht mehr als 100 Blätter schlagen sollte, statt 145, denn sie verlangen massives Gold. Und sich zu, wenn du das Gold beim Einkaufen aussucht, dass du es einem Menschen abnimmst, der ein guter Goldschläger ist." Heute schafft der im Goldschläger aus dem Gewicht eines Dukaten 1000 bis 1200 Blatt. Dies entspricht einer Blattdicke von 1/10000 mm. Hermann Kühn stellte durch mikroskopische Untersuchungen an Tafelbildern des Niklaus Manuel Deutsch fest, das er Goldblätter in der Stärke von etwa 1/2000 bis 1/3000 mm verarbeitete. (Hermann Kühn : Farbmaterial und technischer Aufbau der Gemälde von Niklaus Manuel. In: Maltechnik, Restauro 89 (1977) Seite 155 bis 171.
  28. Hans Westhoff, Roland Hahn, Elisabeth Krebs. Verzierungenstechniken an spätmittelalterlichen Altarretabeln, im meisterwerke Massenhaft, Stuttgart 1993, Seite 295.
  29. Gravuren durch Wuggeln und Stelzen, seit den 60er Jahren des 20. Jahrhundert auch Tremolieren genannt, entstehen indem man ein schmales, flaches Hohleisen in Links- und Rechtswendungen über die dick grundierte Fläche führt.
  30. Rolf Straub, Tafel und Tüchleinmalereides Mittelalters, Stuttgart 1984, Seite 169.
  31. Gemessene Werkspurbreiten: Brigels 5 mm, Degen 4 mm, Lenz 3 + 4 mm, Tinizong 5 mm, Churwalden 4 mm.
  32. Dies liess sich an den Retabeln von Acla, Brigels, Churwalden, Degen, Tinizong und Tomils nachweisen.
  33. Im Norden der Alpen verwendete man Kreide zum Grundieren. Südlich der Alpen wurde hierzu Gips vorgezogen.
  34. Brigitte Hecht beschreibt in ihrer unveröffentlichen Diplomarbeit, der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, 1977, gelungene Versuche mit Kirsch- und Birnbaumholz.
  35. Ernst Berger, Quellen und Technik der Fresko, Öl- und Temperamalerei des Mittelalters, Tegernseer Manuskript "Liber illuministrarius." Ausgabe Wiesbaden 1973 nach unverändertem Neudruck der Ausgabe 1912, Seite 194 - 196.
  36. Betreff Lüsterfarben siehe Kapitel Farbfassungen.
  37. Rolf Straub, Tafel- und Tüchleinmalerei, in Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Stuttgart 1984, Seite 179 und Anmerkungen 140, 152, 187
  38. Heide Härlin. Institut für Technologie der Malerei; der Staatlichen Akademie der Bildenen Künste Stuttgart. Die Untersuchung von Pigmentproben des Hochaltares der Kathedrale Chur, Stuttgart 23.02.98. MS, Archiv Oskar Emmenegger, Zizers.
  39. Siehe Anmerkung 35 Seite 195.
  40. Bolognerser Manuskript (Bologna, Bibl. Dei Canonici di S. Salvatore, ms. 165; Mitte 15. Jahrhundert, "Segreti per colori"
  41. Siehe Anmerkung 35, Seite 195.
  42. Siehe Anmerkung 37 Seite 229.
  43. Siehe Anmerkung 35, Kapitel "Von den sternen" und "Wie man papier vergilt", Seite 196.
  44. Die roten, grünen und blauen Lüsterungen dieser Perlen dürften wohl im 19. Jahrhundert oder bei der Restaurierung 1929 hinzugekommen sein. Blaue Lüsterfassungen finden sich erst nach dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Einzelne Perlen sind einfache 1929 ersetzte Stecknadelköpfe.
  45. Giotto und Simone Martini schufen Fresken in der Kirche San Francesco in Assisi; Fra Angelico in der Klosterkirche San Marco in Florenz, Raffael in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.
  46. Reste dieser Malereien haben sich im Rathaus Basel erhalten. Von der Fassadenmalerei Holbeins sowie der Malerei im Innern des 1824 abgerissenen Hertensteinhauses in Luzern, existieren nur noch die Originalpläne, Rekonstruktionszeichnungen, Beschreibungen und ein Fragment im Luzerner Kunsthaus.
  47. Cennini, Kapitel 104 "Merke dir, wieviele Jahre der zum Lernen braucht, weniger darauf zu verwenden wäre nicht gut: Fürs erste musst du dich schon als Knabe ein Jahr im Zeichnen auf Täfelchen üben, dann sollst du zu einem Meister in die Lehre gehen, der sich in all den verschiedenen Zweigen unserer Kunst auskennt und sie versteht. Dort sollst du mit dem Reiben der Farben beginnen, dann das Kochen der verschiedenen Leimarten lernen, das Reiben der Gipsarten lernen, dir das Grundieren der Holztafeln aneignen, dich im Aufsetzen der Gipsornamente und im Polieren, im Vergolden und im Körnen des Goldes üben, und dies alles sechs Jahre lang. Um dich dann in der Malerei auszubilden, das Verzieren mit Beizen, das Machen von Goldgewändern, das Arbeiten auf der Mauer zu lernen, brauchst du weitere sechs Jahre, während welcher du fortwährend zeichnen sollst ohne Unterlass, an Feiertagen ebenso gut wie an Werktagen..... ."
  48. Jürg Kändel signierte die Altäre von "Sevgein, Tinizong und Vignogn. Ferner zeigen die Altäre von Acla, Mompé Medel und Brigels (St. Martin) aufgrund der Malweise die Handschrift der Werkstatt Kändels. Kändel arbeitete wahrscheinlich unter anderem mit dem Bildhauer Michael Zeynsler aus Biberach, einem Schüler Weckmanns, zusammen.
  49. Pigmente sind im Bindemittel unlöslich. Farblacke sind von einem Substrat, einem saugfähigen, weissen Trägermaterial, wie Kreide, Gips oder Tonerdehydrat absorbiert.
  50. Emulsionen sind wässrige Öl- und Harz enthaltende Bindemittel, die mit einem Emulgator so vermischt (emulgiert) werden, dass sie sich gegenseitig nicht mehr abstossen. Das Eigelb (ein natürlicher Emulgator), Gummi Arabicum, alkalische Aufschliessmittel wie Kalk, Ammoniumcarbonat, Soda usw wurden als Emulgatoren benutzt.
  51. Hierzu gibt es viele Rezepte in Quellenschriften, zum Beispiel von Cennino Cennini für das Spätmittelalter, Vasari und für die spätgotischen Altäre besonders das Strassburger-, Tegernseer- und Heidelberger Manuskript. Das Mohnöl fand allerdings erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts vermehrt Verwendung.
  52. Im Kap. 122 schreibt Cennini: "Und habe eine Feder bei der Hand, damit, wenn dir irgend ein Strich nicht gefallen würde, du ihn mit den Federhaaren wegwischen und neu machen kännst."
  53. Bei diesem Fotoverfahren lassen sich mit den langwelligen Infrarotstrahlen unter günstigen Umständen schwarze Zeichnungen, die unter weissen, gelben oder roten Farben liegen, auf speziellen Infrarotfilmen festhalten.
  54. Siehe Anmerkung 35, Seite 197.
  55. Weil das Kupferresinat, bestehend aus Terpentinbalsam, Grünspan und anderen Kupfersalzen, stark vergilbt und daher braun erscheint, wurde diese Farblasur früher von Restauratoren fälschlicherweise entfernt.
  56. Siehe Anmerkung 35 und 43, Seite 196.
  57. Zitat aus Stadlin Bautechnologie, Kirche Tomils. Klimamessungen vom 07.04.1986 - 13.04.1986. Buchs, 16.04.1986. MS, Archiv Oskar Emmenegger.
  58. Erwin Pöschel, KDM, Bd. V, Seite 146, Basel 1943.

Literatur

  • Cennino Cennini, Handbüchlein der Kunst. Neu übersetzt und herausgegeben von P. Willibrord Verkade O.S.B., Strassburg 1916.
  • Ernst Berger, Quellen und Techniken der Fresko-, Öl-, und Tempera-Malerei des Mittelalters, München 1912.
  • Erwin Poeschel. KDM des Kanton Graubündens Bd. 1-7, Basel 1937-48.
  • Felix Muhle. Der Kilchberger Altar. Untersuchungen zur Mal- und Fasstechnik der Zeitblomwerkstatt. Diplomarbeit. Studiengang Restaurierung und Technologie von Gemälden und gefassten Skulpturen an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste, Stuttgart 1989.
  • Heraclius, von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetztung von Albert Jlg, in Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters der Renaissance, R. Eitelberger von Edelberg, Osnabrück 1970.
  • Lore Göbel. Die Bildhauerwerkstätten der Spätgotik in Biberach an der Riss, in Tübinger Forschungen zur Kunstgeschichte. Heft 7, Tübingen 1953.
  • Malerhandbuch des Malermönchs Dionysios von Berge Athos, (Hrsg.) Slavisches Institut München, München 1960.
  • Rolf E. Straub Tafel- und Tüchleinmalerei des Mittelalters, in Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken Bd. 1 Seite 127-259, Stuttgart 1984.
  • Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Jahresbericht 1965, Zürich 1966.
  • Das Strassburger Manuskript, Handbuch für Maler des Mittelalters. Englische Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen von Viola u. Rosamund Borradaile, Verlag Georg D.W.Callwey München, O.J.
  • Theophilus Presbyter. Schedula diversarum artium I. Band in Quellenschrift für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Osnabrück 1970.
  • Dr. Alfred Waltmann. Das Buch der Malerzeche in Prag, in Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Osnabrück 1970.
  • Württenbergisches Landesmuseum, Stuttgart (Hrsg.), Meisterwerke Massenhaft, Stuttgart 1993.
  • Anna Moraht-Fromm. Hans Westhof Der Meister von Messkirch. Forschungen zur südwestdeutschen Malerei des 16. Jahrhunderts. Ulm 1997.
  • Arbeitshefte des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (Hrsg.). Der Schabacher Hochaltar. Internationales Kolloquium anlässlich der Restaurierung Schabach, 30. Juni bis 2. Juli 1981. Arbeitsheft 11. München 1982.
  • Arbeitshefte des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (Hrsg.). Der Englische Gruss des Veits Stoss zu St.Lorenz in Nürnberg. Arbeitsheft 16. München 1983.
  • Peter Tongeberg. Mittelalterliche Holzskupturen und Altarschreine in Schweden. Studien zur Form, Material und Technik. Schweden 1986.
  • Institut für Technologie der Malerei der bildenden Künste, Stuttgart. Inken Stössel. Rote Farblacke in der Malerei, Herstellung und Verwendung im deutschsprachigen Raum zwischen zirka 1400 und 1850. Diplomarbeit zur Erlangung des Grades eines Diplomrestaurators.
  • Institut für Technologie der Malerei der bildenden Künste, Stuttgart. Hildegard Willers. Herstellung von tierischem Leim und seine Verwendung im Bereich der Tafel- und Fassmalerei nach Angaben deutschsprachiger Quellenliteratur des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Angefertigt für die Diplomprüfung 1980 im Studiengang " Restaurierung und Technologie von Gemälden und gefassten Skulpturen". Stuttgart 1980.
  • Institut für Museumskunde an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste, Stuttgart (Hrsg.). Ursula Tenge-Rietberg. Holzuntersuchungen an schwäbisch - allemannischen Skulpturen - 12. Jahrhundert bis um 1460-, - Analysen und Beobachtungen -. Diplomarbeit Stuttgart 1984.
  • Manfred Koller - Norbert Wibiral. Der Oacher - Altar im St. Wolfgang. Untersuchung Konservierung und Restaurierung 1969 bis 1976. Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege. Wien. Köln. Graz 1981.
  • Fritz Buchenrieder. Gefasste Bildwerke, Untersuchung und Beschreibung von Skulpturenfassungen mit Beispielen aus der praktischen Arbeit der Restaurierungswerkstätten des Bayrischen Landesamts für Denkmalpflege 1958-1986. Arbeitsheft40. München 1990.
  • Nicolo Rasmo. Der Mulzscher Altar im Sterzing Bozen 1963.
  • Peter Tongeberg. Die Altarschreine von Tjällmo und Järstad. Kritische Anmerkungen zur kunsthistorischen Methodik. Kungl. Vitterhets Historie Och Antikvites Akademien. Antikvariskt archiv 68. Stockholm 1980.
  • Ministerium für Kultur Verband Bildender Künstler der DDR. Restaurierte Werke in der Deutschen Demokratischen Republik. Ausstellung im Alten Museum. Staatliche Museen zu Berlin. April bis Juni 1980.
  • Arbeitshefte des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Die Lindenhardter Tafelbilder von Matthias Grünewald. Kolloquium, 26 bis 27. April 1977 in München, Arbeitsheft 2. München 1978.
  • Volker Schaible. Zur Konservierung der beidseitig bemalten Altarflügel des "Bocksdorfer Altars" von 1524 aus dem Konstanzer Münster, in Probleme um den Bildträger Holz in Vortragstexten der ersten Fach- und Fortbildungstagung der Fachklasse Konservierung und Restaurierung an den Kunstgewerbschule der Stadt Bern. 6. bis 7. September 1982. Seite 126 - 140. Bern 1983. (Nicht im Handel erhältlich).
  • Hans Westhof. Einige Erlebnisse von holztechnologischen Untersuchungen an mittelalterlichen Bildwerken des Württenbergischen Landesmuseum Stuttgart, in Probleme um den Bildträger Holz, in Vortragstexten der erstem Fach- und Fortbildungstagung der Fachklasse Konservierung an den Kunstgewerbschule der Stadt Bern. 6. bis 7. September 1982. Seite 98-115.
  • Werner Koch. Eine Dokumentation historischer Rückseitenbehandlung von Holztafelgemälden aus Museumsbestand in Vortragstexten der erstem Fach- und Fortbildungstagung der Fachklasse Konservierung an den Kunstgewerbschule der Stadt Bern. 6. bis 7. September 1982. Seite 98-115.
  • Ulrich Schiessel. Übersicht über einige historische Methoden der Holzkonservierung an polychromen Kunstgut, in Vortragstexten der erstem Fach- und Fortbildungstagung der Fachklasse Konservierung an den Kunstgewerbschule der Stadt Bern. 6. bis 7. September 1982. Seite 98-115.
  • Württenbergisches Landesmuseum (Hrsg.). Graviert, Gemalt, Gepresst. Spätgotische Retabelverzierungen in Schwaben. Stuttgart 1996.
  • Annette Scherer. Palmettblätter, Blütenranken, ruhende Hunde - Brokatstoffdarstellungen in der Kölner Malerei, in Kunsttechnologie und Konservierung. Jahrgang 12/1998, Heft 1. Seite 5-25.
  • Institut für Denkmalpflege - (Hrsg.). Materialien zur Fort- und Weiterbildung. Holz in der restauratorisch denkmalpflegerischen Praxis. 2. Fortbildungskurs für Restauratoren am 11. März 1994 in Hannover.
  • Michael Roth und Hans Westhof. Beobachtungen zu Malerei und Fassung des Blaubeurer Hochaltars, in Flügelaltäre des späten Mittelalters. Seite 167-188. Staatliche Museum zu Berlin, Skulpturensammlung Preussischer Kulturbesitz, (Hrsg.) Hartmut Krohm und Eike Oellermann.
  • Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege:
    Bericht über die Tätigkeit der Restaurierungswerkstätten.
    - Band XXIV in den Jahren 1959-1961, Bonn 1962
    - Band XXVII in den Jahren 1961-1965, Bonn 1967
    - Band XXVIII in den Jahren 1965-1970, Bonn 1971
    - Band 33 Forschungen und Berichte, Köln 1983
    - Band 32 Forschungen und Berichte, Köln 1987
Copyright © 1998 Prof. Oskar Emmenegger and Oskar Emmenegger & Söhne AG. All rights reserved.

 
[Deutsch] [English]