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Misoxer Baumeister
Autor: Prof. Oskar Emmenegger, Roland Böhmer
Wenn von Misoxer Baumeistern und Stukkateuren die
Rede ist, denkt der Kunstfreund unwillkürlich an die von
ihnen errichteten Kirchen, Klöster und Schlösser in
Deutschland, Österreich, Jugoslawien, Böhmen und der
Schweiz. Innerhalb dieses Beitrages werden jedoch nicht
diese bereits erforschten und oft publizierten Bauwerke
behandelt. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Bauten in der
Heimat der Misoxer und in ihrer näheren Umgebung, das
heisst im Misox, im Calancatal, im Bündner Oberland und
im Albulatal. An ihnen sollen die farbige Gestaltung der
Aussenfassaden sowie die Fassungen von Stuckaltären und
Stuckdekorationen untersucht werden, zwei Themen, die
bis heute ungenügend erforscht sind und daher nicht die
gebührende Beachtung fanden.
Fassadengestaltungen
Seit den Siebzigerjahren wurden im Misox, im Calanca-
und im Vorderrheintal viele Fassaden von Kirchen und
Profanbauten untersucht, einerseits im Zusammenhang mit
Aussenrestaurierungen, andererseits aber auch im Rahmen
zweier Forschungsprojekte des Instituts für
Denkmalpflege der ETH Zürich, die sich mit der
Polychromie historischer Fassaden und mit historischen
Putztechniken befassen (2). Für den vorliegenden Aufsatz
wurden in erster Linie Objekte des Misox und des
Calancatals berücksichtigt und ausgewertet. Ausserhalb
dieser beiden Talschaften fanden nur solche Bauten
Beachtung, die nachgewiesenermassen von einem Misoxer
errichtet wurden und typische Misoxer Charakteristika
aufweisen. Alle beschriebenen Bauten weisen noch einen
grossen Bestand an Originalsubstanz auf.
Anhand der Untersuchungen, die Mane Hering in ihrem
Aufsatz "Weisse Architekturmalerei: Die Schönheit des
Einfachen" (3), veröffentlicht hat, lässt sich
feststellen, dass die Misoxer während des 17.
Jahrhunderts eine eigenständige Art von
Architekturdekoration geschaffen haben, die sich von
zeitgleichen Sgraffitodekorationen im Engadin, Bergell,
Puschlav, Albulatal, Domleschg und in der Bündner
Herrschaft sowohl durch ihre Technik als auch durch die
verwendeten Motive unterscheidet. Die
Fassadendekorationen dieser Täler sind teilweise zwar
ähnlich, aber viel reicher und oft buntfarbig. Sie
zeigen zudem nicht selten vegetabile Motive.
Die zu betrachtenden Aussendekorationen stammen fast
ausschliesslich aus dem 17. Jahr-hundert und zieren
hauptsächlich Sakralbauten. Die Dekoration beschränkt
sich auf Architekturgliederungen. Figürlicher Schmuck
und vegetabile Ornamente kommen mit einer Ausnahme nicht
vor. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass sie sich als
weisse Flächen von den ungestrichenen Naturputzflächen
abheben. Beliebt sind klassische Architekturelemente wie
Eckquader, Lisenen, Gurtgesimse, Dachgesimse, Pilaster
mit Arkadenbogen oder Gebälken sowie
Portalfensteraufsätze. Die Lisenen sind manchmal mit
Füllungsfeldern bereichert, so an den Pfarrkirchen von
Cauco und Sta. Domenica sowie an der Kirche La Madonna
del Ponte chiuso in Roveredo (4). Gelegentlich finden
wir an den Gebälken Triglyphenfriese, z. B. an den
Fassaden von La Madonna del Ponte chiuso in Roveredo,
St. Vincentius in Vella-Pleiv, St. Othmar und Gallus in
Laax und St. Maria in Acletta bei Disentis. Portale und
Fenster werden mit Sohlbänken, Rahmungen, gesprengten
oder geschlossenen Dreieckgiebel- und
Segmentbogenaufsätzen versehen (5). Weitere
Dekorationsmotive sind mit dem Zirkel ausgeführte
Sonnenräder, Rosetten und andere einem Kreis
eingeschriebene Dekors. Schöne Beispiele sind am Turm
der Pfarrkirche von Sumvitg erhalten. Im Gegensatz zu
den bisher aufgezählten sind diese Gestaltungselemente
nicht dem klassischen Architekturvokabular entnommen und
haben im Gesamtsystem eine untergeordnete Bedeutung.
Teile der Gliederungen, etwa Pilaster, Gebälke und
Portalrahmungen, sind vorzugsweise an den
Eingangsfassaden von Kirchen plastisch mit Mörtel der
Wand vorgesetzt, zum Beispiel bei der Kirche La Madonna
del Ponte chiuso in Roveredo oder S. Pietro in Verdabbio
(6). Die einfachen und schlichten Fassadendekorationen
fügen sich harmonisch den bescheidenen Architekturen ein
und verleihen ihnen ein typisches Gepräge, das jeden
Betrachter zu begeistern vermag.
Aus dem späten Mittelalter ist bis jetzt im Misox nur
eine einzige Fassadendekoration bekannt. Sie befindet
sich an der Collegiata in S. Vittore und kann auf das
Jahr 1498 datiert werden. Grossformatige rhombenförmige
Inkrustationsimitationen, die Kosmatenmustern ähnlich
sind, zieren als Friese die Lisenen des südlichen
Seitenschiffes und den Chor. Anders als bei den
Dekorationen des 17. Jahrhunderts wurde die ganze Wand
gekalkt, so dass kein Kontrast zwischen grauer
Wandfläche und weisser Dekoration entsteht. Die
Dekoration beschränkt sich ähnlich wie bei den
Beispielen des 17. Jahrhunderts darauf, architektonisch
relevante Bauteile hervorzuheben. Interessanterweise
wird das Rhombenmuster 1656 an der Pfarrkirche S.
Giorgio in Lostallo wieder aufgenommen. Es ziert als
Fries unterhalb des Traufgesimses die südliche
Seitenkapelle.
Die von Poeschel in die Spätzeit des 16. Jahrhunderts
datierte Fassade der Casa Zuccalli in Roveredo zeigt
eine ganz andere Auffassung (7). Durch die Tünche,
welche die Südfassade überdeckt, erkennt man bei gutem
Streiflicht reichen figürlichen Sgraffitoschmuck, der in
vier Zonen aufgeteilt ist. An der Nordfassade liegt die
Sgraffitodekoration, wenn auch stark beschädigt, frei.
Die Sgraffiti wurden in das mit Kalk weiss getünchte,
vorher mit Pflanzenschwarz eingefärbte Intonaco
eingekratzt. Anders als bei den Beispielen des 17.
Jahrhunderts beschränkt sich die Dekoration nicht nur
auf architektonische Motive, sondern sie überzieht die
ganze weiss gekalkte Wand. Der Farbkontrast zwischen
hellen und dunklen Wandflächen ist durch die Einfärbung
des Intonacos verstärkt.
Technik
Die zu betrachtenden Gebäude sind mit Bruch- und
Lesesteinen gemauert, wie im Alpenraum allgemein üblich.
Die Fugen zwischen den Steinen wurden in Pietra-rasa-Technik
geschlossen und die Maueroberfläche wurde egalisiert. Es
folgte in der Regel ein nass in nass aufgetragener
Zweischichtputz, bestehend aus einem Ausgleichsputz (Arriccio)
und einem Deckputz (Intonaco), dessen Oberfläche
vorwiegend mit der Maurerkelle abgekellt (angeglättet)
ist. Weniger häufig finden sich Putzstrukturen wie sie
entstehen, wenn nach dem Abkellen die Putzoberfläche
zusätzlich mit der Kalkbürste oder einem Jutesack
dressiert wird; anstelle von Kalkmilch benutzte man
dabei Wasser, denn die Fassadenflächen sollten ja
ungekalkt bleiben. Als Zugschlagstoff für das Arriccio
wie für das Intonaco wurde Sand mit der gleichen
Korngrössenverteilung verwendet. Die maximale Korngrösse
variiert allerdings von Objekt zu Objekt, je nach dem
vor Ort vorkommenden Material und den
Arbeitsgewohnheiten der Ausführenden (8).
Durch das Anglätten mit der Kelle oder das Dressieren
mit der Kalkbürste oder Jute sammeln sich Anteile des
Bindemittels Kalk auf der Putzoberfläche an. Es entsteht
dadurch der Eindruck, die Grundflächen seien dünn mit
Kalk gestrichen. Die so behandelten Oberflächen zeigen
in neuem Zustand einen hellen, silbergrauen Ton, der mit
zunehmendem Alter eine gelblich-rötliche Patina erhält,
weil der Sand Spuren von eisenschüssigem Material
enthält (9).
In den druckfesten, aber noch frischen Verputz wurden
zuerst senkrechte Mittelachsen und Masseinteilungen für
die Dekorationssysteme eingeritzt und, je nach Motiv,
die Zentren für Zirkelschläge markiert. Anhand dieser
Einteilungen ritzte man danach sofort die
Umrisszeichnungen mit einem spitzen Instrument ein. Die
so umrissenen Flächen wurden nun mit Kalk weiss
gestrichen und abschliessend mit in Sgraffitotechnik
ausgeführten Binnenzeichnungen versehen. Zum Ritzen
fanden spitze Metallstifte Verwendung. Um gerade Linien
ziehen zu können, benutzte man Holzleisten. Kleine Bogen
wurden mit einem Zirkel geritzt. Für grosse Bogen und
Kreismotive verwendete man einen spitzen Stab, an dem
eine Schnur befestigt war. An den Kirchtürmen von Laax
und Sumvitg, beide im Vorderrheintal, sind noch die
Einstichlöcher erhalten, von denen aus die Kreismotive
seitlich der Schallöffnungen und der Segmentbogen über
den Scheinfenstern geschlagen wurden.
Untersuchte Beispiele von Fassadengestaltungen
1. San Vittore, Collegiata SS. Giovanni e Vittore,
1498
Der Baubestand der dreischiffigen Pfeilerbasilika
geht teilweise ins 13. Jahrhundert zurück. Das Langhaus
mündet im Osten in einen niedrigen, polygonalen Chor.
Die Fassaden sind durch Lisenen gegliedert, die an der
Eingangsfassade auf die drei Schiffe des Langhauses und
an den Längsfassaden auf die Jocheinteilung Bezug
nehmen. Das Mittelschiff wurde 1713 erhöht.
Die heutige Fassadengestaltung geht auf die
Restaurierung von 1984 zurück. An der West- und
Südfassade des Schiffes wurde die Gestaltung von 1931
bewusst beibehalten und farblich erneuert. Die
Nordfassade des Schiffes und die Nordostfront des
Chorpolygons zeigen die ungestrichenen, naturbelassenen
Putzflächen, deren Bestand möglicherweise bis in die
Spätgotik zurückgeht. Es sind diejenigen Fassaden, die
dem Verkehr seit jeher abgewandt und daher dem Blick des
Betrachters entzogen sind. Unser Interesse gilt den 1984
freigelegten Sgraffitodekorationen am ersten Geschoss
des Turmes und an der Süd- und Ostfront des Chores.
Vertikale Bänder von Rhomben, denen oben sechsstrahlige
Sonnenräder vorgesetzt sind, zieren die Lisenen. In
einem der Rhomben findet sich das Wappen des Grauen
Bundes. Den einzigen horizontal angeordneten
Rhombenfries finden wir an der Südwand des Turmes. Die
übrigen Wandflächen blieben weiss.
Die Fassadendekorationen von S. Vittore sind die
ältesten erhaltenen Sgraffiti in Graubünden. Ihre
Datierung ergibt sich aufgrund der folgenden
Beobachtungen. Der Verputz schliesst sauber und
ungestört an den Schlussstein des Westportals mit dem
Datum 1498 an. Die Christophorus-Darstellung von 1521 am
südlichen Seitenschiff dagegen überdeckt den Putz mit
den Sgraffiti bereits.
Technik: Die stärksten Unebenheiten des
Bruchsteinmauerwerks aus granitischem Material wurden
zunächst pietra-rasa-artig eingeebnet. Das so
egalisierte Mauerwerk wurde mit einem Arriccio
(Grundputz) überdeckt. Für das durchschnittlich 12 mm
starke Arriccio hat man einen Sand mit der
Korngrössenverteilung von 0 bis 8 mm verwendet. Es zeigt
eine griffige, rauhe Oberflächenstruktur, wie sie
entsteht, wenn die Mörtelmasse angeworfen und das
"Zuviel" mit der Kelle abgezogen wird. In diesem Zustand
präsentiert sich die Nordwand der Kirche noch heute.
Das über dem Arriccio liegende Intonaco besteht aus
dem gleichen Mörtel. Seine Oberfläche wurde dicht und
stark geglättet. Das frische, aber bereits druckfeste
Intonaco wurde nun zwei- bis dreimal gekalkt. Aus dem
Kalk kratzte man die Dekorationsmuster an den Lisenen.
Zuerst wurde jedoch die senkrechte Mittelachse mit dem
Lot bestimmt und mit der Schlagschnur in den frischen
Putz eingedrückt. In der gleichen Art und Weise wurden
die Horizontalen markiert. Die Masse der Rhomben
übertrug man mit dem Zirkel. Auch die sechsstrahligen
Sonnenräder sind mit dem Zirkel konstruiert.
Der sichtbare Originalbestand der Sgraffiti am Chor
beträgt zirka 70%. Am südlichen Seitenschiff, wo er noch
unter Tüncheschichten des 18. und 20. Jahrhunderts
verborgen ist, sind zirka 55% und an der Westwand noch
zirka 40% unter dem Putz erhalten.
Literatur: Kdm GR VI, S. 197 - 206.
2. Roveredo, Casa Zuccalli, 16. Jahrhundert
Die Casa Zuccalli ist, von der Fassadengestaltung her
betrachtet, wohl der bedeutendste frühneuzeitliche
Profanbau im Misox. Das Haus, welches heute die
Versicherungsnummer 179 trägt, befindet sich in der
Mitte einer Zeile von drei Häusern. Die Süd- und die
Nordfassade sind mit Sgraffitodekorationen von
bemerkenswerter Qualität überzogen, die Erwin Poeschel
in die Spätzeit des 16. Jahrhunderts datiert. An der
Südfassade sind die Sgraffiti von mehreren
Kalkanstrichen überdeckt, an der Nordfassade sind sie
nicht übertüncht und zu ca. 50% noch erhalten. Der Rest
der Fassadendekoration fehlt oder ist teilweise von
jüngeren Putzausbesserungen überdeckt.
Bei gutem Streiflicht ist an der Hauptfassade
(Südfassade) trotz der Übertünchungen einiges zu
erkennen. Die Fassade ist durch Gurten in vier
horizontale Zonen gegliedert. In der Sockelzone lassen
sich keine Motive ausmachen. Doch ist zu vermuten, dass
hier wie an der Nordfassade eine Rhombenmusterung
vorhanden war. In der Fensterzone des ersten
Obergeschosses stehen Einzelfiguren in Nischen. Zwischen
den Fenstern des ersten und zweiten Obergeschosses ist
eine Reihe berittener Gestalten angeordnet und zuoberst,
im zweiten Obergeschoss, wiederum stehende Einzelfiguren
in durch Säulen getrennten Nischen.
Die Nordfassade ist auf die gleiche Weise wie die
Hauptfassade gegliedert, aber weniger repräsentativ
gestaltet. Im Bereich des Erdgeschosses finden sich
Reste einer Rhombenmusterung. Das erste Obergeschoss ist
gequadert. Im zweiten Obergeschoss ist eine Säulenloggia
dargestellt. Darüber folgt das reich profilierte
Traufgesims, dessen Formensprache an ein Stuckgesims
erinnert.
Technik: Über dem bis zu 15 mm starken Arriccio
befindet sich das mit Pflanzenschwarz eingefärbte 5 bis
6 mm starke Intonaco. Die Sgraffitodekorationen wurden
aus der mit Kalk weiss gestrichenen Intonaco-Oberfläche
herausgearbeitet. Bei Quadern und Blattfriesen
beschränkte man sich auf das Herausarbeiten des Grundes
und das Ritzen der Binnenzeichnungen. Die Figuren und
andere Motive, die plastisch erscheinen sollten, wurden
zusätzlich mit Schraffuren schattiert.
Der Zustand der für das Misox einmaligen
Fassadengestaltung ist vor allem an der Nordfassade
höchst bedenklich. Überall finden sich Stellen, wo sich
das Intonaco vom Arriccio löst.
Literatur: Kdm GR VI, S. 192f.
3. Disentis, Kapelle St. Placidus, 1655
Die nach Norden gerichtete Kapelle ist ein Neubau,
der von "Domenico Barbe" (Barbieri) aus Roveredo
errichtet und laut Datum im Giebel der Südfassade 1655
vollendet wurde. Er ersetzt einen Vorgänger aus dem
Jahre 1458. Die Kirche ist eine in drei Joche
unterteilte, einschiffige Anlage mit polygonalem Chor,
dem im Norden ein verhältnismässig kleiner Turm
vorgesetzt ist. Der Turm ist im Sockelgeschoss von einem
Lawinenkeil ummantelt. An der Westwand des Chores stand
eine zweigeschossige Sakristei, die 1984 von einer
Lawine zerstört wurde.
Das Äussere der Kapelle ist durch Blendarkaden
gegliedert, bestehend aus Pilastern und flachen Bogen.
Darüber liegt das Traufgesims. Stichbogenfenster und
darüber angeordnete Oculi sorgen für reichlich Licht im
Innern. Die Wandflächen der Blendnischen zeigen den
originalen naturbelassenen Putz, während die
Gliederungselemente mit Kalk weiss gefasst sind. Um die
Fenster und Oculi finden sich in Sgraffitotechnik
ausgeführte Rahmen mit Scheinarchitekturen. Ebenfalls in
Sgraffito gestaltet sind die Eckquader am Turm.
Technik: Das naturbelassene Intonaco zeigt eine
leicht angeglättete Oberfläche; die weiss getünchten
Gliederungen sind etwas stärker geglättet. Die Umrisse
der Fensterrahmungen und der Eckquader am Turm wurden
mit Nagelrissen markiert und die so definierten Flächen
mit Kalk sofort al fresco weiss gestrichen. An der
Westfassade finden sich unterhalb der Fensterbänke in
den Naturputz geritzte Kreuze, die als Massmodule zu
verstehen sind.
Bei der Restaurierung 1984 wurden die Fassaden gereinigt
und schadhafte Putzstellen im Sockelbereich sowie
fehlende Dekorationen ersetzt.
Literatur: Kdm GR V, S. 107 - 110.
4. Lostallo, Pfarrkirche S. Giorgio, 1656
Der heutige Bau ist das Resultat eines Um- und
Neubaus im 17. Jahrhundert. Der neue Chor war 1639
vollendet, doch blieb die Kirche vorerst noch
unbenutzbar und erhielt erst 1656 die Weihe. Der Bau
präsentiert sich heute noch weitgehend in der Gestalt
des 17. Jahrhunderts. Er besteht aus dem flachgedeckten
Langhaus mit zwei Seitenkapellen im Ostteil, dem
eingezogenen polygonalen Chor, dem Turm nördlich des
Chors und der daran angefügten Sakristei.
Die schönen, aber eigenwillig und etwas unlogisch
zusammengesetzten Scheinarchitekturen in
Sgraffitotechnik sind über dem Scheitel des
Thermenfensters an der Westfassade auf das Jahr 1656
datiert. Die Süd- und Westfassade des Schiffes sind mit
plastischen Gliederungen versehen: Ecklisenen tragen ein
umlaufendes Dachgesims, und an der Westfassade trennt
ein Gurt zusätzlich das Giebelfeld ab. Die Lisenen sind
in Sgraffitotechnik gequadert. Auf der Quaderung ruht
ein ebenfalls in Sgraffito ausgeführtes Kapitell. Eine
weitere Lisene an der Südfassade zwischen der Westecke
und der Seitenkapelle ist in Sgraffitotechnik
eingekratzt. An der Südkapelle, am Chor und an der
Sakristei sind die Fassadengliederungen ausschliesslich
in Sgraffitotechnik ausgeführt. Die Ecken sind mit
einfachen Quadrierungen im Läufer- und Bindersystem
versehen, die oben an den Dachuntersichten enden.
Diejenigen an der Südkapelle tragen ein Traufgesims,
darunter ist an der Westfassade noch ein Rhombenfries
hinzugefügt. Nur an der Südkapelle findet sich ein
Sohlbankgesims. Wie Reste am Turm belegen, zeigte dieser
ursprünglich ebenfalls eine Eckquadrierung. In Sgraffito
ausgeführt sind auch die Fensterrahmungen. An der
Nordfassade des Schiffes und an der nördlichen
Seitenkapelle gab es nie Dekorationen. Beide zeigen
einen naturbelassenen, noch grossflächig erhaltenen
Verputz, der mit der Kelle angeworfen und nur leicht
abgezogen wurde. Die aktuellen Quadermalereien an den
Ecken des Turmes entstanden wohl erst im späten 18. oder
frühen 19. Jahrhundert. Eigenartigerweise sind an der
West- und Südfassade der Kirche sowie an der Südkapelle
sämtliche Sgraffitolinien mit rotem Ocker nachgezogen.
Nicht mit Rot nachgezogen sind dagegen die Ritzungen am
Chor und an der Sakristei.
Technik: Über der sehr knapp
aufgetragenen Pietra rasa liegt ein Einschichtputz,
dessen Stärke zwischen 2 und 3 cm variiert. Seine
Korngrössenverteilung beträgt 0 bis 12 mm und mehr.
Bedingt durch den zu starken Putzauftrag entstanden am
Intonaco, das eine leicht angeglättete (abgekellte)
Oberfläche aufweist, viele Schwundrisse. Die plastischen
Gliederungen wurden mit Kalk weiss gestrichen, als der
Verputz noch frisch, aber bereits druckfest war. Danach
wurden sofort Binnenzeichnungen wie Quader, Gesimse und
das Kapitell in Sgraffitotechnik geritzt. Für die
Quaderungen, Gesimse und Fenstereinfassungen, die nicht
erhaben gestaltet sind, markierte man zuerst mit dem
Nagelriss deren Umrisse und strich dann die so
gezeichnete Fläche zweimal mit Kalk. Es folgten die
Ritzungen für die Binnenzeichnungen und das
Herausarbeiten des Hintergrundes für den Rhombenfries.
Ob die Ritzungen gleich danach rot nachgezogen wurden
oder erst später, bleibt offen (10).
Diese einfachen und in lockerer, unbekümmerter Art
gestalteten Fassaden begeistern durch den grossen
Originalbestand von zirka 80% und das dadurch
geschlossen erhaltene Bild. Bei der 1984 durchgeführten
Restaurierung wurden die Wandflächen gereinigt, die
wenigen Fehlstellen im Putz ergänzt und die fehlenden
Weissflächen dünn mit Kalk einlasiert.
Literatur: Kdm GR VI, S. 316 - 318.
5. Cauco, Pfarrkirche S. Antonio Abate, 1656 (?)
Die langgestreckte, 1656 geweihte Kirche ist ein
Konglomerat verschiedener Bauteile unterschiedlichen
Alters. Sie besteht aus dem Schiff, dem Vorchor und dem
Chor mit polygonalem Abschluss. Zwei Seitenkapellen sind
der Süd respektive der Nordwand des Schiffes
asymmetrisch angefügt. Die nördliche Seitenkapelle
entstand 1660 und ist an einen älteren Bauteil,
vielleicht einen Turmrest, angebaut, an den sich
ostwärts die Sakristei anschliesst. Erst 1683 wurde der
heutige schlanke Turm im Nordwesten der Anlage der
nördlichen Seitenkapelle vorgebaut. Da die Sgraffiti den
Turm nicht einbeziehen, sind sie älter und könnten um
1656 entstanden sein.
Ausser am Turm und an den Anbauten der Nordfassade
zieren einfache, fein und zerbrechlich wirkende
Architekturgliederungen in Sgraffitotechnik die
Aussenwände. Diejenigen des Schiffes und Vorchores
zeigen ein einheitliches System, diejenigen am
Chorpolygon weichen teilweise davon ab. Dort sind die
Lisenen zudem noch plastisch abgesetzt. Die West- und
Südfassade zeigt kräftige Eckpilaster, die auf
Postamenten ruhen und das Trauf bzw. Giebelgesims
tragen. Eckbänder gliedern die südliche Kapelle, und
Doppellisenen mit Füllungen betonen die Ecken des
polygonalen Chorabschlusses. Das Westportal mit einer
rundbogigen Rahmung wird durch schlanke Säulen auf
Postamenten, ein daraufliegendes kräftiges Gebälk und
einen gesprengten Giebelaufsatz akzentuiert. Die
Thermenfenster der West-, Süd- und Ostfassade zeigen
profillose Rahmungen, im Gegensatz zu den
Stichbogenfenstern, deren Sohlbänke und Stürze einfache
Profile aufweisen. Einmalig im bisher erfassten
Denkmälerbestand sind die dunkelgrau gemalten Friese der
Gebälke und Kämpfer sowie die ebenso behandelten Stürze
und Sohlbänke der Fenster an der Südkapelle.
Technik: Die jetzt sichtbaren
Dekorationen sind 1979 geschaffene, exakte Kopien des
noch bis zu 60% darunter erhaltenen Originals. Dieses
Vorgehen hatte zum Ziel, das Original vor der
Verwitterung zu schützen. Das Original zeigt folgenden
Aufbau: Das Bruchsteinmauerwerk aus granitischem
Material ist in unregelmässigen Lagen geschichtet und
wurde zunächst in Pietra-rasa-Technik egalisiert.
Darüber folgt ein Arriccio, dessen Zuschlagstoff eine
Korngrössenverteilung von 0 bis 8 mm aufweist. Der
Mörtel wurde mit der Kelle angeworfen und das Zuviel
abgezogen, weshalb das Arriccio eine griffige und rauhe
Oberfläche erhielt. Das Intonaco zeigte eine feinere
Oberflächenstruktur, denn es wurde nach dem Abziehen mit
der Kelle zusätzlich leicht abgekellt (angeglättet), und
störende Putzbrauen wurden mit einer Kalkbürste
verwischt. Für das Intonaco wurde der gleiche Sand
verarbeitet wie für das Arriccio. Der Bindemittelanteil
beträgt zirka 1/3 des Zuschlagstoffes Sand. Die Umrisse
der Dekorationen wurden auf dem frischen Putz mit einem
Nagelriss markiert, die gezeichneten Flächen mit Kalk
zwei- bis dreimal weiss gestrichen und danach die
Binnenzeichnungen und Konturen der Motive in
Sgraffitotechnik ausgeführt. Mit einem Gemisch aus
Pflanzenschwarz und Kalk wurden die Friese, Kämpfer und
weitere Bauteile dunkelgrau in Freskotechnik
hervorgehoben.
Die Kopien von 1979 wurden technisch in gleicher Art
wie das Original ausgeführt. Nur wurde dem Mörtel im
Sockelbereich zur besseren Frostbeständigkeit etwas
Weisszement beigemischt.
Literatur: Kdm GR VI, S. 257 - 258.
6. Roveredo, Kirche La Madonna del Ponte chiuso, um
1656
Nahe der Brücke, welche die enge, aber noch nicht
tiefe Traversagnaschlucht überquert, steht die Kirche La
Madonna del Ponte chiuso. Die Kirche wird erstmals 1524
genannt. Am 28. August 1656 fand eine Neuweihe mit drei
Altären statt. Ob die Kirche bereits damals in der
heutigen Ausdehnung vollendet war, ist nicht geklärt.
Der Baumeister dieser nach einem einheitlichen Plan
errichteten Kirche, welche als schönster Barockbau des
17. Jahrhunderts im Misox gilt, ist unbekannt. In
Betracht gezogen wird jedoch Giovanni Serro. Die drei-jochige
gewölbte Wandpfeilerhalle schliesst im Osten mit einem
eingezogenen, quadratischen Chor ab, dem an der Südseite
die Sakristei und an der Nordseite der Turm angefügt
ist.
Nur die West- und Nordfassade zeigen plastische
Gliederungen: Schwach vortretende Lisenen tragen an der
Nordseite das Traufgesims bzw. an der Westfassade das
Gurt- und das Giebelgesims. Das 1604 datierte
Steinportal der Westfassade ist wiederverwendet, die
Putten im gesprengten Portalgiebel und die Immaculata in
der darüberliegenden Nische wurden erst 1691/92 von
Simone Giuliani aus Roveredo geschaffen. Die übrigen
Fassadengliederungen, darunter auch die Lisenen der
Südfassade des Schiffs, sowie die Fenster- und
Türrahmungen sind in Sgraffitotechnik ausgeführt. In die
Lisenen der Nord- und Westwand sind illusionistische
Säulen auf Postamenten eingekratzt. Die Gebälke zeigen
Triglyphenfriese. Originelle Voluten auf Konsolen
stützen an der Nordfassade die Thermenfenster, die von
weissen Rahmen und Rhombenfriesen umgeben sind. Auch die
Gewände der Blindtüren der Westfassade und die darüber
angeordneten, grösstenteils blinden Rundbogenfenster und
Oculi weisen reiche Architekturrahmungen in
Sgraffitotechnik auf. Der Turm ist gequadert.
Technik: Der originale
Zweischichtputz liegt auf einem Bruchsteinmauerwerk aus
granitischem Material. An den Intonacooberflächen finden
wir im Putz eine Korngrössenverteilung des Sandes von 0
bis 6 mm. Die Oberfläche dürfte aber ein grösseres
Oberkorn aufweisen, was sich nur kontrollieren liesse,
wenn man am Putz Öffnungen anbrächte. Die originale
Oberflächenstruktur an der Süd- und Nordfassade des
Schiffes ist die gleiche wie am Turm, nur sind die
Bereiche mit den Sgraffiti etwas intensiver geglättet.
Mit dem Nagelriss wurden die Umrisse der Dekorationen
markiert und danach die Flächen mit Kalk weiss
gestrichen. Es folgten die Ritzungen für die
Binnenzeichnungen und das Wegschaben der
Hintergrundflächen der Triglyphen und Tropfen an den
Gesimsen.
Ursprünglich setzten sich die Grundflächen, die
ungestrichen als Naturputz blieben, silbergrau von den
mit Kalk gestrichenen weissen Gliederungen und
Dekorationen ab. Die Fassaden von Schiff und Chor
präsentieren jetzt eine bei der Renovation von 1941
geschaffene Situation. Die Sgraffitolinien wurden mit
rotem Ocker nachgezogen. An der Westfassade überputzte
man die Grundflächen mit einem naturbelassenen
Risselwurf. Um die nun störenden Niveauunterschiede zu
den originalen Sgraffitodekorationen ausgleichen zu
können, umgab man diese zusätzlich mit plastischen
Rahmen aus Kalkputz. An der Nord- und Südfassade wurden
teilweise Putzausbesserungen vorgenommen, und die
Grundflächen strich man mit einer Farbe, die dem Ton
eines Naturputzes ähnlich ist. Zudem wurden die mit
Sgraffiti versehenen Weissflächen mit Kalk neu
gestrichen. Nur der Turm blieb 1941 von einer
Überarbeitung verschont. Der Kalkanstrich der
ursprünglichen Quaderdekorationen ist nahezu vollständig
abgewittert, doch der ursprüngliche Verputz ist
grossflächig erhalten. Die geritzte Umrisszeichnung, die
Oberflächenstruktur des Verputzes, ja sogar die
Werkspuren der Maurerkelle sind weitgehend noch
erkennbar.
An der Nord- und Südfassade des Schiffes sind unter
den Übermalungen zirka 70% des Originalputzes mit
Sgraffiti erhalten. Wieviel vom Originalputz an der
Westfassade vorhanden ist, lässt sich nicht bestimmen.
Hingegen sind zirka 45% der Originalsgraffiti noch
erhalten. Erstaunlich gross ist der ursprüngliche
Putzbestand am Turm, wo er zirka 75% beträgt.
Literatur: Kdm GR VI, S. 170 - 175.
7. Sumvitg, Turm der Pfarrkirche St. Johannes
Baptista, 1670
Der Turm steht an der Nordseite der Kirche, beim
Übergang vom Schiff zum Chor. Dem schlanken,
fünfgeschossigen Turmschaft, der weithin das Tal
beherrscht, sind ein geschweifter Kreuzgiebel und eine
mächtige, hohe Kuppel aufgesetzt. Die Fassaden sind mit
reichem Sgraffitoschmuck verziert, ähnlich wie an der
Pfarrkirche in Laax (1675), einem Bau von Domenico Barbe
di Roveredo (Barbieri von Roveredo) und Martino II.
Barbieri (Turm). Der Baumeister des Kirchturmes von
Sumvitg ist zwar unbekannt, doch sind Domenico Barbieri
oder Martino Barbieri nicht auszuschliessen.
Die obersten drei der fünf Geschosse sind mittels
plastisch vortretender Eckpilaster hervorgehoben. Ein
kräftig profilierter Gurt trennt die zweigeschossige
Glockenstube vom Turmschaft ab, dessen drei Stockwerke
durch einfachere Gurtgesimse voneinander abgesetzt sind.
An den unteren Turmgeschossen werden die Eckpilaster
illusionistisch in Sgraffitotechnik fortgesetzt. Die
Schallöffnungen der Glockenstube sind mit Quaderabfolgen
im Läufer- und Bindersystem gerahmt. In den
Zwickelfeldern seitlich der Bogen der Schallöffnungen
sind Kreisen eingeschriebene Sonnenräder eingeritzt. Die
grösstenteils blinden Lichtscharten des Turmschafts
zeigen reich profilierte Fensterbänke und Stürze, denen
geschlossene und gesprengte Segmentgiebel sowie
gesprengte Dreieckgiebel aufgesetzt sind.
Technik: Auf dem Bruchsteinmauerwerk
befindet sich ein Zweischichtputz. Die Putzmischung
besteht aus zirka 1 Teil Kalk und 2 ½ Teilen Sand mit
einer Korngrössenverteilung von 0 bis 8 mm und mehr. Die
Oberfläche des Intonaco ist mit der Kelle angeglättet
und zeigt daher eine leicht bewegte Oberfläche und
teilweise rauhe Struktur. In den noch frischen Putz
wurden bei den Schallöffnungen zuerst die Quaderlängen
und die Breite der Eckpilaster mit dem Nagelriss
markiert, wozu man ein Lot benutzte. Für die
Höheneinteilungen der Quader und für die Lagerfugen
benutzte man die 90°-Einteilung des rechten Winkels.
Ebenfalls mit dem Lot wurden die senkrechten
Mittelachsen für die Keilsteine in den Bogen der
Schallöffnungen, gesprengten Giebeln und Segmentbogen
bestimmt. Innerhalb solcher senkrechter Achsen finden
sich jeweils auch Einstichlöcher für den Zirkel, mit dem
die Segmentbogen über den schmalen Lichtscharten
konstruiert wurden. Für grössere Bogen und Kreismotive
benutzte man auch eine Schnur, deren eines Ende an einem
Stab als Zentrum fixiert war. Am anderen Ende befestigte
man eine Metallspitze (Nagel) zum Ritzen. Die
Sonnenräder und andere Kreismotive sind mit dem Zirkel
konstruiert: Der Zirkelschlag diente zugleich als
endgültige Binnenzeichnung. Die so gezeichneten Flächen
wurden nun mit Kalk zweimal dick al fresco weiss
gestrichen. Abschliessend führte man die Binnenzeichnung
der Scheinarchitekturen und Dekorationen aus.
Bei der Renovation von 1938 wurden rund 30% der mit
Dekorationen versehenen Putzflächen ersetzt und der
gesamte übrige Originalbestand von zirka 65% mit
gemalten Rekonstruktionen im Sinne des Originals
versehen. 1985 erfolgte die Freilegung und Konservierung
der originalen Sgraffiti, wobei diesmal die Ergänzungen
dem Original angepasst und nicht wie 1938 bloss ungefähr
rekonstruiert wurden. Die Grundfläche wurde mit einem
Ton entsprechend demjenigen des Naturputzes lasierend
neu gestrichen und das Weiss der Dekorationen
eingestimmt.
Literatur: Kdm GR IV, S. 392 - 395.
8. Tersnaus, Pfarrkirche St. Apollinaris und Maria
Magdalena, 1672
Die nach Nordosten gerichtete Kirche ist abgesehen
vom romanischen Turmunterbau ein Neubau aus dem Jahr
1672. Sie besteht aus dem tonnengewölbten, dreijochigen
Schiff und dem eingezogenen Polygonalchor. Im Süden sind
dem Chor eine Sakristei und ein Annex vorgesetzt. Die
Kirche wird einem Baumeister Zur (Peter Zarro von Soazza
?) zugeschrieben. Das Datum 1672 befindet sich an der
Giebelwand über dem Thermenfenster.
Das Äussere der Kirche ist durch plastisch gestaltete
Lisenen gegliedert, die an den Längswänden des Schiffes
der Jochaufteilung im Innern entsprechen. Sie stützen
ähnlich wie in Lostallo ein Trauf- bzw. Gurtgesims.
Aussergewöhnlich gestaltet sind die Seiten der Lisenen,
deren tiefe Kehlen zur Grundfläche hin in einen feinen
Rundstab übergehen. Das Hauptportal wird von einem
steinernen Dreieckgiebel bekrönt. Alle übrigen
Gliederungen und Dekorationen sind illusionistisch in
Sgraffitotechnik gearbeitet und heben sich weiss vom
Naturputz der Grundflächen ab. Sowohl die Ecklisenen wie
das Traufgesims bzw. das Gurtgesims an der Westfassade
sind gequadert. Der Seiteneingang zeigt ein einfaches
Gewände und einen reich profilierten gesprengten Giebel.
Die Fenster haben nebst der realen Sohlbank eine weitere
in Sgraffito und werden von Quadern im Binder- und
Läufersystem gerahmt. Ungewöhnlich ist, wie die Quader
im Läufer- und Bindersystem in die Fensterlaibungen
hineinlaufen. Der Turm ist analog zum Schiff mit
Eckquadern, Gurten, einem Traufgesims und gequaderten
Fensterumrahmungen versehen.
Technik: Nach den Angaben von
Architekt Bruno Indergant, welcher die letzte
Restaurierung von 1981 leitete, ist der originale
Verputz einschichtig in einer Stärke von 2½ bis 4 cm
aufgetragen. Das Intonaco zeigt eine
Oberflächenstruktur, die durch Abkellen und Dressieren
mit einem breiten Pinsel entstand. Die
Korngrössenverteilung soll zirka 0 bis 8 mm betragen: An
den Oberflächen ist das Korn feiner als in der Tiefe der
Putzschicht. Weil der Mörtel entsprechend seiner
Korngrössenverteilung zu dick appliziert wurde, bildete
sich im Intonaco ein dichtes Netz von Schwundrissen.
Etwas rauher ist die Oberflächenstruktur des Intonacos
am romanischen Turmsockel, was der Quaderdekoration
einen rustikalen Aspekt verleiht. Die Bereiche, für die
Sgraffiti vorgesehen waren, wurden nicht speziell feiner
geglättet. Für die Quader wurden zuerst die Längenmasse
mit dem Lot bestimmt und mit dem Nagelriss markiert. In
der gleichen Art und Weise definierte man die
Rahmenbreiten der Lisenen und des Türgewändes des
Seiteneinganges. Mit dem rechten Winkel bestimmte man
die Stärken der Lagerfugen und somit auch die Höhenmasse
der Quader. Auch die Umrisse der Sohlbänke und der
Gesimse wurden exakt mit dem Nagelriss gezeichnet. Die
so eingeteilten Flächen wurden zwei- bis dreimal mit
Kalk weiss gestrichen. Es folgten sofort die Ritzungen
der Binnenzeichnungen.
Diese einfache, architekturbetonende
Fassadengestaltung begeistert durch den grossen
Originalbestand. Bei der Restaurierung von 1981 wurden
lediglich im Sockelbereich Putzausbesserungen
vorgenommen, kleine Fehlstellen innerhalb der Sgraffiti
retuschiert und grosse Fehlstellen auf den Bestand des
Umfeldes eingestimmt.
Literatur: Kdm GR IV, S. 215f.
Schlussbemerkungen
Der Ursprung dieser schlichten architekturbetonenden
Sgraffitodekorationen, die Mane Hering als „weisse
Architekturmalerei“ bezeichnet, dürfte im 15.
Jahrhundert, wenn nicht noch früher, zu suchen sein. Die
grösste Verbreitung erfolgte im 17. Jahrhundert und zwar
vor allem im Misox und im Bündner Oberland.
Frühe Beispiele, wie sie im 15., 16. und selten im
17. Jahrhundert zu belegen sind, finden sich im Misox,
in den Bergtälern des Kantons Tessin und der Lombardei,
auch vereinzelt im Kanton Wallis. Es sind einfache mit
Verputz aufmodellierte Fensterrahmungen, die mit Kalk
weiss gestrichen wurden. Sie werden im Tessin
sinnigerweise Collarini (kleiner Kragen) genannt und
finden sich an Profanbauten auf Sichtmauerwerk und nicht
selten auf Trockenmauerwerken (11). Collarini kommen als
weisse, zierlose Rahmungen vor. Doch sind auch solche
mit Profilen an den Fensterbänken und Stürzen keine
Seltenheit, und zusätzliche Dekors, z.B. als Sgraffito,
waren eine Frage des ästhetischen Empfindens. Die
Einfachheit der Dekoration lässt sich wohl aus der
Tatsache erklären, dass der teure Werkstoff Kalk aus
Sparsamkeitgründen nur sehr zurückhaltend eingesetzt
wurde (12). Man darf wohl davon ausgehen, dass sich
vorerst aus praktischen Gründen ein Gestaltungsprinzip
entwickelte, das die Grundfläche zu Gunsten der
Architekturgliederung zurückdrängte und immer mehr eine
dekorative Funktion erhielt.
Nicht zu übersehen sind die Gestaltungsideale der
Spätgotik, die das 16. und 17. Jahrhundert beeinflusst
haben. In der Spätgotik wurde der Kontrast nicht mit
Trockenmauerwerk und weissen aufgesetzten
Fensterrahmungen evoziert, sondern mit Flächen in
Naturputz und mit aufgesetzten weissen Fensterrahmungen.
Drei Beispiele seien hier erwähnt: die Pfarrkirchen von
Salouf, Almens (der spätgotische Teil) und die alte
Pfarrkirche St. Paul in Rhäzüns, alle in Graubünden.
Obwohl im späten 15. und im frühen 16. Jahrhundert
die Vorliebe aufkommt, Sgraffitodekorationen aus der
durchgehend weiss getünchten Fläche herauszukratzen
(13), war diese Sgraffitovariante im 17. Jahrhundert im
Einflussgebiet der Misoxer Baumeister nicht verbreitet
(14). Die Tradition der sparsamen Architekturbetonung
wirkte offenbar im 17. und 18. Jahrhundert weiter. Auch
im Albulatal, im Engadin und Bergell war es damals
selbverständlich, eine Fassade in Naturputz mit einer
sparsam in Weiss gestalteten Architekturgliederung zu
schmücken.
Welches sind nun die spezifischen Dekorationssysteme
des Misox und der Talschaften des Vorderrheines? Gibt es
ausserhalb von Graubünden typische Beispiele, die der
Misoxer Tradition gefolgt sind? Grundsätzlich fällt auf,
dass sich im Misox und Calancatal die Dekorationen auf
einfache und strenge Architekturgliederungen
beschränken. Bauglieder, die sich bereits plastisch
absetzen, wurden zusätzlich mit weissen Anstrichen und
oft mit Sgraffitodekorationen hervorgehoben. Die
Kirchtürme erhielten mit Vorliebe einen optisch
stabileren Charakter durch Quaderungen.
Die meist bescheiden wirkenden Profanbauten des Misox
bieten selten genügend grosse Wandflächen, um sie mit
plastischen Gliederungen wirkungsvoll unterteilen zu
können. Um so mehr drängten sich Sgraffitodekorationen
auf. Ein besonders schönes und eindrückliches Beispiel
dieser auch im Misox selten gewordenen Dekorationsart an
Profanbauten, befindet sich in Roveredo. Der Bau steht
nicht weit vom Haus der berühmten Gabrieli und wird vom
Volksmund den nicht weniger berühmten Broggio
zugeschrieben. Nur an der Südfassade dieses Hauses haben
sich Sgraffiti des 17. Jahrhunderts erhalten. Sie sind
noch nie restauriert worden. Über dem hohen Sockel mit
Naturputz verläuft ein breites Gurtgesims. Das sich
darüber befindende Fenster im ersten Obergeschoss zeigt
einen in Resten erhaltenen breiten, weissen Rahmen,
gleich einem Collarino. Über dem Gurtgesims folgen
Eckquader im Läufer- und Bindersystem. Die obersten
Quader tragen einen langen Kämpfer. Auf die Kämpfer
folgt ein kräftiges Giebelgesims. Ein Okulus durchbricht
das Giebelfeld. Die Oberfläche der aufgesetzten
Mörtelrahmung wurde mit einem Nagelbrett strukturiert
(15). Diese Machart ist für das Misox etwas Besonderes,
sie war aber im Engadin, Puschlav, Veltlin, in der
Region des Comersees und im Wallis stark verbreitet
(16). Diese Fassadengestaltung zeigt viel Gefühl für
Architektur und steht trotz ihrer Einfachheit über dem
Volkstümlichen.
Auch in den Tälern des Vorder- und Hinterrheines, der
Region Chur und der Bündner Herrschaft, zeigen die
Dekorationen architekturbetonende Motive. In der Regel
sind die Darstellungen hier aber reicher gestaltet und
beinhalten oft zusätzliche Elemente wie Blattranken.
Während den Misoxer Dekorationen noch die Strenge der
Renaissance anhaftet, dringt im Vorderrheintal bereits
das freiere Denken des Barocks durch.
Das Verharren in der Tradition lässt sich aber nicht
überall, wo im 17. Jahrhundert Misoxer Baumeister und
Stukkateure tätig waren, feststellen. Vor allem Türme
von Pfarrkirchen wurden oft als Gegenpol auffallend bunt
gestaltet (17). Nur im Misox und im Calancatal finden
wir Kirchtürme, deren Gurtgesimse und Ecklisenen ohne
jegliche Zier weiss oder rot bemalt sind. Als Beispiele
für weisse Gliederungen seien die Türme der Pfarrkirchen
von Buseno und Selma im Calancatal genannt, für rote
Gliederungen diejenigen der Kirchen von Grono und Soazza
im Misox. Wesentlich farbiger sind die Kirchtürme von
Vrin (von Antonio und Giovanni Broggio), Mon (von Giulio
Rigaglia), Tinizong, Tiefencastel (Stuckarbeiten von
Giovanni Zuccalli) und Alvaschein (Giovanni Giuliani
zugeschrieben) gestaltet. Die Gründe für diese
Polychromie sind nicht erforscht. Auffallend ist aber,
dass die Bauherren dieser Kirchen regelmässig
Kapuzinerpater waren, die von Genua kommend in
Graubünden die Gegenformation einleiteten. Es ist
durchaus möglich, dass die Kapuziner diese volkstümlich
bunten, wie überdimensionierte Plakatsäulen in der
Landschaft stehenden Türme als Propagandamittel
einsetzten (18).
Ausserhalb des Kantons Graubünden sind die bisher
bekannt gewordenen Befunde von Sgraffitodekorationen
äusserst selten. Man darf daher gespannt sein, was
künftige Fassadenuntersuchungen an Schlössern,
Bürgerhäusern und Kirchen von Misoxer Baumeistern in der
Schweiz, Deutschland, Österreich, Böhmen usw. ergeben
werden. Grossaufträge von Fürsten und Städten boten den
Misoxer Baumeistern in der Fremde gewaltige
Entfaltungsmöglichkeiten. Es galt, grossflächige
Fassaden zu gliedern und zu gestalten, anfangs noch in
der traditionellen Art der Renaissance, später im neuen
Geist des Barocks. Auf zwei Misoxer Fassadengestaltungen
ausserhalb Graubündens soll abschliessend kurz
eingegangen werden:
Beim Bau der Jesuitenkirche in Luzern (1665) soll
Tommaso Comacio aus Roveredo als Baumeister tätig
gewesen sein. Die Längsfronten des Schiffes weisen nicht
nur die typischen Gliederungselemente der Kirche Il Gesù
in Rom auf, sondern auch die von den Misoxern bevorzugte
Art der farblichen Fassadengestaltung: Die plastischen
Gliederungen wie Lisenen, Traufgesimse und
Fensterrahmungen sind weiss gekalkt und heben sich von
den Grundflächen in Naturputz ab (19).
Domenico Sciascia aus Roveredo wurde 1639 zum
Stiftsbaumeister von St. Lambrecht in der Steiermark
ernannt, wo er von 1640 bis 1678 die Fassaden der
Stiftskirche, Stiftsgebäude und die Peterskirche
errichtete (20). Die jüngst restaurierte Eingangsfassade
der Stiftskirche und die Westfassade des Stiftes zeigen
alle charakteristischen Merkmale der Misoxer Tradition:
- Naturbelassener Verputz auf den
Grundflächen
- Plastisch geformte, weiss gekalkte
Gliederungen
- Mit Nagelriss konturierte, weiss
gemalte Motive
Die Grundflächen weisen eine rauhe Putzstruktur auf.
Für die weiss gehaltenen Gliederungen wurde der Putz
geglättet, um eine feine Oberfläche zu erzielen. Die
Gurt- und Fensterbankgesimse, die Traufgesimse, die
Fenstergewände und die Pilaster der Eingangsfront der
Kirche sind plastisch geformt, während die weiss
gefassten Eckquadrierungen, die Rahmungen der
Fensterbrüstungsfelder und inkrustierten Flächen in
Sgraffito gestaltet sind.
Eindrücklich dokumentiert auch ein Votivbild von 1756
mit einer Ansicht der Stadt Judenburg das
Gestaltungsprinzip der Misoxer Baumeister (21). Zu
erkennen sind an zwei Kirchen Lisenen, Gurtgesimse und
Fensterrahmungen, an den Häusern zusätzlich Eckquadrierungen. Es ergibt sich ein Bild, das entfernt
an grossflächige Inkrustationen erinnert, z.B. an die
Fassaden von Sta. Maria Novella, S. Miniato und Sta.
Maria del Fiore in Florenz. Nur zeigen diese
Inkrustationen im Gegensatz zu den Misoxern in der Regel
helle Grundflächen und dunkle Rahmungen.
Eine illusionistische, aber in den Formen stets
zurückhaltende Fassadendekoration schien den Misoxern
auch an einfachen Bauten unerlässlich. Sie verstanden
Architektur, plastische und gemalte Gliederungen als
Ganzes. „Die Schönheit des Einfachen“ gründet auf dem
harmonischen Zusammenklang dieser drei Elemente.
Farbig gestaltete Stuckaltäre und Stuckdekorationen
in Innenräumen
Während der letzten zwanzig Jahre wurden im Misox, im
Calancatal, im Bündner Oberland sowie im unteren
Albulatal diverse Kirchen untersucht und restauriert,
deren Innenräume mit bunt gefassten Stuckaltären und
Stuckdekorationen ausgestattet sind. In der Regel waren
diese Ausstattungen vor der Restaurierung mehrfach
übermalt und gaben keinen Aufschluss über die farblichen
Gestaltungsprinzipien der Misoxer Stukkateure. Erst die
zahlreichen Befundsicherungen von Denkmalpflegern und
Restauratoren machten es möglich, sich ein zuverlässiges
Bild über die von den Misoxern bevorzugten
Farbgestaltungen von Stuck zu schaffen. Es konnte so ein
völlig neuer Aspekt des künstlerischen Schaffens der
Misoxer Stukkateure erforscht werden, der bis anhin bei
der Wissenschaft nicht genügend Beachtung gefunden hat.
Zu lange konzentrierte sich die Forschung auf die
Architektur und die plastische Gestaltung des Stucks.
Das Thema der Farbigkeit war nebensächlich, und man war
zu sehr der Auffassung verhaftet, Stuck habe weiss zu
sein. Punkto Farbigkeit unterscheiden sich die Misoxer
Arbeiten aber klar von den Ausführungen der Tessiner und
Comasken, die monochromen Stuck bevorzugten und nur
selten sparsame Vergoldungen duldeten. Erstaunlich ist
die Tatsache, dass die Reihe der Misoxer Stuckarbeiten
exakt mit dem Ende der Bündner Wirren einsetzt, nämlich
mit dem Abschluss des Feldkircher Vertrags 1642.
Kapuziner aus den Ordensprovinzen Mailand und Brescia
gaben den Impuls für eine rege kirchliche Bautätigkeit,
die ganz im Dienste der Gegenreformation stand und erst
nach dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts erlahmte
(22).
Berücksichtigt werden für diesen Aufsatz nur exakt
untersuchte Objekte mit originalen Befunden, die sicher
von einem Misoxer Stukkateur geschaffen wurden oder
einem Misoxer zugeschrieben werden können. Finden sich
einheitliche Prinzipien bei den untersuchten
Farbfassungen; wie sind diese charakterisiert? Sind
regionale Eigenheiten feststellbar, und wie verteilen
sie sich? Diesen Fragen wird im folgenden nachgegangen.
Auch wenn die Misoxer Stukkateure betreffend
Farbfassungen eigene Wege gingen, hatten sie mit den
Kollegen aus dem Tessin und der Lombardei in drei
technischen Gegebenheiten die gleichen Auffassungen:
- Die Stuckarbeiten wurden im 17.
Jahrhundert einheitlich und noch im 18.
Jahrhundert vorwiegend mit
Sumpfkalkmörtel ausgeführt.
- Die mit dieser Mörtelmasse
verputzten Wandflächen und
Architekturgliederungen wie Lisenen,
Pilaster und Gesimse, aber auch die
Stuckdekorationen, wurden nicht mit Kalk
weiss gestrichen. Als Weiss diente
vielmehr die Eigenfarbe der obersten
Putzschicht, die jeweils aus feinem
Quarz- oder Marmorsand und Sumpfkalk
besteht. Dieses weisse Intonaco, das die
Römer „Tectorium“ nannten, wird noch
heute in Oberitalien oft „Marmorino“ und
in Neapel „Stucco lucido“ genannt.
- Bei Blattfriesen wurde die oberste
Schicht des Arriccio oder die Grobform
der Leiste, auf der jeweils das Dekor
liegt, mit einer dunkeln Mörtelmasse
ausgeführt. Diese ist in der Regel mit
Pflanzenschwarz oder mit einem
dunkelgrauen Sand eingefärbt. Plastische
Dekorationen wie zum Beispiel Eierstäbe
oder Blattfriese wurden bis auf diesen
dunkeln Putz herausgearbeitet, so dass
sich die tiefsten Stellen des Ornaments
dunkel absetzen und dem Motiv eine
besondere Tiefenwirkung verleihen
(23).
Das Auffallendste an den Misoxer Stuckarbeiten sind
die Metallauflagen, die unterschiedlich reich eingesetzt
wurden. Wir finden solche aus Gold, Zwischgold und
Schlagmetall (ein Imitationsgold); wenn gespart werden
musste, wurde auch gelber Ocker als Ersatz für die
aufwendigeren Metallauflagen verwendet. Mit
Metallauflagen besonders reich geschmückte
Stuckdekorationen und Stuckaltäre finden sich im Misox
und im Calancatal. In dieser Hinsicht besonders
hervorzuheben sind die Kapellen S. Rocco in Grono und S.
Nicolao in Cabbiolo sowie die Pfarrkirchen S. Lorenzo in
Arvigo und S. Bernardo in Rossa. Als Sonderfall ist die
Kapelle S. Antonio di Padova in Lasciallo zu erwähnen,
deren Stukkaturen an der Chordecke kein Gold zeigen,
wohl aber, wenn auch zurückhaltend, der Stuckaltar. Bei
den Stuckdekorationen der Architekturgliederungen und
Gewölbeflächen finden wir Metallauflagen bevorzugt an
den Gräten und Umschlägen der Kartuschenrahmen und an
Platten, Stegen, Perlstäben sowie Blattfriesen von
Profilen. Ferner finden wir sie an den Haaren, Flügeln
und Lendentüchlein von Engeln und Putten, an Palmetten
und Fruchtgehängen. Reicher mit Metallauflagen versehen
sind jeweils die Stuckaltäre. An keinem der zahlreichen
untersuchten Stuckaltäre konnte die Verwendung von
Zwischgold oder Schlagmetall nachgewiesen werden,
sondern nur diejenige von Blattgold. An Altären wurden
in der Regel die Platten, Teile der Eierstäbe und
Blattfriese der Profile, die Säulenbasen, die Kapitelle
und die Ornamente im Gesims, die Rahmen der Gemälde und
Füllungen, die Kanten an Säulenvorlagen und Predellen,
die Säume der Festons sowie die Haare, Flügel, Bänder
und Säume der Lendentüchlein von Engeln vergoldet. Der
im Misox übliche Reichtum an Metallauflagen findet sich
ausserhalb der Region in der Regel nicht. Gold finden
wir dort oft nur an den Basen und Kapitellen, an den
Kanten der Predellagliederungen und den Festons. Die
reichen Vergoldungen an den Seiten- und Nebenaltären in
der Pfarrkirche St. Martin in Trun bilden eine Ausnahme.
Ein weiteres, den Gesamteindruck wesentlich prägendes
Gestaltungsmittel, das vorwiegend im Misox angewendet
wurde, sind die farbig angelegten Hintergründe, von
denen sich die weissen, teilweise mit Metallauflagen
versehenen Ornamente absetzen. Wir finden innerhalb der
Triumpfbogenlaibungen jeweils zu den Stuckrosetten rote
und zu den Stuckpalmetten und anderen Motiven blaue und
manchmal grüne Füllungsflächen. Blattgewinde und Blätter
auf Rahmen sind vorwiegend grün gefasst. Gleiches gilt
auch für die Gewölbeflächen im Chor. Engelsköpfe, Putten
und Karyatiden-Figuren zeigen weisse Inkarnate. Einzig
die Augen sind schwarz und die Lippen rot.
Eindrücklich und typisch sind die Stucco-lustro-Fassungen,
die überregional und immer an den Stuckaltären zu finden
sind. Mit dieser gemalten Marmorimitation wurden
vortrefflich schwarze, auf Hochglanz polierte
Säulenschäfte, Kartuschenfüllungen und Inkrustationen an
Predellen nachgeahmt. Vereinzelt finden sich auch
erstaunlich gute Marmorierungen, die den veronesischen
roten Knollenmarmor imitieren, zum Beispiel in den
Pfarrkirchen S. Bernardo in Rossa und St. Johann Baptist
in Muldain. Allerdings ist diese Maltechnik, die im 17.
und 18. Jahrhundert nur noch selten angewandt wurde,
keine typische Dekorationsart der Misoxer Stukkateure;
wir finden sie, wenn auch weniger oft, im Tessin und an
zwei Altärchen des 18. Jahrhunderts im Wallis
(24).
Recht häufig ist Stucco lustro zudem an Profanbauten des
19. Jahrhunderts im Puschlav und Veltlin anzutreffen.
Im Gegensatz zum Chor ist das Schiff jeweils schlicht
gehalten. Die einzige farbige Zier bilden hier die
Marmorierungen, Veduten oder Ornamente im Gebälk des
umlaufenden Kranzgesimses. Sie bestehen entweder aus
Stuck oder sind nur aufgemalt. Alle übrigen
Gliederungselemente wie Pilaster, Kranzgesimse und
Jochgurten blieben weiss. Die Dekoration konzentriert
sich also ganz auf den wichtigsten Bestandteil der
Kirche, auf den Chor mit dem Hochaltar und auf die
Seitenaltäre. Gelegentlich betonen zusätzlich bunt
gefasste Stuckfiguren an der Chorschulterwand den
Auftakt zum Chor, z.B. die Verkündigung Mariä in der
Pfarrkirche von Verdabbio.
Vergleichen wir die oben erwähnten Misoxer
Barockausstattungen mit denjenigen im Vorderrheintal, im
Lugnez, im Domleschg und im Albulatal, so finden wir
doch wesentliche Unterschiede. In Nordbünden wird der
Chorraum vom Hochaltar dominiert, einem marmorierten
Holzretabel mit bunt gefassten Plastiken. Häufig finden
sich neben einem hölzernen Hochaltar Seitenaltäre aus
Stuck; zum Beispiel in der Rosenkranzkapelle der
Kathedrale Chur, in der Kirche St. Paul in Rhäzüns, in
der Kapelle St. Placidus bei Disentis und in den
Pfarrkirchen von Trun, Tinizong und Vrin. Nur selten
besteht auch der Hochaltar aus Stuck, so in der
Pfarrkirche St. Andreas von Rueun und ursprünglich in
der Kapelle St. Maria in Acletta bei Disentis.
Technik
Stuckherstellung: Als Kern für die
Gesimse der Wandgliederungen wurden vorkragende
Steinplatten in die Mauer eingemauert. Die aus der
Mauerfläche herausstehenden Teile zeigen bereits die
Grobform der Gesimse. Auch die Altargesimse benötigen
einen stabilen Grundträger aus Steinplatten, die in die
hinter dem Altar liegende Wand eingemauert sind. Der
Kern der Säulen besteht ebenfalls aus einem Steinschaft.
Die Köpfe und Arme von freisitzenden Engeln sind mit
Metallstäben armiert. Wie die gesprengten Giebel oder
Segmente stabilisiert wurden, ist uns nicht bekannt. Da
sie oft stark vorkragen, können sie kaum allein mit
ihrer Mörtelmasse selbsttragend sein und haben in ihrem
Kern sicher eine Art von Armierung.
Für den Aufbau von Architekturgliederungen,
Stuckornamenten und Figuren wurde zuerst in mehreren
Lagen mit reinem Sumpfkalkmörtel eine Grundform
geschaffen. Die Mörtelmasse des Arriccios besteht in der
Regel aus ortsüblichem Sand mit einer
Korngrössenverteilung von 0 bis 2 mm und mehr und dem
Bindemittel Sumpfkalk. Wenn vorhanden, wurde für diese
Arriccioschichten ein dunkler Sand benutzt, der bei
Bedarf zusätzlich mit Pflanzenschwarz eingefärbt wurde.
Als letzte Schicht folgte ein heller, weisser Putz, das
sogenannte Tectorium, auch Marmorino oder Stucco lucido
genannt, der die eigentliche künstlerisch gestaltete
Oberfläche bildet. Diese Stuckmasse besteht je nach
Vorkommen aus Quarz- oder Marmorsand mit einer
Korngrössenverteilung von 0 bis 2 mm und Sumpfkalk. Sie
enthält keinen Gips (25). Die körnige und kantige
Struktur ist typisch für diesen gebrochenen Sand. Wie
Analysen ergaben, wurden der Mörtelmasse als Abbindeverzögerer oft geringe Mengen von trocknenden
Ölen oder Kasein beigemischt (26). Bis jetzt konnte in
der Stuckmasse nur zweimal ein Gemisch aus Kalkmörtel
und Gips nachgewiesen werden: In der Pfarrkirche von Mon
bestehen die von einer Negativform abgegossenen
Ornamente aus diesem Material, weil sich damit leichter
Formen giessen lassen als mit reinem Kalkmörtel. Die
übrigen Stukkaturen enthalten keinen Gips. Am Hochaltar
der Pfarrkirche von Verdabbio sind die weit aus der
Oberfläche des Retabels ragenden Blattgehänge ebenfalls
aus einem Gipskalkmörtel geformt, alle übrigen Bereiche
dagegen aus reinem Kalkmörtel. Das weiss erscheinende
Tectorium ist je nach Motiv unterschiedlich stark: auf
Wandflächen oft nur 2 mm, an Gesimsprofilen 2 bis 3 mm
und mehr. Bei den stärker plastisch durchgestalteten
Blattfriesen, Perl- und Eierstäben usw. beträgt die
Auftragsstärke bis zu 6 mm und mehr. Um beim
Herausarbeiten der Eierstäbe und Blattfriese eine
einheitliche Tiefe zu erreichen, hatte man, wie oben
schon erwähnt, das Arriccio bewusst dunkel gehalten. Es
diente so als Orientierungshilfe und gab den Motiven
eine zusätzliche Tiefenwirkung. Dieser erwünschte Effekt
war nicht nur bei den Misoxern beliebt, sondern seit
jeher auch bei den Tessinern und Comasken üblich
(27).
Sicher wurden Profile mit Schablonen gezogen.
Rapportierende Ornamente wie Blatt- und Eierstäbe wurden
als kleine Teilstücke in Formen gegossen, dann
appliziert und in situ wo nötig noch zurechtgeschnitten.
Wie wir an Engeln der Pfarrkirche Verdabbio beobachten
konnten, benutzte man auch für Engelsköpfe Gussformen.
Die oft sehr langen Hälse der Engelsköpfe und die daran
gefundenen tiefen Fingerabdrücke machen deutlich, dass
man die weiche und noch formbare Mörtelmasse beim
Aufsetzen des Kopfes auf den Rumpf des Körpers anpasste
und zurechtformte. Gleiche Beobachtungen machten wir
auch an Armen und Beinen von Engeln. Die Modellierungen
von Figuren, Gewändern, Draperien, Blattgewinden,
Fruchtgehängen und anderen Ornamenten entstanden durch
freies Antragen, Zurechtschneiden und Glätten mit dem
Modelliereisen, mit Spachteln und Lanzetten.
Metallauflagen: Die vorgefundenen Techniken für
Metallauflagen sind nicht einheitlich, vor allem nicht
im Misox. So fanden wir Leim, trocknende Öle und Eiklar
als Medium, ja selbst Polimentglanzvergoldung. Am
häufigsten sind Vergoldungen, deren Medium aus Eiklar
besteht. Es ist in der Regel mit gelbem Ocker
eingefärbt, so z. B. am Stuckaltar der Kirche St. Paul
in Rhäzüns (1671) und an den Seitenaltären in der
Pfarrkirche Verdabbio (frühestens 1683).
Bis jetzt haben wir nur drei Beispiele gefunden, wo die
ursprüngliche Vergoldung eine Polimentglanzvergoldung
ist. Bereiche des Deckenstucks und der Stuckaltäre der
Kapelle S. Rocco in Grono (1715), die Altäre in der
Pfarrkirche von Rossa (1687 und um 1700) sowie Teile des
Hochaltars der Pfarrkirche von Verdabbio (frühes 18.
Jahrhundert) wurden mit der arbeitsaufwendigen
Polimentglanzvergoldung versehen. Sie besteht aus einer
leimgebundenen Kreide- oder Gipsgrundierung. Diese wird
nach dem Schleifen mit heissem Leimwasser „gelöscht“, um
sie weniger saugfähig zu machen. Es folgte der Auftrag
des mit Eiklar gebundenen Poliments, ein feiner roter
Ton, auch Bolus genannt, in zwei bis drei Lagen. Nach
dem Frottieren des Polimentauftrages erfolgte das
„Anschiessen“ des Goldes, wobei das Poliment vorerst mit
der „Netze“ (historisch stark mit Wasser verdünntes
Eiklar) satt genässt wurde. Aufgrund der Fettigkeit und
Saugkraft des Poliments werden die Goldblättchen
festgehalten. Nach dem Trocknen der Netze erfolgte der
abschliessende Polieren, das historisch jeweils mit
Zähnen oder Hämatit geschah und neuzeitlich mit einem
Achat.
Selten finden wir die Leimvergoldung, so am Hochaltar
der Pfarrkirche S. Maurizio in Cama und an den Seiten-
und Kapellenaltären der Pfarrkirche St. Martin in Trun.
Ebenfalls nicht häufig wurde die Ölvergoldung
angewendet, wobei den trocknenden Ölen jeweils Mennige
hinzugemischt wurde. Diese Technik findet sich an den
Vergoldungen der Stukkaturen im Chor der Pfarrkirche von
Rueun.
Nicht selten kommen an Stuckdecken verschiedene Arten
von Metallauflagen vor. Im Chor der Pfarrkiche von
Cabbiolo zum Beispiel zeigen die Ansichten zum Schiff
hin Blattgold; für Vergoldungen, die vom Schiff aus
nicht sichtbar sind, wurde dagegen aus
Sparsamkeitsgründen Zwischgold verwendet (28). Zwischgold hat aber den Nachteil, dass sich das Silber
von der Unterseite in schwarzes Sulfid umwandelt, so
dass das Blattgold optisch entstellt wird und einen
braunschwarzen Ton annimmt. Das Sparen konnte so weit
gehen, dass die vom Schiff aus nicht sichtbaren
Stukkaturen nur mit gelbem Ocker gestrichen wurden. Aus
demselben Grund ist der Grossteil der Stuckdekorationen
im Chor der Pfarrkirche S. Bernardo in Rossa mit gelbem
Ocker gefasst; die Altäre sind jedoch vergoldet.
Stucco lustro: Es gibt in der
Literatur verschiedene Ansichten, was Stucco lustro sein
soll, und die Fachliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts
beschreibt unter diesem Begriff unterschiedliche
Rezepturen mit den verschiedensten Werkstoffen.
Interessanterweise führen aber alle diese
Arbeitsanweisungen zum selben Erscheinungsbild, einem
gemalten Marmor mit starkem Glanz, der Inkrustationen
mit glänzend polierten Oberflächen imitiert.
Was ist nun Stucco lustro, und was sind die typischen
technischen Eigenschaften? Im „Wörterbuch der Kunst“ ist
der Begriff am besten erläutert (29): „Stucco lustro
eine Abart der Freskotechnik, die oft mit der
Scagliolatechnik (Stuckmarmor) verwechselt wird. Der
frisch aufgetragene, feinsandigen Marmor enthaltende
Freskoputz wird mit einer Kalkseife eingestrichen.
Darauf wird mit Freskofarben gemalt, die ebenfalls mit
Kalkseife angesetzt sind. Die noch frische Malerei wird
heiss gebügelt und erhält dadurch eine Glanzglättung,
welche später nach völligem Trocknen durch Polieren mit
Wachspaste noch gesteigert wird. Spezialisten dieser
Technik sind seit dem 18. Jahrhundert die Italiener“.
Falsch ist der letzte Satz des zitierten Textes, denn es
gibt in Italien und Graubünden genügend erhaltene
Objekte des 17. Jahrhunderts, und zudem beschrieb Leon
Battista Alberti die Stucco-lustro-Technik bereits 1492
in seinem Buch „De re aedificatoria“ (30).
Irreführend ist hingegen die Beschreibung im
„Wörterbuch der Architektur“ (31): „ Stucco lustro
(ital.), Stuckmarmor (Scagliola), ein seit dem Barock
angewandter, marmorierter Innenputz, der aus verschieden
gefärbten Pasten geknetet, aufgetragen, gebügelt und
poliert wurde“. Diese Beschreibung ist eine klare
Verwechslung.
Eine Abart der Stucco-lustro-Technik beschreibt
Hermann Kühn (32): „Stucco lustro heisst ein
Flächenstuck, der Marmorverkleidungen mit geringem
Kostenaufwand aber auch unvollkommener als Stuckmarmor
imitiert. Ein im Grundton des nachzuahmenden Marmor
gefärbte Mischung von Kalk, Marmormehl und Naturgips
wird in dünner Schicht auf Kalkputz aufgetragen und mit
dem Filzhobel geglättet. Auf dem noch nassen Auftrag
malt man die Änderung des Gesteins und glättet die
Fläche anschliessend mit der heissen Marmorkelle.“
Hermann Kühn erwähnt hier unter anderem die Verwendung
von Naturgips. Diese Angaben entsprechen dem Beschrieb
von Gottgetreu (33): „Hier besteht die Stuckmasse aus
einer Mischung von fettem Weisskalk und Marmor oder
Alabaster oder feinem Gipsstaub.“
Inwieweit die Zusätze von Naturgips oder Gipsstaub
sich auf Analysen oder Quellenschriften berufen, ist
nicht bekannt. Wichtig für unseren Beitrag ist die erste
mittelalterliche Quelle der Stucco-lustro-Technik von
Leon Battista Alberti aus dem Jahr 1492. Alberti
beschrieb, dass man die letzte Feinstuckschicht mit
reinem Kalk übergehe und vor dem Trocknen mit einer
Mischung aus Wachs, Mastix und etwas Öl überstreiche.
Das Glätten gelinge am besten, wenn man die Oberfläche
mit in Wasser gelöster weisser Seife besprenge
(34). Den
Glättungsvorgang beschrieb Alberti allerdings nicht.
Ausführlicher ist das Mailänder Rezept aus dem 16.
Jahrhundert, das nicht nur den Aufbau des Stucks
beschreibt, sondern auch die Arbeitsabfolge des
Farbauftrags und den Poliervorgang. Es lohnt sich, hier
die vollständige Beschreibung wiederzugeben, denn sie
schildert eindeutig das Vorgehen der Misoxer Stukkateure.
„Auf den Rauhbewurf folgt der erste Marmorkalkbewurf mit
2 Teilen Kalk und 1 Teil Marmor, wenn der Kalk mager
ist; bei fettem Kalk nehme man gleiche Teile. Auf diese
Schicht folgt eine Lage bestehend aus 1 Teil fein
gesiebtem Marmormehl mit 2 Teilen Kalk. Will man weissen
Grund, so breite man mit der Kelle reinen Kalk auf der
letzten Stuckschichte aus. Handele es sich um einen
Farbton oder gefärbten Marmor, so müsse die Färbung dem
Marmorstaub und Kalk, der die zweite Lage bildet,
gegeben werden. Dann überstreiche man den Grund mit
Farbe, die sehr flüssig in Seifenwasser und Kalk
gerieben wurde, zwei- bis dreimal. Auf den so gefärbten
oder auch weiss gelassenen Stuck male man mit dem
Pinsel; oder nach der Natur des Marmors mit dem Schwamme
die Äderung, oder die Lokaltöne, Ornamente, Figuren
etc., welche die Dekoration bilden sollen. Ist das
„Gemälde“ fertig, so lasse man es nur so lange trocknen,
bis die Farbe beim Reiben nicht mehr abgeht. Dann nehme
man eine kleine Eisenkelle mit abgerundetem Rücken,
erwärme sie, jedoch nicht so stark, dass die Farben
verbrennen und reibe mit ziemlich starkem Drucke über
die Oberfläche hinweg. Sodann bedecke man das so
behandelte schon glänzende Stück einige Male mit einer
Mischung von 3½ Unzen Wachs in 6 Unzen Seife, die mit
etwas Wasser gekocht wurde, und vermische sie sodann mit
2 Flaschen siedenden Wassers. Dann fahre man mit der
abgerundeten Kelle ohne dies zu erwärmen darüber hin.
Durch diese Lage von Wachs und Seife erhalten die Farben
grosse Festigkeit und der Stuck schönen Glanz, der durch
Frottieren mit einem in Form eines Zylinders gerollten
Leinenstücke noch brillanter werde (35).
Die historischen Quellen, vor allem das Mailänder
Rezept, dürften für die Misoxer Stukkateure
richtungsweisend gewesen sein. Anhand der
Katalogbeispiele wird ersichtlich, dass vorwiegend
schwarzer Stucco lustro hergestellt wurde, doch gibt es
auch Beispiele von roten und buntfarbigen Marmorierungen
(in den Kirchen von Rossa und Obervaz-Muldain bzw. von
Vrin). Die Stucco-lustro-Arbeiten der Misoxer sind heute
noch erstaunlich gut erhalten, was ein Beweis für ihre
technische Qualität ist. Die Verbreitung der Stucco-lustro-Technik
in Österreich, Deutschland und anderen Ländern, wo
Misoxer Stukkateure gewirkt haben, ist noch weitgehend
unerforscht. Möglicherweise wurde in diesen Gebieten
eher Stuckmarmor hergestellt.
Untersuchte Beispiele von Stuckausstattungen
1. Mon, Pfarrkirche St. Franziskus, um 1647
1643, nur ein Jahr nach dem Ende der Bündnerwirren,
begann Giulio Rigaja aus Roveredo im Auftrag der
Kapuzinermission in Tiefencastel mit dem Bau der
Pfarrkirche, die dem Ordenspatron Franziskus geweiht
wurde. 1648 war die Kirche vollendet. Sie ist eine nach
Osten gerichtete, dreischiffige Anlage mit polygonalem
Chorabschluss, der im Norden die Sakristei und der Turm
angefügt sind.
Die Wandgliederung bilden Pilaster, deren Kapitelle
im Chor reicher gestaltet sind als im Schiff. Sie tragen
ein kräftiges, um den ganzen Kirchenraum laufendes
Gesims. Rundbogige Blendnischen lockern die Seitenwände
des Schiffs zusätzlich auf. Das Schiff wird von einem
Tonnengewölbe mit Gurten und Stichkappen überwölbt, der
Chor von einer Halbkuppel. Sämtliche Wandfelder und
Schildbogenflächen im Schiff wie auch die Gewölbeflächen
im Chor wurden von Johann Rudolf Sturn aus Feldkirch
1647 reich ausgemalt. Er schuf nebst dem monumentalen
Jüngsten Gericht an der Westwand den wohl
umfangreichsten Bilderzyklus über das Leben des heiligen
Franziskus in der Schweiz. Die überaus reiche Ausmalung
drängt den ebenfalls üppigen Stuck optisch in den
Hintergrund. Die Profile des Gebälks und der Kapitelle
sind mit Blatt-, Perl- und Eierstäben sowie
Zahnschnittfriesen versehen. Blatt- und Perlstäbe finden
wir auch entlang den Rahmen zu den Blendnischen und den
Zwickelfüllungen. Die Friese des Gebälks und die
Zwickelfüllungen der Blendbogen im Schiff sind reich mit
Blattranken und Rosetten dekoriert. Über den Kapitellen
im Fries des Gebälks finden sich Engelsköpfe, und den
Ecken der Verkröpfungen sind Akanthusblätter aufgesetzt.
Gemalte Blattranken zieren die Gurten des Chorgewölbes.
Die Hintergründe der Stukkaturen sind im Fries des
Gebälkes blau, an den Kapitellen grün und an den
Zwickelfüllungen rot herausgefasst. Diese Farbtöne
binden den weissen Stuck und die Malereien von Sturn zu
einem harmonischen Ganzen zusammen. Die Eierstäbe sowie
die Zahnschnittfriese erhalten durch den grauen Ton des
Putzes für die Grundformen, der beim Formen und
Zurechtschneiden der weissen Stuckmasse (Tectorium)
freigearbeitet wurde, klare Form und Tiefe. Die
eingekerbten Blattrippen, welche nicht bis in den
Grundputz reichen, sind schwarz nachgezogen und betonen
den Bewegungsablauf der Ranken. Wand- und Gewölbeflächen
sind kalkweiss gestrichen. Demgegenüber sind die
Pilaster und Gewölbegurten leicht grau abgesetzt, indem
der Kalk mit wenig Pflanzenschwarz und gelbem Ocker
eingetönt wurde. Im Gegensatz zu den weissen Wand- und
Gewölbeflächen sowie den Pilastern zeigen die
Engelsköpfe, Stuckornamente und Zierstäbe den hellen
Elfenbeinton der Stuckmasse.
Technik: Sowohl für die Grundformen
als auch für das Tectorium wurde ein Gemisch aus Gips-
und Kalkmörtel verwendet. Dies entspricht in keiner
Weise der Tradition der Misoxer Stukkateure und auch
nicht der Stukkateure aus dem Tessin und der Lombardei.
Aufgrund der Untersuchungen von Walter Fietz enthält der
Putz für die Grundform des Stucks zirka 1 ½ RT Sand auf
1 RT Bindemittel. Das Bindemittel setzt sich aus
schätzungsweise ¾ Gips und zirka ¼ Dolomitenkalk
zusammen. Die Korngrösse des dolomitischen Sandes
beträgt 0 bis 3 mm und mehr. Das 5 bis 12 mm starke
Tectorium enthält vorwiegend Gips und nur wenig Kalk und
Sand. Der dolomitische Sand und das Gestein, aus dem der
Kalk gewonnen wurde, stammen aus der Gegend.
Das handwerkliche Vorgehen war einfach. Die stark
vorragenden Gesimse wurden zunächst als gemauerte
Rohform erstellt. Darüber wurde der Mörtel für die
Grobform appliziert und mit Schablonen in die gewünschte
Profilform gebracht. Anschliessend trug man die dünne
Tectoriumsschicht an und zog die endgültigen
Profilformen mit der Schablone. Für die Blatt- und
Eierstäbe wurde das Volumen ausgespart. Da sich diese
Motive exakt wiederholen, muss ihre oberste Schicht, das
Tectorium, von einem Negativ abgeformt worden sein. Die
Zwischenräume des Zahnschnittfrieses hingegen sind
direkt aus dem Profilteil herausgeschnitten. Zuerst
wurde eine weisse Gipskalkmörtelmasse in gleichmässiger
Schicht auf die Negativform aufgetragen. Für die
eigentliche Füllung der Form verwendete man denselben
Mörtel wie für die Grobformen. Die abgegossenen Formen
wurden am vorgesehenen Platz mit einem Setzmörtel
festgeklebt. Wo nötig, wurden danach die Motive
nachgeschnitten. Auch die Engelsköpfe und Rosetten
wurden auf diese Weise abgeformt und mit Setzmörtel
festgeklebt. Vor dem Stuckieren der Blattranken wurde
auf dem Fries des Gebälks eine rote Vorzeichnung
angebracht und danach mit dem grauen Mörtel die
Grundform angetragen. Die abschliessende künstlerische
Oberfläche erfolgte frei gestaltet mit dem weissen
Mörtel für das Tectorium.
Für Wandflächen, Pilaster und Gurtbögen benutzte man
reinen Kalkmörtel. Mit Smalte wurde der blaue Grund des
Gebälkfrieses herausgefasst. Die Pigmentpartikel in der
Grösse von 0,1 mm und mehr erscheinen in einem kräftigen
Blau, die Partikel bis zu 0,01 mm und 0,02 mm nurmehr in
einem blassen Blau. Die mit Leim gebundene Smalte wurde
mit rotem Ocker untermalt. Das Grün an den
Pilasterkapitellen besteht aus Malachit, der einen
natürlichen Anteil an Azurit aufweist (36). Als Pigment
für die roten Hintergründe der Zwickelfüllungen diente
Zinnober. Auf Vergoldungen wurde vollständig verzichtet.
Die Malereien wurden erst 1972 entdeckt. Bei der
anschliessenden, bis 1974 dauernden Restaurierung wurden
sie freigelegt und der Stuck wurde von den späteren
Übermalungen befreit.
Literatur: Kdm GR VI, S. 284f. - O. Emmenegger,
Restaurierungsbericht der Wandmalereien und des Stuckes
in der kath. Pfarrkirche von Mon, 1972, MS im Archiv des
Ateliers O. Emmenegger, Zizers. - W. Fietz, Kirche Mon
GR, Untersuchung von Mal- und Putzschichten, 1974, MS im
Archiv des Ateliers Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers.
2. Chur, Kathedrale: Seitenkapelle, 1652/53
Im westlichsten Joch des südlichen Seitenschiffs
richtete Bischof Johann VI. Flugi 1652 eine bischöfliche
Gruft ein, die er mit Wandmalereien, Stukkaturen und
einem Stuckaltar ausstatten liess. Die auf das gotische
Kreuzrippengewölbe applizierten Stukkaturen bestehen aus
Kartuschen, Perlbandfriesen und Fruchtgehängen. Die
Deckenbilder befinden sich in dreipassförmigen
Kartuschen mit eingerollten Rahmen. Über dem Scheidbogen
prangt das Wappen des Bischofs Johann VI. Flugi,
gehalten von zwei Putten und bekrönt vom Bischofshut.
Stuckstatuen von Johannes dem Täufer und dem
Evangelisten flankieren es. Jedes zweite Blatt der
Blattfriese ist vergoldet, während das andere weiss
belassen wurde. Vergoldet sind auch Teile der
Rankenornamente, Haare, Flügel und Gewänder der Engel
und Putten, die Mantelaussenseiten der beiden Johannes
und die Kanten der Bildrahmungen. Blau gefasst wurden
die Hintergründe der Zwickelflächen und die Füllungen zu
den Gurten.
Der Rosenkranzaltar steht an der Südwand. Zwei Paare
von gestuft angeordneten Säulen auf Postamenten tragen
das Gebälk. Ein geschlossener Segmentgiebel, auf dem
zwei Engel sitzen, überspannt das weiter vortretende,
innere Säulenpaar. Auf dem Gesims der äusseren Säulen
stehen Postamente mit Kugeln. Die Frieszone des Gebälks
zeigt Engelsköpfe, ansonsten wird auf Ornamentik wie
Eierstab usw. verzichtet. Die heutige Farbfassung ist
eine moderne Übermalung und entspricht derjenigen am
Gewölbe. Sie wiederholt in etwa die darunter weitgehend
noch erhaltene ursprüngliche Farbgebung. Nur die Stucco-lustro-Fassungen
sind nicht übermalt.
Technik: Der Gewölbestuck und der
Altar zeigte ursprünglich die weisse Eigenfarbe des
Stucks, von der sich die Leimvergoldungen abhoben. Wie
üblich für die Misoxer Stukkateure besteht der Stuck aus
einem reinen Sumpfkalkmörtel und das weisse Tectorium
aus weissem Sand (Quarz oder Marmor) mit einer
Korngrösse von 0 bis 1 mm. Für das Blau wurde mit Leim
gebundene Smalte verwendet. Am Altar sind die Füllungen
an den Postamenten, die Säulen und Medaillons in
schwarzem Stucco lustro gearbeitet. Die Engel und
Engelsköpfe zeigen weisse Inkarnate mit schwarz
gefassten Augäpfeln.
Der klare und typische Linienfluss der Gewölberanken
ist heute gestört durch plump gemalte Bereicherungen wie
Rosetten, Akanthusblätter, Tropfen usw. Die weissen
Stuckteile sind mit Leimfarbe beige übermalt, die
Vergoldungen zum Teil mit einer Ölvergoldung überdeckt
und die blauen Hintergründe mit Ultramarinblau
überstrichen.
Literatur: Kdm GR VII, S. 71f. und 122.- O.
Emmenegger, Kathedrale Chur, Innenrestaurierung,
Kostenschätzungen, MS im Archiv des Ateliers O.
Emmenegger, Zizers, A. Altäre S. 18, B. Wandmalereien,
S. 8.
3. Arvigo, Pfarrkirche S. Lorenzo, 1656 (?)
1453 erhielten die Leute von Arvigo die Erlaubnis zur
Errichtung einer eigenen Kirche. 1611 fand eine Neuweihe
statt, der wohl ein Umbau vorausging. Im
Visitationsprotokoll von 1656 ist die Rede, der Chor sei
neu. 1668 erhielt das Schiff eine neue Decke. Die Kirche
ist ein flachgedeckter Saal, an den im Osten der
eingezogene kreuzrippengewölbte Chor mit der Sakristei
anschliesst. An der Nordflanke der Kirche befinden sich
eine im 18. Jahrhundert erbaute Seitenkapelle und der
Kirchturm von 1453.
Im Schiff beschränkt sich der künstlerische Schmuck
auf die kassettierte Holzdecke von 1668 (die heutige
Decke ist eine Rekonstruktion von 1941). Die
Gewölbedekoration im Chor zeigt in den Graten die
üblichen Kartuschen und Karyatiden sowie reiche
Bildrahmungen. An der Triumphbogenwand bilden zwei
Stuckfiguren, welche die Verkündigung Mariä zeigen, den
Auftakt zum Chor. Im wesentlichen bestimmen Weiss und
Gold das Farbklima der Stukkaturen. Die Vergoldungen an
den Ornamenten beschränken sich auf das Blattwerk, auf
Grate und Umschläge der Kartuschenornamente und auf
feine Bänder an den Profilen. An den Figuren sind
Gewandsäume, Haare und bei Engeln zusätzlich die Flügel
vergoldet. Die Augen der Putten und Engel sind schwarz
gefasst. Gründe innerhalb von Rahmen und Füllungsflächen
setzen sich rosa oder dunkelgrau ab, einzelne sind
dunkelgrau mit weissen Adern marmoriert oder hell- und
dunkelgrau schachbrettartig gemustert. Die Ecklisenen,
die Triumphbogenlaibung und der Fries im Gesims zeigen
eine flammige Marmorimitation in den Farbtönen Gelb,
Rot, Grün und Grau. Dieselbe Art der Marmorierung zeigen
auch drei noch erhaltene originale Balken der 1941
zerstörten Decke im Schiff. An die Altarwand ist ein
roter Vorhang gemalt (37).
Technik: Entsprechend der Misoxer Tradition bestehen der
Stuck und der Putz der Wandflächen aus reinem
Sumpfkalkmörtel. Für die Grundform verwendete man einen
dunkeln, glimmerreichen granitischen Sand, der eine
Korngrösse von 0 bis 2 mm aufweist. Das Tectorium der
Wandflächen und Stuckornamente besteht aus einem weissen
Stuckmörtel mit gebrochenem, splitterigem und
scharfkantigem Quarzsand. Dem Mörtel wurden laut Analyse
von Andreas Arnold trocknende Öle beigemischt. Wie
üblich war das Weiss der Wand- und Stuckoberflächen die
Farbe des Verputzes selber.
Die flammigen Marmorierungen an den Ecklisenen, an
den Triumphbogenlaibungen und am Gesims sind in
Freskotechnik ausgeführt. Die Grünpigmente für das
Blattwerk bestehen aus Kupferacetat. Ferner wurden
gelber Ocker, Pflanzenschwarz und für Rot Mennige
verwendet. Mennige wurde al secco aufgetragen.
Bei der Restaurierung von 1982/83 wurden die
Übermalungen und die zusätzlichen Vergoldungen, die bei
den Renovationen von 1866 und 1918 angebracht worden
waren, beseitigt. Wegen der starken Verschmutzung der
originalen Putzoberflächen, die sich nicht vollständig
entfernen liess, war man gezwungen, mit einer dünnen
Kalklasur das ursprüngliche Farbklima zu imitieren.
Literatur: Kdm GR VI, S. 230 - 233. - Prof. Oskar
Emmenegger, Bauuntersuchungsbericht Arvigo, Pfarrkirche
S. Lorenzo, MS im Archiv von Oskar Emmenegger & Söhne
AG, Zizers. - A. Arnold, Arvigo GR, Pfarrkirche, Chor,
Decke, Stuck, Farbe, MS im Archiv Oskar Emmenegger &
Söhne AG, Zizers.
4. Rhäzüns, Kirche St. Paul, 1671
Der Baubestand der Kirche St. Paul reicht ins 12./13.
Jahrhundert zurück. Im 14., 15. und 17. Jahrhundert
erfolgten Umbauten und Erweiterungen. Aus diesen Epochen
stammen die Wandmalereien und die reiche
Innenausstattung, welche heute als Sammelsurium
nebeneinander gezeigt werden.
Während der Hochaltar und der linke Seitenaltar aus
Holz gefertigt sind, besteht der rechte Seitenaltar aus
Stuck. Sein Entstehungsjahr 1671 ist in der Predella
festgehalten. Der Altar in Aedikulaform mit gesprengtem
Segmentgiebel und einer Kartusche mit Christogramm als
Aufsatz zeigt in der Frieszone des Gebälks plastische
Granatäpfel, die von Blattwerk umgeben sind. An der
Predella finden sich aufgesetzte kreuzförmige Ornamente
und ein Rollwerkornament.
Für das Gebiet des Rhäzünserbodens zeigt der Stuckaltar
eine ungewöhnliche Farbgebung, die aber im Misox üblich
ist. Die schwarzen Säulen, die Kartusche im Gebälk und
die Kreismotive an der Leuchterbank heben sich vom Weiss
des Stuckretabels ab. Reich vergoldete Blattfriese und
Eierstäbe am Gebälk, am gesprengten Segmentgiebel und am
Bildrahmen betonen den Verlauf der Profile. Ebenfalls
vergoldet sind die Kanten der Kartuschen, die Ornamente
in der Predella, die Basen und Bereiche der Kapitelle
und die Granatäpfel, die von grünem Blattwerk umgeben
sind. Die Innenseiten der Voluten an den Kapitellen sind
rot gefasst; die Vertiefungen der Blattfriese und
Eierstäbe im grauen Farbton des Stuckmörtels für die
Grundform heben sich dunkel davon ab.
Technik: Die Stuckmasse besteht aus reinem
Kalkmörtel. Für die Grobform verwendete man als
Zuschlagstoff ortsüblichen Kalkschiefersand, der dem
Mörtel eine graue Farbe verleiht. Das Tectorium aus
einem nicht analysierten weissen Marmor- oder Quarzsand
von 0 bis 1 mm Durchmesser ist teilweise nur 4 mm stark
aufgetragen. Unbekannt ist, ob der Mörtelmasse Öl oder
Kasein als Abbindeverzögerer beigemischt wurde. Die
Säulen, die Kreismotive in den Binnenflächen der
Leuchterbank und die Kartusche sind in Stucco lustro
gearbeitet. Die Vergoldungen liegen auf einer mit gelbem
Ocker eingefärbten Leimpräparierung. Als Medium für die
Vergoldungen diente Eiklar.
Aufgrund der architektonischen Form, der verwendeten
Stuckmasse sowie der Art und der Technik der Farbfassung
ist anzunehmen, dass der Altar von einem Misoxer
Stukkateur geschaffen wurde. Bei der Restaurierung von
1991/92 kam nach Entfernung der Übermalungen zu ungefähr
90% die Originalfassung zum Vorschein.
Literatur: Kdm GR III, S. 66.
5. Obervaz-Muldain, Filialkirche St. Johannes
Baptist, 1673
1673 wurde mit einem Neubau begonnen, der vier Jahre
später geweiht wurde. Die Stukkaturen sind laut
Inschrift von „G. ET G. BROGGIO DI ROGGOREDE“ geschaffen
worden. Die nach Norden orientierte Kirche besteht aus
einem Schiff mit einer im Osten daran angefügten
Seitenkapelle und einem leicht eingezogenen, flach
geschlossenen Chor. Nördlich an die Seitenkapelle
schliessen sich der Turm und die Sakristei an. Das
dreijochige Schiff ist von einer Tonne mit Stichkappen
überwölbt, der Chor von einem Kreuzgratgewölbe.
Im Schiff, in der Seitenkapelle und im Chor gliedern
Pilaster und ein Gebälk die Wände. Die Frieszone des
Gebälks im Chor zeigt zarte Stukkaturen mit
Pflanzenornamenten. Im Chorgewölbe sind die Grate nicht
wie bei den meisten Misoxer Kirchen mit Putten und
Kartuschen betont, sondern als gewundene Kränze
ausgebildet, die sich auch um das Mittelmedaillon
ziehen. Die Kartuschenbilder in den Gewölbekappen sind
mit eingerollten Rahmen eingefasst. Vegetabile
Stukkaturen überziehen die Leerflächen der
Gewölbekappen. Wie die genaue ursprüngliche Farbgebung
war, lässt sich durch die moderne Übermalung nicht
bestimmen.
Der hölzerne Hochaltar stammt erst aus dem 18.
Jahrhundert. In der östlichen Seitenkapelle ist dagegen
ein Stuckaltar aus der Bauzeit erhalten, dem unser
Hauptinteresse gilt. Sein Aufbau entspricht weitgehend
den Altären von Cabbiolo. Säulen auf Postamenten mit
roten Stucco-lustro-Fassungen wie an den Altären in
Rossa tragen das Gebälk mit dem gesprengten
Segmentgiebel. Zwei Putti halten die in die Lücke des
Giebels eingefügte Kartusche mit dem Kapuzineremblem.
Die übrige Architektur des Altares ist weiss gestrichen,
dürfte aber ursprünglich die Eigenfarbe des Stucks
gezeigt haben.
Literatur: Kdm GR IV, S. 296 298.
6. Cabbiolo, Kapelle S. Nicolao, 1676
Die Kapelle wurde 1611 mit einem Altar geweiht. 1656
fand die Konsekration zweier Seitenaltäre statt. Der Bau
besteht aus einem flachgedeckten Schiff mit neuer
Holzdecke, einem eingezogenen, flach geschlossenen Chor
mit Kreuzgewölbe und einem Turm an der Nordwestseite.
Im Schiff ist die Wandgliederung lediglich aufgemalt:
Säulen tragen ein Gebälk, von dem Girlanden
herunterhängen. Der Triumphbogen und der Chor sind
dagegen reich ausstuckiert und farbig gefasst. Die
Laibung des Triumphbogens zieren drei Rosetten und
Zwischenfelder. Rahmen und Rosetten sind vergoldet. Der
Chor zeigt eine Wandgliederung mit aufstuckierten
Eckpilastern und einem Gebälk mit daraufsitzenden Putti.
Herrlich sind die im Fries des Gebälks gemalten Veduten.
An den Graten des Kreuzgratgewölbes stützen Karyatiden
Pilaster. Auf deren Kapitellen ruht je eine Kartusche
mit einem daraufstehenden Putto, der den Rahmen des
Scheitelmedaillons hält. In die Gewölbefelder sind
dreipassförmige Bilderrahmen einkomponiert. Die
Malereien und damit wohl auch die Gewölbedekoration ist
inschriftlich auf das Jahr 1676 datiert. Der Eierstab am
Gebälk, die Blattfrise entlang den Scheidbogen, Teile
des Astragals an den Gewölbegraten, Bänder, Flügelteile
und Haare der Karyatiden und Putten, Kartuschen,
Bilderrahmen und das Blattwerk in den Gewölbezwickeln
sind vergoldet. An den vom Schiff aus nicht sichtbaren
Bändern wurde aus Spargründen auf Gold verzichtet und
stattdessen Zwischgold verwendet, das heute verschwärzt
ist. Der schwarze Stucco-lustro-Schaft der Pilaster,
einzelne grün gefasste Blätter sowie die roten Zaddeln
an den Bändern der Karyatiden setzen weitere
wohlabgewogene Farbakzente.
Die Altäre entstanden nach einem einheitlichen Plan
und dürften wohl ebenfalls auf das Jahr 1676 zu datieren
sein. Alle drei zeigen einen strengen Aufbau mit Säulen,
Gebälk und gesprengtem Segmentgiebel. Der Hauptaltar
wird durch eine doppelte Säulenstellung hervorgehoben.
Im Aufsatz steht eine Madonna mit dem Kind im
Strahlenkranz, flankiert von zwei Engeln. Auf dem
Segmentgiebel sitzen zwei Propheten, denen an den
Seitenaltären Putti entsprechen. Seitlich des Hochaltars
stehen auf Konsolen zwei Stuckfiguren. Sie stellen den
Kirchenpatron Nikolaus und Georg dar. Die Säulen, der
Architrav und die Kartuschen der Seitenaltäre zeigen
eine schwarze Stucco-lustro-Fassung. Basen, Kapitelle,
Teile des Gebälks, Sprenggiebel, Aufsätze sowie die
Festons zwischen den Säulen des Hauptaltars sind
vergoldet und heben sich so vom weissen Stuckgrund ab.
Die Madonna, die Engel und Propheten am Hochaltar sowie
die Stuckplastiken des Nikolaus und Georg sind farbig
gefasst und zum Teil vergoldet, während die Putti der
Seitenaltäre in der Farbe des Stucks gehalten sind und
nur vergoldete Flügel und Haare haben. Hinter den drei
Altären ist je eine rote Draperie an die Wand gemalt.
Literatur: Kdm GR VI, S. 329 - 331.
7. Rossa, Pfarrkirche S. Bernardo, 1687 und um 1700
Nachdem bereits 1656 ein Neubau geweiht worden war,
begannen 1677 die Vorarbeiten für einen Umbau. Der
Rohbau war 1684 vollendet. Am 28. April 1687 wurde mit
Pietro Giuliani aus Roveredo ein Vertrag über die
Stuckierung des Chores und die Ausführung des Hochaltars
abgeschlossen. 1693 erfolgte der Bau eines Oratoriums,
das der Westfassade vorgesetzt wurde. Die Neuweihe der
Kirche mit drei Altären fand erst am 13. August 1701
statt.
Das zweijochige, mit Kreuzgewölben ausgestattete
Langhaus ist sehr einfach gestaltet. Vor dem Choreinzug
weitet sich der Raum zu zwei querschiffartigen,
tonnengewölbten Kapellen, in denen die Seitenaltäre
stehen. Den einzigen Schmuck bilden die Wandpilaster mit
stuckierten Engelsköpfen und -flügelchen und das
darüberliegende Gebälk. Beide sind weiss gekalkt, nur
die Frieszone zeigt eine Marmorimitationsmalerei in
Schwarz, Gelb und Rot vor weissem Grund. Am Aufgang zur
Kanzel war ein roter Vorhang aufgemalt. Sparsam
stuckierte Medaillons betonen die Gewölbescheitel.
Der ganze Reichtum der Ausstattung entfaltet sich im
Quadratchor. Die Laibung des Triumphbogens ist in
Kassetten unterteilt, in zwei von ihnen sind stuckierte
Engelsköpfe angebracht. Die Wandgliederung ist gleich
gestaltet wie im Langhaus. Das Gewölbe ist in typisch
misoxerischer Art ausstuckiert. Primär werden die
Gewölbegrate betont: Karyatiden stehen auf einem
Akanthusblatt und halten über ihren Köpfen Kartuschen
mit Festonbändern, darüber folgen Kartuschen mit
Engelsköpfen, und abschliessend der Blattkranz als
Scheitelmedaillon. Die Bildfelder in den Gewölbeflächen
sind von Blattwerk umrahmt. Anstelle von Vergoldungen
sind Teile der Stukkaturen, insbesondere Umrahmungen,
gelb gefasst. Die ebenfalls gelben Festons stehen vor
hellgrünem Hintergrund. Die Figuren, d. h. Engelsköpfe
und Karyatiden, sind weiss. Einzig die Schleifen des
dunkelgrünen Blattkranzes des Scheitelmedaillons sind
vergoldet. An der Ostwand über dem Altar war
ursprünglich ein roter Vorhang aufgemalt.
Der Hauptaltar, der wie die Stukkaturen von Pietro
Giuliani stammt, ist ein Säulenretabel aus Stuck. Je ein
Pilaster und eine im unteren Drittel tordierte Säule
stützen das Gebälk mit gesprengtem Segmentgiebel. Im
Aufsatz des Obergeschosses präsentieren zwei Engel Kelch
und Hostie. Auf dem Segmentgiebel sitzen ebenfalls zwei
Engel und blasen Trompete. Seitlich wird der
Segmentgiebel von Vasen flankiert. Die optisch tragenden
Teile wie die Säulen, der Fries und der Aufsatz zeigen
schwarze Stucco-lustro-Fassungen, weitere wichtige
Teile, der tordierte untere Teil der Säulen, der
Architrav, das Kranzgesims und der Segmentgiebel, rote
Stucco-lustro-Fassungen. Die Säulenbasen und -kapitelle,
die seitlichen Pilaster, die Eierstäbe und Blattfriese
sowie Bänder am Gesims, der Rahmen des Bildes und die
darüberliegende Kartusche sind mit Gold auf weissem
Grund hervorgehoben. Die Marmorinkrustationsimitation am
Fries des Gebälks nimmt das Motiv der Wandgliederung
wieder auf.
Die beiden Seitenaltäre stehen an der Ostwand der
beiden Seitenkapellen und füllen den Raum bis zum
Triumphbogen völlig aus. Sie sprechen nicht genau die
gleiche Formensprache wie der Hauptaltar und fügen sich
auch nicht so organisch in die Architektur ein wie
dieser. Sie dürften einige Jahre jünger sein, zumal sie
im Vertrag mit Giuliani aus dem Jahr 1684 nicht erwähnt
sind. Im Aufbau entsprechen sie sich, in den Details
sind sie jedoch verschieden gestaltet. Säulen auf
Postamenten mit gemalter Marmorimitation in Stucco-lustro-Technik
stützen das Gebälk; der nördliche Seitenaltar zeigt
einen geschweiften, gesprengten Segmentgiebel, der
südliche einen gesprengten Segmentgiebel mit Voluten.
Das Gebälk schliesst an die Wandgliederung des Chors an,
ist jedoch reicher gestaltet als diese. Die
Rundbogennischen für die Figuren werden von vergoldeten
Blattkränzen umrahmt. Am südlichen Altar halten zwei
Engel mit der einen Hand über die Madonna eine Krone,
mit der anderen präsentieren sie eine Kartusche mit der
Inschrift “SALVE VIRGO MATER PURA“. In den Aufsätzen
beider Altäre befindet sich je eine weitere Kartusche,
die ebenfalls von Engeln gehalten wird. Die Säulen der
beiden Retabel zeigen eine rote Stucco-lustro-Fassung,
die Basen und Kapitelle sind vergoldet. Teile der
Frieszone und die Kartuschen zeigen ebenfalls eine rote
Stucco-lustro-Fassung. Einzig die Kartusche im Aufsatz
des südlichen Altars sticht durch ihren blauen Grund
hervor. Im übrigen dominieren am Gebälk, an den Giebeln
und der Nischenrahmung goldene Ornamente auf weissem
Grund. Die Strenge und Schwere des Hochaltars ist von
einer heiteren, reicheren Farb- und Formensprache
abgelöst worden. Die Madonna am südlichen Seitenaltar
zeigt ein reiches goldenes Gewand mit Damastmustern in
Sgraffitotechnik.
Technik: Für die Wand- und
Gewölbestukkaturen wie für die Altäre wurde ein reiner
Kalkmörtel verwendet. Der Mörtel für die Grobform
besteht aus gewaschenem Sand, Quarzsand und Sumpfkalk,
derjenige des Tectoriums aus Quarzsand und Sumpfkalk.
Für die Farbfassungen des Stucks verwendete man Terra di
Siena, Smalte und grüne Erde. Die ocker-gelb, rot und
schwarz gehaltene Marmorimitation des Gebälkfrieses an
den Wänden, die Säulen und Gebälke des Hochaltars und
teilweise auch der Seitenaltäre wurden in Stucco-lustro-Technik
gearbeitet. Teile der Stukkaturen an der
Triumphbogenlaibung, die Bänder des Kranzes im
Gewölbescheitel sowie Ornamente, Profilestäbe,
Bildrahmen, Säulenbasen und Kapitelle der Altäre
erhielten eine Polimentvergoldung mit einem hellroten
Bolus.
Bei der Restaurierung von 1986 wurde die Farbgebung
des Stucks im Chorgewölbe anhand von freigelegten
Farbresten rekonstruiert. Die jüngeren Gewölbemalereien
aus der Zeit des Spätbarocks, von 1877 und von 1933
wurden konserviert und blieben unter dem neuen weissen
Kalkanstrich im Sinne des Originals erhalten. An den
Altären wurden eine Übermalung mit Kaseinfarbe und
mehrere Fassungen in Öl entfernt und die ausgezeichnet
erhaltene Originalfassung freigelegt. Die Kirche Rossa
präsentiert sich heute als schönes Beispiel für eine
ländliche Ausstattung der Misoxer, deren farbenfrohe
Gestaltung den Betrachter noch immer zu faszinieren
vermag.
Literatur: Kdm GR VI, S. 269 - 271. - Prof. Oskar
Emmenegger, Chiesa parrocchiale di S. Bernardo a Rossa,
rapporto di ricerca sull’interno. MS im Archiv von Oskar
Emmenegger & Söhne AG, Zizers.
8. Vrin, Pfarrkirche St. Mariä Geburt und Johannes
Baptist, um 1694
Der 1689 bis 1694 errichtete gewaltige Barockbau
setzt mit seinem bunt bemaltem Turm einen überraschenden
Akzent zwischen die braunen alten Holzhäuser von Vrin.
Die nach Nordosten orientierte Kirche besteht aus einem
dreijochigen Schiff mit zwei querschiffartigen
Seitenkapellen und einem leicht eingezogenen, dreiseitig
geschlossenen Chor. Schiff und Chor sind von einer Tonne
mit Stichkappen überwölbt, der Chorabschluss von einer
Halbkuppel. Südöstlich an den Chor schliesst eine
Sakristei an, westlich an die nordwestliche Kapelle ein
Beinhaus. Der bunt bemalte Turm im Nordwesten der Anlage
steht frei. Baumeister der Kirche war Antonio Berogio (Broggio)
aus Roveredo. Die Stukkaturen der Kirche schuf Joan
Baptist, der vielleicht mit Giovanni Broggio
gleichzusetzen ist. Christoph Guserer aus Dingolfing in
Bayern malte die Deckenbilder.
Im Innern werden die Wände durch gestufte Pilaster
und ein umlaufendes, reich profiliertes Gebälk
rhythmisiert. Ansonsten sind Schiff und Chor sparsam
dekoriert. Der Gewölbestuck beschränkt sich im
wesentlichen auf die mit Malereien versehenen Spiegel im
Gewölbescheitel. Die Frontseite des Triumphbogens und
der Bogenöffnungen zu den Seitenkapellen zeigen
ebenfalls Stukkaturen, im Scheitel halten je zwei Putten
eine Kartusche. Der Fries des Gebälks und der
Triumphbogenrahmung ist mit den Farbtönen rot, gelb und
hellblau marmoriert und setzt einen bunten Akzent in die
sonst weissen Wand- und Deckenflächen. Dezenter wirken
die blauen Gründe der Kapitelle und die erwähnten,
schwarz und blau gefassten Kartuschen.
Viel reicher als in Schiff und Chor entfalten sich
die Stukkaturen in den Seitenkapellen. Sie dekorieren
die rot und blau gefassten Bogenlaibungen, rahmen die
Wand- und Deckenbilder und überziehen leere Flächen.
Putten tragen eine Kartusche über dem Fenster und die
Rahmung des Scheitelgemäldes im Gewölbe. Die Stukkaturen
sind teilweise vergoldet.
Der hölzerne marmorierte Hochaltar von 1710 wird
Johann Ritz aus dem Oberwallis zugeschrieben und gehört
nicht zum ursprünglichen Innenraumkonzept. Die vier
Stuckaltäre dagegen bilden einen integralen Bestandteil.
Je zwei stehen an den Chorschultern und zwei an den
Stirnwänden der Seitenkapellen. Es sind Säulenretabel
mit gesprengten Segmentgiebeln, eingerollten Voluten und
einer Kartusche als Aufsatz. Die schwarzen Säulen und
Kartuschen heben sich vom Weiss des Stucks ab; am Altar
der rechten Seitenkapelle sind die Säulen bunt
marmoriert.
Technik: Der Stuck besteht aus
reinem Kalkmörtel. Der Kern und die Grundform enthalten
als Zuschlagstoff den ortsüblichen dunkelgrauen Sand
(Tonschiefer). Die Stuckoberflächen mit der
künstlerischen Aussage bestehen aus Marmormehl von einem
metamorphen Kalkstein und etwas Glimmer
(Untersuchungsbericht von Andreas Arnold). Ein geringer
Zusatz organischer Bindemittel als Abbindeverzögerer
konnte festgestellt werden. Als Weiss für die Wände und
die plastische Gestaltung des Stucks und der Stuckaltäre
diente die Farbe der Stuckmasse selber. Sie ergab kein
hartes intensives Weiss, sondern einen hellen
Elfenbeinton.
Die schwarzen Säulen und Kartuschen an den
Seitenaltären und am Altar in der linken Seitenkapelle
sind in Stucco-lustro-Technik ausgeführt. Gleiches gilt
für die Säulen des Altars in der rechten Seitenkapelle,
die eine buntfarbene Marmorierung zeigen. In Proben der
blauen Hintergründe in der rechten und linken
Seitenkapelle wurden Berlinerblau und Smalte analysiert.
In der Bogenlaibung der rechten Seitenkapelle fand man
dagegen reines Smalteblau. Das Berlinerblau ist
vermutlich eine jüngere Farbfassung; aus der Bauzeit der
Kirche kann es nicht stammen, da dieses Pigment erstmals
1704 hergestellt wurde. Als Rot dienten
Eisenoxydpigmente, und im Hintergrund des Bogens in der
linken Seitenkapelle wurde ein Gemisch aus Eisenoxyd und
etwas Mennige festgestellt. Das Grau besteht aus
Pflanzenschwarz mit etwas Smalte und gelbem Ocker. Als
Schwarz wurde Graphit verwendet. Für die Ölvergoldung
erfolgte vorerst eine Präparierung aus gelbem Ocker, der
mit viel Öl gebunden ist.
Während der Restaurierung der Stuckdekorationen und
Stuckaltäre in der Zeit von 1983 bis 1985 erhielten wir
durch den erstaunlich grossen Bestand an originalen
Fassungen einen wertvollen Einblick in das Schaffen der
Misoxer Stukkateure ausserhalb des Misox. Weil das
ursprüngliche Weiss des Stuckes stark verschmutzt war,
wurden die besonders störenden Bereiche mit dünnen
Kalklasuren in die originale Umgebung eingestimmt.
Literatur: A. M. Zendralli, Graubündner Baumeister,
Zürich 1930, S. 174f. - Kdm GR VI, S. 267 - 270. - U.
Koslowky, Vrin, Peda-Kunstführer, Passau 1991. - A.
Arnold, Vrin, Pfarrkirche St. Johann Baptist, Proben
Farbe vom Stuck (Ende 17. Jh), 1983, MS im Archiv von
Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers. – Prof. Oskar
Emmenegger, Vrin, Kath. Pfarrkirche St. Mariä Geburt und
Johannes Baptist, Untersuchungsbericht 1982, MS im
Archiv von Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers.
9. Verdabbio, Pfarrkirche S. Pietro, nach 1683 und
Anfang 18. Jh.
Eine Vergrösserung der 1219 erstmals genannten Kirche
wurde 1668 vollendet (Datum an der Hauptfassade),
nachdem bereits 1631/32 der Chor neu errichtet worden
war. Der nach Osten gerichtete Bau besteht aus einem
flachgedeckten Schiff mit einer Seitenkapelle im Norden
und einem eingezogenen quadratischen Chor mit
Kreuzgewölbe. Nördlich erhebt sich der freistehende
Turm.
Das Schiff zeigt kahle, ungegliederte Wände und ist
mit einer flachen Holzdecke versehen. Den einzigen
Schmuck bilden die beiden Seitenaltäre und die
Rahmenornamente des Triumphbogens. Die
Triumphbogenlaibung zieren vergoldete Rosetten vor
rosafarbenem Grund und graublaue Füllungsfelder mit
vergoldeten Ornamenten. Im Chor gliedern Eckpilaster und
ein verkröpftes Gebälk die Wände. Die vergoldeten
Kapitelle, Profilplatten und Zierstäbe leiten farblich
auf den bunt gefassten und reich mit Gold versehenen
Hochaltar über. Die Stuckdekorationen im Kreuzgewölbe
beschränken sich auf die graublau und rosa gefassten
Gurtbänder mit vergoldeten Perlstäben und
Scheitelrosette auf rosafarbenem Grund. Der
zurückhaltende Stuck und die dezente Farbfassung ordnen
sich der Malerei von Bartholomäus Rusca in den
Gewölbekappen unter und bilden mit ihr ein harmonisches
Ganzes.
Der Hauptaltar ist ein eigenwilliges, man möchte fast
sagen skurriles Werk, dessen architektonischer Aufbau
sich von der Strenge des 17. Jahrhunderts losgelöst hat.
Er ist jünger als die Seitenaltäre (38). Die Aedikula
wird von schräg voreinander gestellten Säulen gebildet,
welche ein Gebälk tragen. Sie sind in Stucco-lustro-Technik
schwarz gefasst. In Freskotechnik rot, schwarz und weiss
marmoriert sind die Säulenvorlagen hinter den
Säulenpaaren. Die Profilkanten, Zierstäbe und plastisch
hervortretenden Ornamente des ansonst weissen Retabels
sind mit einer aufwendigen polierten Polimentvergoldung
versehen. Die inneren, tordierten Säulen stehen auf zwei
Atlanten, die beide Simson darstellen. Links hält er das
Löwenvlies, rechts den Eselskinnbacken. Die äussern
Säulen stehen dagegen auf Wandkonsolen und sind seitlich
von grünen Blattranken mit Engelköpfchen kelchartig
umschlossen. Anstelle eines Aufsatzes steht zwischen dem
aufgelösten Giebel das Jesuskind mit dem Kreuz vor einem
plastischen blauen Vorhang. Die seitlichen Putten halten
eine Märtyrerpalme. An der Aussenseite sitzen zwei
weitere akklamierende Putten. Seitlich des Altaraufbaus
fallen grüne Blattgewinde mit einer grossen roten Blüte
nieder. Zwischen den inneren Säulen und dem Altarbild
wachsen goldene pflanzliche Gebilde mit einem langen
Wurzelstock und einer Blüte. Dem Bildrahmen seitlich
vorgesetzt sind vergoldete Leidenssymbole Christi: links
Zange, Würfel, Kelch und Leiter, rechts Lanzenspitze,
Schwamm und Geissel. Die Simsonatlanten und die Putten
sind inkarnatfarbig, die Haare braun, die Lippen rot.
Maul und Pranken des Löwen, die Kanten des
Eselkinnbackens sowie vortretende Teile der weissen
Kleider sind dezent vergoldet. Inkarnatsfarbig gefasst
ist auch das Jesuskind.
Die etwas älteren Seitenaltäre können aufgrund ihrer
Ikonographie nicht vor der Ankunft der Franziskaner im
Jahr 1683 entstanden sein. Das Gebälk wird von
vorgeblendeten Hermenpilastern mit Fruchtgehängen
gestützt, der Segmentgiebel ist gesprengt, und zwei
Engel flankieren jeweils den Aufsatz mit der Figur des
Franziskus am nördlichen und den Minoritenemblemen am
südlichen Altar. Das flache Aufsatzgebälk dient Maria
bzw. dem Engel Gabriel als Standfläche. Ähnlich wie in
Arvigo flankieren diese beiden Stuckfiguren der
Verkündigung den Eingang zum Chor. Die Seitenaltäre
zeigen die Architektur in Weiss mit reichen Vergoldungen
und sind somit farblich nicht auf den Hochaltar
abgestimmt. Die plastischen Teile sind ebenfalls reich
vergoldet und heben sich vom weissen Grund des Retabels
ab. Die Karyatiden zeigen ein Inkarnat. Den stärksten
farblichen Akzent setzen Franziskus und die
Minoritenembleme in den Altaraufsätzen sowie die
Verkündigungsgruppe.
Auch die nördliche Seitenkapelle ist im Gewölbe, an
der Triumphbogenwand und am Triumphbogen reich
ausstuckiert. An den Seitenwänden wird diese Dekoration
mit illusionistisch gemaltem Stuck ergänzt. Der Stuck
der Antoniuskapelle steht demjenigen des Chores, des
Hochaltares und der Seitenaltäre qualitativ um einiges
nach.
Technik: Die Grobformen der
Stuckdekorationen und Altäre wie auch das Arriccio der
Wandflächen bestehen aus granitischem Sand und Kalk. Das
Tectorium für die Stuckoberflächen und die Wände wurde
mit einem Mörtel aus gebrochenem Quarzsand von 0 bis 2
mm und Kalk hergestellt. Den Mörtelmischungen für die
Grundformen und für das Tectorium wurden trocknende Öle
als Abbindeverzögerer beigemischt. Für die freihängenden
Pflanzen mit Wurzelstock seitlich des Bildrahmens, die
Blumensträusse am Sprenggiebel sowie für die Palmwedel
der Putti benutzte man Gips. Interessant ist, dass die
Köpfe der Engel am Hochaltar von Formen abgenommen und
im noch knapp formbaren Zustand dem Rumpf aufgesetzt und
zurecht geformt wurden. Die Fingerabdrücke sind deutlich
an den Hälsen feststellbar. Der Kern der freisitzenden
Engel und deren Arme wie auch die Blattgewinde und die
Pflanzen mit Wurzelstock sind mittels Eisenstäben
armiert. Das Gebälk im Chor und dasjenige des Hochaltars
werden von vorkragenden Steinplatten getragen, die tief
im Mauerwerk verankert sind. Gleiches dürfte auch für
die Seitenaltäre gelten, was aber nicht nachzuweisen
war, weil die Gesimsobersichten vollständig zugeputzt
sind.
Die Stuckoberfläche des Hochaltares, ausgenommen die
der Atlanten, erhielt zuerst eine mit Leim gebundene
Grundierung aus Gips (Bologneserkreide) in mehreren
Anstrichen. Sie dient einerseits als Weiss für die
Architekturteile und zugleich als Grundierung für die
reich vorkommenden Polimentvergoldungen und die bunten
Farbfassungen. Wie die Gipsgrundierungen sind auch die
Farbfassungen mit Leim gebunden, wie Heide Härlin
nachgewiesen hat. Wir finden folgende Pigmente: Als Rot
für die Blüten der Blattgehänge diente eine Mischung aus
Zinnober und Mennige. Für die marmorierten Pilaster
verwendete man roten Ocker und teilweise Mennige. Die
Blattgehänge strich man mit Kupfergrün, das inzwischen
verblasst ist. Die Inkarnatsfarben der Figuren und Engel
bestehen aus einem Gemisch aus Zinnober, Mennige und
Bleiweiss. Die Säulen wurden mit feinem Pflanzenschwarz
in Stucco-lustro-Technik gefasst und poliert. Für die
hellblaue Farbe der Vorhanginnenseite im Altaraufsatz
benutzte man Kreide (CaCo3) und Indigo. An der
Aussenseite wurde der weisse Kreideanstrich mit etwas
Indigo, Smalte und Schwarz abgetönt. Weil das Indigo
verblasst ist, erscheint die Vorhanginnenseite heute
eher Grau. Die Atlantenfiguren zeigen an den Gewändern
das Weiss des Stuckes.
Die zarten Graublau- und Rosafassungen und die
Vergoldungen der Architekturgliederungen aus Stuck im
Chor zeigen denselben Aufbau wie am Hochaltar. Für das
Rosa der Gurten an den Gewölbegraten dienten Eisenoxyd
und Smalte und für das Graublau Kalk, Pflanzenschwarz,
Smalte und etwas Ocker. Der Farbauftrag erfolgte al
fresco und dürfte somit vom Maler, der die Deckenbilder
schuf, ausgeführt worden sein. Die Graufassung am
Gebälk, an den Pilastern und Kapitellen besteht aus
Kreide und wenig Schwarz. Die polierten
Polimentvergoldungen liegen auf einer leimgebundenen
Gipsgrundierung.
Die Grundierung, die Vergoldung und Fassung der
älteren Seitenaltäre mit der Verkündigungsgruppe und des
Stucks am Triumphbogen entsprechen ebenfalls der Machart
des Hochaltars. In den Füllungsfeldern der
Triumphbogenlaibung findet sich über einer
Gipsgrundierung ein blauer Grund, bestehend aus Smalte,
Berlinerblau und Kreide. Das Berlinerblau gibt uns einen
Anhaltspunkt für die Datierung, denn dieses Pigment
wurde erstmals 1704 hergestellt. Der rosafarbene Grund
der Rosette im Scheitel der Triumphbogenlaibung besteht
aus Mennige und Weiss (Gips) und liegt auf einer
Kreidegrundierung (CaCo3). Das rote Gewand der Maria
über dem nördlichen Seitenaltar ist aus Zinnober und
Bleiweiss zusammengesetzt und liegt auf zwei
Grundierungen; die obere besteht aus Gips, die untere
aus Kreide. Ferner findet sich am Umhang der Maria eine
Vergoldung, deren Anlegemittel mit einem ölgebundenen
gelben Dunkelocker präpariert ist. Am südlichen
Seitenaltar fand man unter der Polimentvergoldung Reste
von Präparierungen für eine Ölvergoldung. Diese Tatsache
und die Blaumischung von Smalte und Berlinerblau
erlauben die Annahme, dass die älteren Seitenaltäre und
der Stuck am Triumphbogen beim Erstellen des Hochaltars
umgefasst wurden. Für das grüne Betpult der Maria wurde
Kupfergrün verwendet, das wie am Hochaltar stark
verblasst ist. Als Blau für das Gewand des Erzengel
Gabriel diente Smalte.
Bei der Restaurierung 1981 bis 85 wurde die Gipstonne
von 1855 entfernt und die darüberliegende Holzdecke
wieder freigelegt. Von der ursprünglichen, bunt
gefassten Decke des 17. Jahrhunderts sind nur die
Deckenbalken und ein paar Bretter erhalten, die übrigen
Teile wurden im 18. Jahrhundert erneuert. An den
Stuckdekorationen und Stuckaltären wurden die
Ölübermalungen von 1839 und aus dem frühen 20.
Jahrhundert geopfert, um die grossflächig erhaltenen
ursprünglichen Fassungen konservieren zu können. Durch
deren Freilegung und Konservierung erhielten wir neue
Einblicke in die Arbeitsweise der Misoxer Stukkateure.
Literatur: A. Arnold, Verdabbio, Pfarrkirche San
Pietro, Stuck- und Altarfassung, Farbschicht- und
Pigmentanalysen, 1981, MS im Archiv von Oskar Emmenegger
& Söhne AG, Zizers. - Heide Härlin, Vorläufige
Untersuchung von Proben der Seitenaltäre und dem
Triumphbogen der Pfarrkirche San Pietro in Verdabbio,
25.2.1983, MS im Archiv von Oskar Emmenegger & Söhne AG,
Zizers. - Heide Härlin, Proben der Seitenaltäre und des
Triumphbogens der Kirche San Pietro in Verdabbio,
10.8.1983, MS im Archiv von Oskar Emmenegger & Söhne AG,
Zizers.
Schlussbemerkungen
Unsere Ausführungen haben gezeigt, dass die Misoxer
Stukkateure sowohl in ihrem Heimattal als auch in
anderen Regionen Graubündens ihren Stuckaltären und
Stuckdekorationen eine charakteristische Farbgebung
verliehen haben. Teile des Stucks wurden mit
Metallauflagen versehen, andere farbig gefasst.
Altarsäulen, oft auch die Inkrustationen in den
Predellen und Kartuschenflächen sowie die Frieszone des
Gebälks, erhielten eine Stucco-lustro-Fassung. Die
farbigen Stuckpartien heben sich effektvoll vom Weiss
des Stuckmörtels ab. Stuck und Farbe bilden so eine
untrennbare Einheit und verleihen den Kirchenräumen eine
heitere, festliche Note, die auch den heutigen
Betrachter zu faszinieren vermag. Gerade die Farbigkeit
unterscheidet die Misoxer von den Tessiner und
oberitalienischen Stukkateuren.
Die Anfänge der Misoxer Polychromie liegen im Dunkeln.
Bereits an den Stukkaturen der Pfarrkirche von Mon aus
der Zeit um 1647 sind die Hintergründe der Stukkaturen
farbig hervorgehoben; schwarzer Stucco-lustro und
Vergoldungen lassen sich erstmals an der
Rosenkranzkapelle von 1653/55 in der Kathedrale von Chur
fassen. Es wäre ein lohnenswertes Unterfangen zu
untersuchen, ob die Misoxer auch ausserhalb Graubündens,
z.B. in Deutschland, Oesterreich und Böhmen, ihre
Farbvorstellungen verwirklichen konnten oder ob sie -
beeinflusst von ihrem künstlerischen Umfeld und vom
Geschmack ihrer Auftraggeber - eine dezentere Farbigkeit
wählten. Anhand der untersuchten Beispiele scheint sich
für Graubünden die Hypothese abzuzeichnen, dass die
Misoxer in ihrem Heimattal den Stuck bunter fassten und
reicher vergoldeten als anderswo. Künftige
Restaurierungen mit entsprechenden Material- und
Farbuntersuchungen könnten unsere Kenntnisse über die
Misoxer Stukkateure aber noch entscheidend erweitern.
Wir hoffen, dass dieser Beitrag zu weiteren Forschungen
anregt.
Anmerkungen
- R. Böhmer ist Mitautor des Teils über die
Stuckausstattungen. Ihm oblag auch die Gesamtredaktion.
- Frau Dr. Mane Hering-Mitgau ist mit dem
Forschungsprojekt "Aussenfarbigkeit historischer
Architektur" beauftragt und Herr Prof. Oskar Emmenegger
mit dem Projekt "Historische Putztechniken".
- M. Hering-Mitgau, Weisse Architekturmalerei: Die
Schönheit des Einfachen, in: Unsere Kunstdenkmäler 1987,
Heft 4, S. 540-547.
- Dasselbe Gliederungssystem findet sich oft an
Fassaden des 17. Jahrhunderts im Engadin und im
Münstertal.
- Letztere sind bis jetzt nur im Vorderrheintal
nachgewiesen.
- Weitere Beispiele: Die Westfassaden der Pfarrkirchen
St. Vincentius in Vella-Pleiv (Lugnez) und Sta. Domenica
in Sta. Domenica (Calancatal).
- Kdm GR VI, S. 193.
- Korngrössenverteilung von 0 bis 6 mm und mehr
sind keine Seltenheit.
- Viele hielten diese durch Eisenhydroxid entstandene
Patina für einen Farbanstrich und benutzten sie bei Fassadenrenovationen als Muster. Der gelbliche Anstrich
gilbte nun selber mit zunehmendem Alter und diente bei
der nächsten Renovation wiederum als gelbes Muster.
Durch diese Multiplikationen entstand aus der
anfänglichen Patina ein falsches Bild, nämlich weisse
Gliederungen vor stumpfgelben Grundflächen. Es sind die
im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert so beliebten
Fassadengestaltungen des Historismus.
- An der Kirche La Madonna del Ponte chiuso in
Roveredo wurden die Linien erst anlässlich der
Renovation 1941 rot nachgezogen.
- M. Gschwend, Die Bauernhäuser des Kantons Tessin,
Bd. 1, Der Hausbau, Basel 1976, S. 144 - 147.
- Max Gschwend wirft die Frage auf, weshalb solche
Rahmungen um Fensteröffnungen auf unverputztem
Trockenmauerwerk vorkommen. Granitisches Sicht- und
Trockenmauerwerk ist typisch für Regionen, wo Kalk
Mangelware und daher kostbar ist. Er wird nur dort
eingesetzt, wo man ihn unbedingt benötigt; Fensterrahmen
aber lassen sich nur mit Mörtel einsetzen und abdichten.
- Für das Misox seien die im Katalogteil aufgeführte
Collegiata in S. Vittore und die Casa Zuccalli in
Roveredo genannt. Weitere Beispiele: mehrere
Bürgerhäuser in Ascona, Morcote und Melide (alle im
Tessin), das Haus 305 von 1577 in Vicosoprano im Bergell.
Im 16. Jahrhundert auch Häuser im österreichischen
Donaugebiet und in Böhmen.
- In Florenz und überhaupt in der Toscana sowie auch
in Rom und der Lombardei waren die Grundflächen noch im
17. Jahrhundert vorherrschend weiss. Vgl. G. und Ch.
Thiem, Toskanische Fassaden-Dekoration in Sgraffito und
Fresko, 14.-17. Jahrhundert, München 1964.
- Frühere Beispiele des 17. Jahrhunderts, teilweise
datiert, finden sich an Häusern in Glis, Gampinen, Leuk-Stadt,
Salgesch und Turtmann, alle Kanton Wallis.
- Die Beispiele im Kanton Wallis entstanden alle
zwischen 1610 und 1622. Auch im süddeutschen Raum und in
Österreich sind solche Nagelbrettstrukturen häufig zu
beobachten.
- Es ist unbekannt, ob die mit roten Lisenen bemalten
Fassaden der Pfarrkirche S. Clemente von Grono auf einen
ursprünglichen Befund zurückgreifen.
- Die Verwendung von bunten Farben war während des 17.
und frühen 18. Jahrhunderts im Misox und in den
Talschaften des Vorder- und Hinterrheines nicht
allgemein üblich, im Gegensatz zum Oberhalbstein,
Puschlav, Veltlin und teilweise Engadin. Im Puschlav
finden sich ab dem 17. Jahrhundert bunte Bemalungen an
Kirchen und Profanbauten, z.B. an den Fassaden der
reformierten Kirchen von Aino und Poschiavo. Imitationen
von Serpentingestein, das besonders beliebt war, kommen
an Gliederungen im Puschlav und Veltlin oft vor, z.B.
an der Kapelle S. Annunziata in Annunziata (Puschlav).
- Prof. Oskar Emmenegger, Jesuitenkirche Luzern,
Untersuchung der Aussenfassaden, 1975, MS im Sekretariat
der EKD Bern.
- M. Pfister, Baumeister aus Graubünden: Wegbereiter
des Barock, Chur 1993. S. 27, 139, 277, 350 und Abb. 27.
- Pfister, Baumeister (wie Anm. 21), Abb. S. 25. Nach
S. 276f. und S. 322 wurde die Stadtpfarrkirche 1656 von
Domenico Sciascia aus Roveredo erbaut.
- Kdm GR I, S. 191.
- Die dunkle Schicht benutzt der Stukkateur auch als
eine Orientierungshilfe, um zu erkennen, auf welcher
Schichtebene er sich befindet.
- Altar des Grabmals der Herren von Raron in der
Valeriakirche in Sion und Altar in der Kapelle Mariä
Unbefleckte Empfängnis in Neubrück bei Stalden.
- Es besteht immer noch die falsche Meinung, Stuck sei
eine Masse aus Gips oder ein Gemisch aus Gips, Kalk und
Sand. Die Stuckarbeiten der Comasken, Tessiner und
Misoxer des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts
bestehen ausnahmslos nur aus Sumpfkalk und Sand.
- In den von Dr. Arnold, Institut für Denkmalpflege
ETH Zürich, untersuchten, bemalten Stuckproben der
Pfarrkirche S. Pietro in Verdabbio konnte regelmässig
“Öl“ nachgewiesen werden. A. Arnold, Verdabbio,
Pfarrkirche San Pietro, Stuck- und Altarfassung,
Farbschicht- und Pigmentanalysen, 7.4.1981, MS im Archiv
von Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers. In der
Stuckmasse, die in der Pfarrkirche S. Lorenzo in Arvigo
verarbeitet wurde, fand A. Arnold ebenfalls „recht viel
“Öl“. A. Arnold, Arvigo, Pfarrkirche, Chor, Decke,
Stuck, Farbe 17. Jahrhundert, 28.10.1980, MS im Archiv
von Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers.
- Als Beispiel seien die Stuckaltäre der Kirche Sta.
Croce (1588-92) in Riva S. Vitale (Tessin) erwähnt.
Dieses Erscheinungsbild war so selbstverständlich, dass
es in gemalter Art auch als Imitation erscheint, wie zum
Beispiel in der Pfarrkirche von Origlio (Tessin).
- Unter Zwischgold versteht man eine Folie, deren
Oberseite aus Gold und deren Unterseite aus Silber
besteht. Die dünn geschlagenen Blätter aus Gold und
Silber werden aufeinandergelegt und ausgeschlagen.
Früher wurde das Gold auf ca. einen Tausendstel
Millimeter, heute auf einen Zehntausendstel Millimeter
geschlagen.
- J. Jahr, R. Heidenreich und W. von Jenny, Wörterbuch
der Kunst, Stuttgart 1966, S. 670.
- L. B. Alberti, De re aedificatoria, Buch VI, Kapitel 9.
- H. Koepf, Wörterbuch der Architektur, Stuttgart
1968, S. 363.
- H. Kühn, Erhaltung und Pflege von Kunstwerken und
Antiquitäten 2 mit Materialkunde und Einführung in
künstlerische Techniken, München 1981, S. 347.
- Gottgetreu, Physische und chemische Beschaffenheit
der Baumaterialien, Berlin 1875, Bd. 1, S. 311. Zitiert
nach: A. Eibner, Entwicklung und Werkstoffe der
Wandmalerei vom Altertum bis zur Neuzeit, München 1926,
S. 313.
- Wiedergegeben nach Eibner, Entwicklung und
Werkstoffe (wie Anm. 33), S. 308.
- Eibner, Entwicklung und Werkstoffe (wie Anm. 33), S.
312f.
- Malachit kommt in der Natur immer zusammen mit
Anteilen von Azurit vor.
- Dieses Motiv findet sich im Misox des öftern, so
auch in der Kapelle S. Rocco in Grono, in der Kirche S.
Pietro in Verdabbio, in der Pfarrkirche S. Maurizio in
Cama, in der Pfarrkirche S. Bernardo in Rossa und in der
Kapelle S. Nicolao in Cabbiolo.
- Hinter dem heutigen Hochaltars wurden Reste eines
älteren abgetragenen Stuckaltars festgestellt.
Literatur
- Prof. Oskar Emmenegger / Makrus Bamert, Zur
stilistischen Entwicklung des Sgraffito, in: Applica 24,
1974.
- M. Hering-Mitgau, Weisse Architekturmalerei: Die
Schönheit des Einfachen, in: Unsere Kunstdenkmäler 38,
1987, S. 540 - 547.
- Pfister, Baumeister aus Graubünden, Wegbereiter des
Barock, Chur 1993.
- E. Poeschel, Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden,
7 Bände, Basel 1937 - 1948. Abgekürzt: Kdm I-VII.
- A. M. Zendralli, Graubündner Baumeister und Stukkatoren
in deutschen Landen zur Barock- und Rokokozeit, Zürich
1930.
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